OÖ. Heimatblätter 1985, 39. Jahrgang, Heft 4

der Zivilisation. Kultur bedarf keines gro ßen materiellen Aufwandes um gepflegt zu werden. Im kirchlichen Leben offenbart sich das Wesen der Kultur am deutlichsten. Die Liturgie vereinigt als Gesamtkunst werk dichterische Sprache, Gebärde, Mu sik, bildende Kunst und Architektur zu ei ner harmonischen Einheit. Kultur - als etwas Gefühlsmäßiges, nicht Greifbares - kann nicht erworben werden. Das zeigt sich Hammerstein am einfachen bodenständigen Volk: Volks bräuche, Trachten und Tänze, ebenso wie Werke der Volkskunst, soweit sie ur sprünglich sind, äußern ein großes Maß an kulturellem Verständnis und die Sicherheit des Geschmackes für alle Darstellungen des Schönen. Zugleich widerspricht er der Auffassung, Kultur könne nur aus der Tra dition entstehen. Diese habe das Kulturgut der letzten Jahrhunderte gleichsam abge wogen und nur das Wahre und Echte sei im Laufe der Zeiten überliefert worden; auch die Gegenwart manifestiere sich in kultu rellen Äußerungen. Hammerstein appelliert an alle, in ei ner Zeit der Zweckmäßigkeit auch soge nannte „zwecklose" Formen im Leben an zuerkennen, wie Kultur, Dichtung, Musik, aber auch Anmut und Höflichkeit. Die Materie knechtet uns, der Geist aber führt uns zu wahrer menschlicher Größe. Wiedergeburt der Menschlichkeit In seiner Schrift „Wiedergeburt der Menschlichkeit'"'" hat Hans von Hammer stein, in der Schau auf eine künftige Ent wicklung der Menschheit, Gedanken von unveränderter Aktualität entwickelt und darin seine kulturpolitischen Zielvorstel lungen formuliert. Die Überlegungen, die er anstellt, ver raten eine tiefe Sorge um die Zukunft der Menschheit. Den friedlichen Fortbestand der Welt will er durch humanistische Bil dung, verantwortungsbereites Kulturbe wußtsein und einen vertieften Gemein schaftssinn gesichert wissen. Der Dichter sieht den Sinn der Bildung in der Zusammenschau des Wissens. Hier setzt er seine Kritik am herrschenden Bil dungswesen an. Heute, so bemängelt er, werde umfas sendes Wissen zugunsten von spezialisier ten Kenntnissen aufgegeben. So erziehe man reine Fachmänner, die aber ungebil det bleiben.'" In der Beziehungslosigkeit des halbgebildeten Menschen zu ihm unbe kannten Gebieten sieht Hammerstein eine harmonische Gesamtentwicklung gefähr det. Ein wahrhaft gebildeter Mensch sollte möglichst viele Fähigkeiten in sich wecken und vereinen. Das Wissen um die Zusam menhänge von Mensch, Natur und Kultur lasse beste Lösungen für alle Probleme fin den. In der humanistischen Bildung sieht der Dichter sein Ideal; die Hellenen waren es ja vor allem, die den einzig irdisch voll kommenen Menschen hervorgebracht hat ten.Dieses Volk erreichte auch den Aus druck höchster Vollkommenheit in seiner Kultur. Andere Versuche im Laufe der Ge schichte, diesem Ideal nachzueifern, sind immer in den Ansätzen steckengeblieben. Nur die Klassik, mit Winckelmann an der Spitze, der die Grundlagen und den Geist des Griechentums wieder entdeckte, hat mit Lessing, Goethe, Schiller, Wieland, Herder und Hölderlin den Geist der Anti ke wieder aufleben lassen. Unter Bildung versteht Hammerstein aber keineswegs „eingetrichtertes" Wis sen, das er besonders in Schulen praktiziert Ebenda. S. 98. Hans von Hammerstein: Wiedergeburt der Memschlichkeit. Wien 1937 (= Schriftenreihe „Ausblicke"). A.a.O. S. 50. "2 Ebenda. S. 41.

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