OÖ. Heimatblätter 1985, 39. Jahrgang, Heft 4

39. Jahrgang R Heft 4 1 m

OBEROSTEI^ICHISCHE ESIiEBSWmb 39. Jahrgang 1985 Heft 4 Herausgegeben vom Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpfiege in Oberösterreich Elmar Schiffkorn Kulturpolitik in den 30er Jahren am Beispiel Hans von Hammerstein Ein Beitrag zur Zeitgeschichte Max Eitzlmayr Die Friedhofskapelle St. Martin zu Braunau Josef Grüblinger In memoriam Professor Wolfgang Dobesberger Hans Rödhammer Die Pröpste des Augustiner-Chorherrenstiftes Ranshofen (2) Buchbesprechungen

Kulturpolitik in den 30er Jahren am Beispiel Hans von Hammerstein Ein Beitrag zur Zeitgeschichte Von Elmar Schiffkorn Kultur ist das, was unserer technischen Zivi lisation fehlt, ist Ausdruck der Seele im menschlichen Leben. Kultur kann in allem sein und nicht sein: in der Zivilisation und in der Primitivität, im Luxus und in der Ar mut, in der Wissenschaft und in der Produk tion, ja in der Kunst und in der Ausübung der Religion. Hans von Hammerstein: Wiedergeburt der Menschlichkeit Hans von Hammerstein-Equord ist der Vertreter der Dichtergeneration zwi schen den beiden Weltkriegen, die nach 1945 leider in Vergessenheit geraten ist. Hammerstein war aber zu Lebzeiten nicht nur als Dichter bekannt geworden; als Kulturpolitiker der Zwischenkriegszeit hatte er maßgeblichen Einfluß in angesehe nen Künstlervereinigungen. Hier war er entschiedener Verfechter eines eigenstän digen österreichischen Staats- und Kultur bewußtseins. Hammerstein wurzelte in der versin kenden Donaumonarchie, wuchs und wirkte aber vor allem während der ersten Republik. Er lebte in einer Zeit der Um brüche, einer Epoche der Zeitenwenden. Hammerstein war stets eine starke, kompromißlose Persönlichkeit. 1881 in Sitzenthal, nahe bei Melk, geboren, lebte Hans von Hammerstein Ölbild von Franz X. Weidinger der Dichter nicht nur in einer politisch un ruhigen, sondern auch literarisch bewegten Zeit: Naturalismus, Impressionismus, Symbolismus, Neuromantik, Neuklassizis mus, Expressionismus; all diese Strömun gen wechseln einander in rascher Folge ab, überschneiden sich, ringen um neue Aus drucksformen und werfen neue Themen kreise auf. Hammerstein jedoch hielt sich

immer bewußt frei von den mannigfaltigen literarischen Richtungen dieser Jahre. In zahlreichen Vereinigungen wirkend - un ter anderen war er Präsident des P.E.N. Clubs, des Kulturbundes und Mitbegrün der sowie Ehrenpräsident der Innviertler Künstlergilde - hielt er sich von jeder Zeit strömung fern. Er fügt sich nicht in die Schematik einiger Literaturgeschichten, die ihn als Heimatdichter beziehungsweise als treuen Nachfahren Eichendorffs be zeichnen. Dies trifft nur zum Teil zu; die Universalität dieses Dichters weist aber darüber hinaus. Hammersteins Vorfahren stammen aus-Niedersachsen, dem Rheinland und Westfalen. Seine Romane haben vorwie gend historische Landschaften Süd deutschlands und Frankens zum Schau platz, die Naturschönheiten seiner Heimat Österreich aber begeistern und inspirieren den Lyriker. Es wäre jedoch verfehlt, wollte man seine berufliche Stellung außer acht lassen. Er liebte es zwar nicht, sein Leben als Be amter und Politiker mit seinem Wirken als Dichter zu verbinden. Sicherlich lassen sich Beruf und dichterisches Schaffen, Werk und Persönlichkeit nicht voneinander tren nen. Aus behüteter Kindheit, stürmischen Entwicklungs- und Jugendjahren mündet Hammersteins Lebensweg in eine konven tionelle Beamtenlaufbahn, deren Geruh samkeit damals noch reichlich Muße zu dichterischem Schaffen gewährte. Die von innenpolitischen Spannungen und der na tionalsozialistischen Bedrohung gezeichne ten dreißiger Jahre bestimmen das politi sche Engagement dieses aufrechten Öster reichers. Nach dem März 1938 zwangspen sioniert, lebte er zurückgezogen auf Pemlehen bei Kirchdorf, bis er - von der Ver haftungswelle des NS Regimes erfaßt - in das Konzentrationslager Mauthausen ein geliefert wird. Wie durch ein Wunder ent geht er dem Tode. Gesundheitlich schwer angeschlagen, kehrt Hammerstein nach Kriegsende auf sein Gut Pemlehen zurück, dort bleibt ihm nur eine kurze Lebenszeit beschieden. Er stirbt am 9. August 1947. Das Gedankengut seiner Werke ver tritt Hammerstein konsequent auch als Kulturpolitiker. In seinen Reden und Auf sätzen begegnen wir einem Menschen, der mit scharfem Spürsinn die Fehlentwicklun gen und Gefahren seiner Zeit aufzeigt. Er bemängelt die fortschreitende Industriali sierung, verweist auf die leichte Verführbarkeit der Massen entwurzelter Men schen. Wovor er bereits in den zwanziger Jahren warnte, nämlich vor der Zerstörung unersetzlicher Kulturlandschaften durch Industrie und zunehmende Verkehrser schließung, das zeigt seine Ideen erst heute in ihrer ganzen Tragweite. Hammerstein folgt in den dreißiger Jahren schließlich dem Ruf in die Tagespo litik. Seine Funktionen als Sicherheitsdi rektor, Staatssekretär und Justizminister kamen wohl kaum seinen Neigungen ent gegen, eher entsprach ihm dann sein Wir ken als Bundeskommissär für Kulturpro paganda. Seine entschiedene Bereitschaft für Österreichs Unabhängigkeit einzutreten, war jedoch bestimmend für seinen politi schen Einsatz. Mit nationalsozialistischen Umtrieben war er ja bereits als Bezirks hauptmann von Braunau am Inn konfron tiert worden. Hammerstein, der sich als „letzter Dichter" empfand und so gerne die Stille aufsuchte, um aus ihr Inspiration und seine Kräfte für sein Werk zu schöpfen, sieht das Unheil herannahen. Warnend erhebt er seine Stimme und hält dabei unbeirrt an dem Ideal eines friedlich geeinten Europa fest. öbwohl er sein dichterisches Schaffen von seinem Berufsleben zu trennen wußte, fallen doch immer wieder Äußerungen in

seinen Werken und ebenso in seinen Auf sätzen und Reden auf, die seine Geisteshal tung und Weltanschauung sehr klar zutage treten lassen. Es erschiene auch unwahr scheinlich, daß sich ein Dichter, der noch dazu im politischen Leben stand, von der in der Öffentlichkeit vertretenen Haltung in seinem Werk hätte völlig distanzieren kön nen. Vieles, was bereits in Hammersteins Werken dichterisch verarbeitet ist, wird in seinen Reden und Aufsätzen zur aktuellen, politischen Aussage. Dabei können auch heute noch einige Publikationen über Kunst und Kultur als sehr aktuell gelten. Sie lassen schließlich erkennen, über wel che kulturpolitische Weitsicht der Dichter und Politiker verfügte. Vom Deutschen zum überzeugten Öster reicher Die politische Einstellung Hans von Hammersteins tritt am deutlichsten in sei nem erst 1981 im Druck erschienenen Ta gebuch „Im Anfang war der Mord"^ her vor. In dieser Aufzeichnung seiner Erleb nisse als Bezirkshauptmann von Braunau am Inn im Jahre 1933 und, ein Jahr später als Sicherheitsdirektor für Oberösterreich, setzt er sich mit der damaligen politischen Lage auseinander. Er beschreibt die begin nenden Spannungen im innenpolitischen Bereich und schildert die ersten Auseinan dersetzungen mit den Nationalsozialisten. Seine eigene politische Anschauung war zunächst, als er 1918 als enttäuschter Soldat aus dem Krieg heimkehrte, durch aus nicht pazifistisch.^ Bedingt durch seine deutschen Vorfahren und eine überwie gend aus Deutschland stammende Ver wandtschaft sowie im Glauben, daß das jetzt so kleine Österreich selbständig nicht existieren könnte, sah er, wie viele andere, im Anschluß Österreichs an Deutschland die einzige Zukunftsaussicht. Mit dem Einsetzen der nationalsoziali stischen Aktivitäten in Deutschland, fühlte er sich jedoch immer stärker von der Idee eines Anschlusses abgestoßen. Mit der Übernahme der Macht in Deutschland durch die Nationalsozialisten, wandte er sein ganzes Streben darauf, Österreichs Freiheit und Selbständigkeit zu dokumen tieren: Dazu kam, daß ich mich literarisch stets in entschieden nationalem, nicht internatio nalem Sinne betätigt hatte und mich gerade damals mit germanischer Mythologie und daraus entspringenden Plänen beschäßgte.^ Trotz dieser Gegebenheiten war Ham merstein Österreicher, der sich bis zuletzt gegen den Anschluß an das Deutsche Reich zur Wehr setzte. Man hindere Österreich nicht daran, zu leben und seine Individualität zu wahren und zur Geltung zu bringen. Es ist der em pörendste Zwang, der ein Wesen, ob Mensch, ob Staat, ob Volk, seines Wesens, seines Ichs, seiner Persönlichkeit berauben will.^ In diesem Vortrag über „Österreichs kulturelles Antlitz" setzte sich Hammer stein besonders mit dem Staatsbegriff Österreich auseinander. ^ Hans von Hammerstein: Im Anfang war der Mord. Erlebnisse als Bezirkshauptmann von Braunau am Inn und als Sicherheitsdirektor von OÖ. in den Jahren 1933 und 1934. Wien 1981. Hrsg. Harry Slapnicka. (= Studien und Quellen zur Österr. Zeitgeschichte. Band 3). ^ Ebenda. S. 62. ^ Ebenda. S. 63. Hans von Hammerstein: Österreichs kulturelles Antlitz. Rede vor dem Wiener Kulturbund, ge halten am 21. 10. 1935. Wien. S. 13. - Vgl. dazu: Hans von Hammerstein: Gedanken über Öster reich. In: Die Pause. Wien. 2. Jg. H. 2.1937. S. 2 -3.

Österreich als Kulturbegriff Gleich zu Beginn seines Vortrages be zeichnet er Österreich nicht nur als eigenen Staatsbegriff, sondern auch als einen be sonderen Kulturbegriff. Diese Kultur er wächst Österreich aus drei Faktoren: der Landschaft, der Geschichte und dem Men schen. Besonders die österreichische Land schaft ist deshalb bestimmend, da der Mensch Kultur aus der Natur entwickelt.® Daher, folgert der Autor, sind es vor allem die Alpen, die Österreichs Landschaft be stimmen und den Menschen prägen. Auch die österreichische Geschichte muß man betrachten, um diesem Land eine eigenständige Kultur zuzusprechen. Von den beiden Ländern an der Donau, die die sen Namen als erste trugen, wurden die weiteren Bundesländer miteinbezogen, so daß das kulturelle Antlitz des Donaulandes bestimmend auf das österreichische gewor den ist.® Hammerstein bezeichnet Österreich als ein Zwischenland, das nach Grillparzer mit einem Jüngling verglichen, zwischen dem Manne Deutschland und dem Kind Italien steht. Den Menschen des österreichischen Zwischenlandes nennt Hammerstein daher einen Stimmungsmenschen, der als solcher deshalb seine Leistungen im kulturellen Bereich liegen hat und wiederum beson ders auf dem Gebiete der „unbestimmbar sten Kunst",^ der Musik, besonders begabt ist. Der dritte Faktor, der ein kulturelles Antlitz formt, ist die Geschichte des Lan des. Zunächst waren es die Babenberger, die zwar ursprünglich Deutsche gewesen, jedoch bereits als typische Österreicher an zusehen waren und Wien zu einem Kultur zentrum gemacht hatten. Ebenso verfuhren später die Habsbur ger. Mit der Krone des römischen Kaisers war Österreich das Zentrum, das im ge samten Abendland Wert, Rang und Wir kung ausstrahlte.® Schon der erste Rudolf, wie ihn die Geschichte schildert, war für Hammerstein der echte österreichische Mensch. Ebenso auch Friedrich III. und „der ritterliche, poetische erste Maximilian".® So verbindet sich im Laufe der Geschichte der Name Österreich mit dem kaiserlichen Begriff. Während indessen die Deutschen von kleineren Duodezhöfen kulturell geprägt und oftmals zum Spießertum erzogen wur den, ist es der Österreicher und besonders der Wiener, der einen größeren Horizont erfährt, und der schließlich sogar ein wenig blasiert wirkt. Die heutige Sendung Österreichs liegt daher, so folgert Hammerstein, in einer geistigen und schöpferischen Auffassung der Dinge, nicht in der materiellen An schauung mancher Zeitgenossen. Als Bei spiel führt er die Salzburger Festspiele an, die zeigen, wie man die gesamte Kulturwelt zu gewinnen vermag. Um diese Werte zu verteidigen, for dert er im öktober 1935 den Österreicher auf, sich zu wehren. Zwei Dinge sind es, die Österreichs Kultur besonders kennzeichnen: „der wel tumfassende, weltversöhnende katholische Glauben",^^ der dieses Land nachhaltend geprägt hat, und die räumliche Ausdeh nung Österreichs, die nicht durch Erobe rung entstanden ist. Durch eine kluge und vorausblickende Einsicht wurden Ehen ge schlossen, die nicht zur Zerstörung von ® Österreichs kulturelles Antlitz. S. 4. ® Wie Anm. 5. S. 4. ^ Ebenda. S. 5. ® A.a.O. S. 7. ® Ebenda. S. 7-8. Ebenda. S. 8. " Ebenda. S. 18.

Ländern beitrugen, sondern einen kultu rellen und wirtschaftlichen Aufschwung mit sich brachten. Aber auch der österreichische Mensch prägt das Antlitz dieses Landes. Ein cha rakteristischer Zug ist das Maßhalten, das manchmal zur Gefahr wird, weil sich der Österreicher ungern bemerkbar macht. Er wird in einer so lauten Zeit, wie der heuti gen, daher leicht übersehen. recht eigentlich die Seele Europas, die sich in diesem Antlitz ausspricht.^^ In seinem überzeugten Österreichbewußtsein blieb er auch nach dem 13. März 1938 unbeirrt. Seine unerschrockene Äu ßerung vor den Funktionären des „An schluß Kabinetts" ist belegt. Nationalismus - Todfeind des Friedens Kulturidee Österreich Die österreichische Idee ist vor allem eine Kulturidee: Sie setzt Kulturbedürfnis und Bildung voraus, um erfaßt zu werden. Sie ist nichts für den Massenfang, kein hohler Wahl schlager, der in Volksversammlungen reißt, sie hat Inhalt, Tiefe und Gewicht, fast zuviel für eine Zeit der Oberfläche. Eine Definition der österreichischen Kulturidee gibt Hans von Hammerstein mit einem Zitat aus Goethes „Faust", das im höheren, geistigen Sinne verstanden werden muß: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein". In diesem Zusammenhang verweist der Redner auf die nationalisti schen Bestrebungen in Europa, die er scharf verurteilt. Am Beispiele Österreichs habe sich gezeigt, so Hammerstein, daß ge rade das Zusammenwirken verschiedener Völker fruchtbar, schöpferisch und kultur verbreitend war. Das alte Österreich sei schließlich an diesen nationalistischen Be strebungen zugrunde gegangen. Am Schluß dieser bemerkenswerten Rede spricht er von einer ungeheuren Verant wortung Österreichs, sein Antlitz vor dem Gewissen der europäischen Kultur zu wah ren: Denn es ist das Herz Europas, und da der Geist des christlichen Abendlandes ein Geist nicht nur der Verstandesbildung, son dern auch der Herzensbildung ist, ist es In den Reden zu den Paneuropatagen, 1936 und 1937, setzte er sich mit dem Na tionalismus auseinander und bezeichnete ihn als den Todfeind des Friedens in Euro pa. Dabei kam auch Hammersteins per sönliche Anschauung sehr klar zum Aus druck. Es war sein größter Wunsch, daß sich alle Völker und Kulturen gegenseitig respektieren sollten: Jede Nation hat ihre Licht- und Schat tenseiten, die durch Boden, Klima, Ge schichte bedingt und entstanden sind, jede ist fähig großer Taten und Leistungen . . . Es ist bekannt, was Goethe von der dreifa chen Ehrfurcht gesagt hat. Es ist auch be kannt, und leider heutzutage allzu verges sen, mit welcher Achtung er von anderen Nationen sprach, wie er in jeder Nation das Gute, das Eruchtbare und Wertvolle suchte und nur in der gegenseitigen Befruchtung der Nationen den Weg zur Größe der einzel nen sah.^'^ Immer wieder betont er die verbinden de Kulturgemeinschaft Europa, die auf grund der gemeinsamen Entwicklung des Abendlandes eine Schicksalsgemeinschaft sei; die Zukunft Europas könne nur in der gegenseitigen Toleranz begründet sein. A.a.O. S. 15. A.a.O. S. 18-19. Hans von Hammerstein: Kultur- und Schicksals gemeinschaft Europa. 2 Reden. Wien 1937. S. 5 - 6. - Vgl. dazu: Europas Todfeind heißt Natio nalismus. In: Wiener Zeitung. Wien. Vom 18. 5. 1936. Nr. 137. S. 1-2.

Neben der Forderung nach Gleichbe rechtigung der Nationen, postuliert Ham merstein in einer Zeit des extremen Natio nalismus auch ein Grund- und Menschen recht, das Recht jedes Einzelnen auf Aus bildung und geistiges Leben in der eigenen Muttersprache. Nichts lag ihm mehr am Herzen, als vor einem weiteren Krieg in Europa zu war nen. In der Achtung jeder Nation und der Toleranz gegenüber jedem Individuum, sah er Voraussetzungen für einen Völker frieden. Sein Weltbild war von den Ideen eines christlichen Humanismus geprägt. Christlich-humanistische Ideale bestimm ten auch sein Heimatbewußtsein und damit auch seine politische Gesinnung. Zu seiner Einschätzung der damals in Europa herr schenden Krisen und Spannungen, ahnte er bereits die großen Gefahren, die den po litischen Horizont Europas verdüsterten. Katholizismus und Humanismus Auf das Weltbild Hans von Hammer steins haben der deutsche Humanismus und der Katholizismus entscheidenden Einfluß genommen. Beide waren bereits in seinem Elternhaus und auch in seiner Er ziehung vorherrschend. Parallel dazu ist bei Hammerstein aber ein noch stark in der Romantik verhaftetes Denken wirksam. So mißt er der Natur und allen unbeseelten Dingen große Bedeu tung bei. In seinen Werken waltet daher manchmal eine düstere, ja beinahe über sinnliche Atmosphäre, der der Mensch ausgeliefert ist und die ihn leitet. Damit steht er in starkem Gegensatz zum Rationalismus, den er auch wiederholt und vehement angreift. Nach ihm schuf der Rationalismus das System des Kapitalis mus, der durch unmenschliche Arbeitsbe dingungen das Individuum unterjocht und den Einzelnen zu einem Massenmenschen werden läßt. So wird der Mensch von der Arbeit immer mehr versklavt: Industrie und Technik hat eine neue Welt geschaffen. Aber auf eine Kleinigkeit haben sie dabei vergessen: auf den Men schen. Sie haben endlich ihrer selbst, der In dustrie und derTechnik willen und nicht mehr des Menschen halber gebaut und ge wirkt. Eine furchtbare Welt der Sachlichkeit ist entstanden, die den Menschen aussaugt und wehrlos macht. Diese Zustände sind sicherlich mit ein Grund seiner Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, als der Mensch noch im Einklang mit der Natur lebte, sich von ihr zwar er nährte, sie aber nicht ausbeutete und so das Angesicht ganzer Landstriche veränderte. In erstaunlicher Voraussicht beurteilt er die Gefahren der Zivilisation und eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums, der zu einem immer größeren Raubbau an der Natur führt. Die Veränderungen in den letzten hun dert Jahren sind größer, als die der letzten tausend Jahre. Er bezeichnet diese Ent wicklung als den Kampf zwischen der Na tur und der Technik.^® Anläßlich der Eröffnung der achten Ausstellung der Innviertier Künstlergilde (am 31. Juli 1926), setzte sich Hans von Hammerstein mit dieser Problematik aus einander.^^ Während für die Menschen des Altertums und des Mittelalters bebaute Flächen schön erschienen, unbebaute aber als wild und schrecklich, so kehrte die Na turschwärmerei des 18. und 19. Jahrhun derts diese Ansicht um: Für uns wird heute die unberührte Natur zum Erlebnis . . . Hans von Hammerstein: Kunst und Technik. In: Linzer Volksblatt. Linz. Vom 3.8.1926. Nr. 176. S. 2. Ebenda. S. 1. " A.a.O. S. 1-3.

Kultur- und Denkmalschutz Die Technik ist im Kampf mit der Na tur Siegerin geblieben. Mit dem Rückzug der Natur ist aber auch für Hans von Ham merstein jene Kunst im Rückzug, die ur sprünglich doch in der Natur begründet war, die all jene Erscheinungen geschaffen hat, die Kultur genannt werden. In der heutigen Zeit, so folgert er, ist die Kunst deshalb im Rückzug. Zwei Er scheinungen bezeugen dieses Phänomen. Zum einen tritt besonders in den ehemali gen alten Kulturländern Europas plötzlich der Gedanke des Natur- und Denkmal schutzes zutage. Diese beiden Begriffe be deuten doch eigentlich, daß etwas ge schützt werden muß, das gefährdet ist. Für ihn ist dies ein deutliches Zeichen dafür, daß die Kultur und mit ihr die Landschaft vor der alles überrollenden Technik behü tet werden muß.^® Die zweite Erscheinung, die dem Dich ter symptomatisch für die heutige Zeit er scheint, ist die Stilverwirrung, die in zahl reichen Bauten ihren Ausdruck findet. Be sonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahr hunderts versuchte man, die neuen Zweck bauten mit den Masken alter Stile zu über decken. Mit Hilfe einer nachgeahmten Kunstrichtung sollte die eigene Kulturlosigkeit verborgen werden. Die moderne Zeit hat für Hans von Hammerstein zwei Lebenshaltungen ge schaffen, die den gesamten Erdkreis ge prägt haben: den Materialismus und den Idealismus. Der Materialismus scheint sich selbst in zwei polaren Bewegungen zu bekämpfen: im Kapitalismus und im Bolsche wismus.^® Beide sind völlig auf die Fragen des wirtschaftlichen und materiellen Wohl ergehens der Menschheit ausgerichtet. Doch was ist mit der Kunst in diesem Kampf der rein wirtschaftlichen Lebens und Weltgestaltung? Für Hammerstein scheint kein Platz mehr für künstlerische Äußerungen auf dieser Welt: Das Interesse an den höheren, geistigen Gebieten des Lebens scheint allgemein ab zusterben, denn eine Menschheit, die vor al lem um das tägliche Brot ringt, hat, so sagt man, weder Zeit noch Mittel, an den Er werb von Kulturgütern zu denken.^° Dennoch ist es eine seltsame Erschei nung, daß der Materialismus die Kunst nicht entbehren will. Der Kapitalismus der westlichen Welt versucht, nach der Devise, daß Geld Macht ist, den verarmten Kultur nationen Europas alte Kunst- und Kultur schätze abzukaufen. Nach dieser Geistes haltung ist es leichter, Kunst zu erwerben, als sie zu schaffen. Der kommunistische Osten wiederum bedient sich der Kunst als Mittel wirksamer Propaganda. Hier will man also „Entgeistigung" erreichen, um ei ner „Verstofflichung" des Lebens den Weg zu bahnen. Emst ist die Kunst Hans von Hammerstein hält scharfe Abrechnung mit seiner Zeit, indem er den materialistischen Systemen vorwirft, die menschliche Natur zu verleugnen. Die Überzeugung, daß in der Natur ein Geisti ges schaffend waltet verpflichtet ihn, sich als Künstler gegen materialistischen Zeit geist zu setzen. In seiner Rede zur Eröffnung der sech sten Ausstellung der Innviertier Künstler gilde (am 18. Juli 1925) in Bad Ischl,®® for dert Hammerstein alle Künstler und Kunstinteressierten auf, der Kultur wieder den ihr gebührenden Stellenwert im öffentEbenda. S. 1. Hans von Hammerstein: Emst ist die Kunst.In: Linzer Volksblatt. Linz. Vom 21. 7. 1925. Nr. 164. S. 1. Ebenda. Ebenda. Ebenda. S. 2. Ebenda. S. 1-3.

liehen Leben einzuräumen. Das moderne Leben bestehe nur mehr aus Arbeit, mit der man möglichst viel Geld verdienen wol le, um die Freizeit damit angenehm zu ge stalten und geistlosen Vergnügungen nach zugehen. Heute, betont Hammerstein, müsse das hellenistische Ideal, wonach die mate rielle Schicht des Daseins ernst, die Kunst aber sinnig, unberührbar und ideal über dieser stehe, korrigiert werden.^'' Es gelte vielmehr, daß die Kunst ernst sein müsse, in einer Zeit, da die Stätten des kulturellen Lebens zunehmend veröden. Dem Künstler sollte dies zur Mahnung dienen, wieder Großes zu schaffen. Heute gelte es wieder, das Geistige im Menschen zu wecken. In der übertechnisierten Welt, in der der Einzelne sogar die Beziehung zu seiner Arbeit verloren habe, falle es vor al lem dem Kunstschaffenden zu, den Men schen wieder auf sein eigenstes Wesen, auf sich selbst zurückzuführen. So scheint Hammersteins Postulat aueh heute noch Gültigkeit zu haben: „Der Arbeiter jeder Art, der ein geistiges Prinzip der Natur anerkennt, erkennt auch die hö here Bestimmung seiner Tätigkeit."^® Doch auch dem Erzeugnis des Großbe triebes müßte dieser Geist nicht mangeln, wenn Arbeiter und Unternehmer ein höhe rer Geist, ein Geist der Verantwortlichkeit für einander und vor der Menschheit, ein Geist der Pflicht, ein schöpferischer Geist überhaupt beseelt, der freilich nur einer stofflichen Weltanschauung nicht entsprin gen kannf^ Wenn man künstlerischen Äußerun gen mehr Platz im öffentlichen Leben ein räumte, so könnte sich auch wieder das na türliche Empfinden des Menschen durch setzen. Das schöpferische Leben, die Seele der Natur und was von ihr abgeleitet wird, ist Gott. Im Materialismus herrsche jedoch der entgegengesetzte Geist; ein Gegen gott.Und weiter führt Hammerstein aus: Und alle, die hier kämpfen und mit kämpfen wollen, mögen sich über eines klar werden: daß jener ungeheure Fehler, den der Materialismus in seiner offiziellen An schauung der Natur zu begehen scheint, kein Irrtum der Wissenden sein kann, nein, daß er nichts weiter ist, als ein ungeheurer Bluff, der den wissenden Führern helfen soll, einer in die Irre geführten Masse ihre unbedingte Herrschaft aufzuknechten.^ Künstler als Menschenführer Der Künstler ist daher für Hammer stein zum Vertreter der Menschlichkeit aufgerufen. Er soll der Technik und der da mit verbundenen menschlichen Verfla chung durch ein neues Kunstbewußtsein neue Werte vermitteln. Immer wieder fordert er eine naturhaf te Kunst. In der Natur kommt der Einzelne wieder zu sich selbst, findet er in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen sein eigenes Wesen begründet. Auch alle litera rischen Werke Hammersteins vertreten diese Ansicht. Das Weltbild, wie es sich in seinen kul turpolitischen Reden äußert, ist demnach identisch mit dem, das er in seinem dichte rischen Werk vertritt. Auch die Gewißheit, „Übriggebliebener" einer verflossenen Epoche zu sein, beeinflußt seine Schau. Aus alter Familie stammend, fühlt er es als seine Pflicht, alte Werte dem heutigen Menschen zu vermitteln und wieder nahe zubringen, die einst richtungsweisend für mensehliches Zusammenleben waren: Ritterliehkeit, Hilfsbereitschaft gegenüber Schwachen und Bedürftigen und schließ lich der christliche Glaube, der ebenso wie Ebenda. S. 1-2. Ebenda, S. 2. Wie Anm. 25. ^ Ebenda. S. 3. A.a.O. S. 3.

ein starkes Naturempfinden im Menschen verankert sein sollte. Diese Werte kommen bei ihm immer wieder zum Ausdruck. Für ihn bedeutet dies aber keineswegs, daß sich das Indivi duum Normen zu unterwerfen habe. Er be tont die Freiheit des Einzelnen und wendet sich gegen gesellschaftliche Zwänge. Als Naturpoet sieht Flammerstein die Zukunft des Menschen nicht in erstarrter und über kommener Tradition, sondern in einer Po sition der freien Entscheidungen und in na turhaftem Empfinden. Der Mensch soll in Harmonie mit seiner Umwelt leben. Frei und ungebunden soll sich der Einzelne sei ner selbst besinnen und so zu seinem inner sten Wesen gelangen. In seinem Leben hat er jene Grundsät ze und Ideale, für die er sich als Dichter wie als Kulturpolitiker einsetzte, konsequent befolgt. So wird er zu einem glaubwürdigen Kritiker seiner Gesellschaft, vor der er sich auch nicht scheut, offen auf Fehlentwick lungen und Mißstände hinzweisen. Kunst- und kulturgeschichtliche Aspekte Hans von Hammerstein versucht, das kulturelle und künstlerische Schaffen der Gegenwart wieder auf seine ureigensten Wurzeln zurückzuführen. In seinem Wunsch, daß jedem Menschen, insbeson dere dem Künstler, sein eigenstes Wesen wieder bewußt werde, geht er von der Überzeugung aus, daß die erste eigenstän dige Kunstäußerung in Deutschland wie in Österreich im Zeitalter der Gotik erfolgt ist. Man darf jedoch nicht übersehen, daß dies gleichermaßen für Frankreich gilt, wo die Gotik ihren Ursprung genommen hat. Die entscheidende Ursache für das Verschwinden der Gotik sieht er im Auf treten der Renaissance. Für ihn ist sie kei neswegs eine Wiedergeburt der Antike, wie dies vor allem die Klassiker in der Re naissance-Dichtung zu erkennen glaubten. Mit Dürer brach im Zeichen der Renais sance vielmehr die eigenständige künstleri sche Entwicklung jäh ab. Seither hat das deutsche Kunstleben immer wieder vieler lei verschiedenen Formen und Ausdrücken nachgeeifert, hat aber nie mehr ganz ihren eigenen Ausdruck in der Kunst wiederge funden.^® In der Renaissance, einer Stilepoche der lichtvollen und lebensbejahenden Wei te und Heiterkeit, sieht er eine Reaktion, eine Revolution der südlichen Völker. Durch ihre eigene Wesensart, ihre Gestal tungsfreude, war die Renaissance eine Re aktion auf die ehemalige Zerstörung der antiken und klassischen Kunstformen durch die Goten. Hammerstein wendet sich nicht gegen die Kunstrichtungen der Renaissance und des darauffolgenden Barock, sondern viel mehr gepn die Art, wie in Österreich die Gotik dieser neuen Kunstform Platz ma chen mußte: Von unseren alten Kirchen ist zumeist nur noch die äußere Hülle geblieben. Die gotischen Fenster sind gerundet, ihre Maß werke mit Stuck überkleistert, ihre Malerei en in Scherben geschlagen und statt des mit telalterlichen Farbendüsters wurde das helle Licht in klaren Scheiben hereingelassen, die ursprünglichen Altäre hat man ganz roh hinausgeschmissen und zu Brennholz ver kleinert und an ihre Stelle prunkvolle Auf bauten ohne jede Rücksicht auf das gegebe ne Raummaß aus hölzernem und pappenem Marmor gesetzt.^° Auch der Barock mußte dem Wechsel der Kunstrichtung weichen. Es wurde durch die „tragantartigen" und sentimenta len Erzeugnisse der achtziger und neunzi ger Jahre verdrängt. Hammerstein spricht ^ Hans von Hammerstein: Wiedergeburt. In: Lin zer Volksblatt. Linz. Vom 20, 2. 1925. Nr. 4L S. 1. ^ Ebenda. S. 1-2.

über diese Epoche von einer „Fabriksgotik".^^ Im dauernden Wechsel, in den Aus einandersetzungen zwischen den Kunst richtungen erblickt er einen Kampf der Geister. Kunst im raschen Wechsel Bis zum 19. Jahrhundert seien es im merhin Jahrhunderte gewesen, die zu ei nem Wechsel der Kunstrichtungen geführt hätten. Die heutige Zeit aber, mit ihrem ra schen Wechsel, begnüge sich bereits mit Jahrzehnten. Die neuen Kunstrichtungen treten immer schneller auf und verschwin den ebenso rasch. Was Hans von Hammerstein fordert, ist eine Rückkehr zur eigenen Art, der Mut, heimatlich-österreichisch zu schaffen. Auf dem Weg dorthin ist für den Dichter die Gotik ein Vorbild, weil auch sie aus dem Innersten schuf, wogegen die Renais sance und der Barock der profanen Pracht und dem Wohlleben huldigten. Hammerstein geht auch der Frage nach, warum sich die katholische Kirche seit der Zeit des Barock keinem künstleri schen Stil mehr öffnete. Die Ursache sieht er darin, daß die Kulturwelt seither keine „lebendige Kunst" mehr geschaffen hat. Deshalb gibt es auch für ihn keinen großen Stil mehr. Der Kunst und Kultur ging eine einheitliche Weltanschauung verloren, da mit begann ein Suchen und Zweifeln. Für das 20. Jahrhundert findet Hammerstein jedoch die Forderung nach einer einheitli chen Kunstrichtung nicht relevant: Die Einheitlichkeit, einmal zertrüm mert, liegt nicht mehr in unserer Zeit und unserer Entwicklung. Unsere Entwicklung geht zu weiterer Vereinzelung, Individuali sierung, zum Persönlichen, und zwar um so intensiver, je mehr Sozialisierungsversuche gemacht werden und je mehr das Materielle das Wirtschaftliche vergemeinschaftet wird.^ Diese Emanzipation des Künstlers, die Befreiung aus Zwängen des Stiles und des Geschmackes wertet Hammerstein als po sitives Zeichen. Er fordert nur, daß sich echte und wahre Kunst entschieden auf die Seite des Positiven stellen sollte; es gelte, das Göttliche und Religiöse in seiner tief sten Innerlichkeit sehen zu wollen. Ein Vorbild sieht er in dem Tiroler Ar chitekten Clemens Holzmeister, der in Batschuns in Vorarlberg eine Kirche ge schaffen hatte. An diesem Bau sieht der Dichter das Streben nach eigenständiger, positiver Kunst verwirklicht. Er lehnt an der zeitgenössischen Kunst nur das Negative ab. Der Geist der Vernei nung, der aus diesen Werken spricht, kann seiner Meinung nach nicht von einem wah ren Künstler ausgehen. Hammersteins Stellung zur kulturgeschichtlichen Ent wicklung, die Österreich seit dem Ersten Weltkrieg genommen hat, findet in den Landschaftsdarstellungen über seine Wahlheimat Oberösterreich sichtbaren Ausdruck. Oberösterreich - wie es früher war In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg will der Dichter noch eine Harmonie im Zusammenleben der Menschen sehen, die er später nicht mehr zu finden glaubt. Von seiner Geisteshaltung zeugt auch die Schil derung „Sonntag in Oberösterreich".^ Hammerstein beschreibt in eindrucksvol len Stimmungsbildern, was sich gegenüber A.a.O. S. 2, Hans von Hammerstein: Wiedergeburt. In: Lin zer Volksblatt. Linz. Vom 21. 2. 1925. Nr. 42. S. 1. (Fortsetzung des Aufsatzes aus der vorherge henden Nummer.) Linzer Volksblatt. Linz. Vom 21. 2. 1925. S. 2. Hans von Hammerstein: Sonntag in Oberöster reich. In: Oberösterreich. Linz. 2. Jg. H. 1. 1935. S. 19-37.

der Vorkriegszeit in der Lebensart der Oberösterreicher verändert hat. Er beklagt das Schwinden jener Harmonie in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Den Sonntag wußte man noch zu feiern, da sich noch keine Hektik breit gemacht hatte: Damals war der Mensch noch kein Fußball der Zeit, damals hetzte er noch nicht in überfüllten Zügen alpenwärts, um der zerarbeiteten Woche atemlos einen zer streuten Sportsonntag abzujagenf^ Dieses scheinbar noch behäbigere und ruhiger dahinfließende Leben wurde durch den Krieg schlagartig zerstört. Man zer schlug, was jahrhundertelang gefügt und aufgebaut worden war. Besonders die Ju gend sieht Hammerstein gefährdet und von politischer Massenwerbung angelockt. Hammerstein erkannte in der Zwi schenkriegszeit eine Epoche, die alte Vor bilder und ein überliefertes Kulturerbe ab geworfen hatte und nun versuchte, in ei nem immer schneller werdenden Kreislauf möglichst viel zu produzieren. Daß der Mensch dabei auf der Strecke bleibt und im Zeichen der Weltwirtschaftskrise eine ka tastrophale Arbeitslosigkeit viele Österrei cher an den Rand des Ruins treibt, betont Hammerstein oftmals. Die furchtbare Si tuation vieler Arbeitsloser ist für ihn der Beweis, daß sich die Menschheit in eine fal sche Richtung entwickelt hat. Die ehemali ge Harmonie, in der der Mensch das erar beitete, was auch gebraucht wurde, ist durch eine nur auf Gewinn gerichtete Mas senproduktion zerstört. Im Gefolge stellt Hammerstein auch das Schwinden der Fä higkeit zu spontaner Freude fest. Er ver meint, in vielen Menschen das Ahnen einer kommenden Katastrophe feststellen zu können: Oder wissen wir, wie die düstere Seherin der Edda, daß nach „dem Sommer mit we hen Wettern" die sieben Weltwinter vor dem Untergang kommen? Zuweilen will es so scheinen; denn „Brüder befehden einander, Unerhörtes ereignet sich, große Schand tat.. . Beilalter, Schwertalter, Windzeit, Wolfzeit, ehe die Welt stürzt. . ".^® Mag Hammerstein auch die alten Zei ten idealisiert haben, mit dieser Voraus sicht eines kommenden Weltkrieges sollte er recht behalten. Ein weiteres kulturgeschichtliches An liegen ist dem Dichter die Darstellung ihm bekannter Landschaften, die noch nicht von der „modernen Zeit" erreicht wurden. Für ihn ist das Innviertel ein Landstrich, der noch am ehesten seinen Idealvorstel lungen entspricht.®^ An diesem Beispiel will er uns zeigen, wie Natur und Kultur harmonisch miteinander leben könnten. Hanunersteins Kulturbegriff Was Hammerstein unter Kultur ver steht, legt er in seinem Artikel „Was ist Kultur?"®® dar. Zunächst unterscheidet er zwischen Kultur und Zivilisation. Zivilisa tion wird von ihm als technische und mate rielle Vervollkommnung des Menschen verstanden, Kultur hingegen als Ausdruck der Seele. Kultur als intensive Erfahrung kann daher mit Zivilisation als extensiver Erfahrung und deren rascherem Entwick lungsverlauf niemals Schritt halten. Beide Gebiete sind s.E. jedoch sehr verschwim mend. Kultur verhält sich zur Zivilisation wie die Seele zum Leib des Menschen. Kultur ist jedem Einzelnen oft leichter zugänglich, als so manche Errungenschaft A.a.O. S. 25. A.a.O. S. 35. Vgl. dazu: Hans von Hammerstein: Das obere Innviertel. In: Oberösterreich. Linz 1925. S. 192 - 203. Hrsg. F. Berger. - Derselbe: Die Stadt Braunau und ihr Maler Hugo v. Preen. In: Jahr buch der Innviertler Künstlergilde. Braunau - Ried 1931. S. 9-18. Hans von Hammerstein: Was ist Kultur? In: Österreichische Rundschau. Wien. 3. Jg. 1936/ 37. S. 97-101.

der Zivilisation. Kultur bedarf keines gro ßen materiellen Aufwandes um gepflegt zu werden. Im kirchlichen Leben offenbart sich das Wesen der Kultur am deutlichsten. Die Liturgie vereinigt als Gesamtkunst werk dichterische Sprache, Gebärde, Mu sik, bildende Kunst und Architektur zu ei ner harmonischen Einheit. Kultur - als etwas Gefühlsmäßiges, nicht Greifbares - kann nicht erworben werden. Das zeigt sich Hammerstein am einfachen bodenständigen Volk: Volks bräuche, Trachten und Tänze, ebenso wie Werke der Volkskunst, soweit sie ur sprünglich sind, äußern ein großes Maß an kulturellem Verständnis und die Sicherheit des Geschmackes für alle Darstellungen des Schönen. Zugleich widerspricht er der Auffassung, Kultur könne nur aus der Tra dition entstehen. Diese habe das Kulturgut der letzten Jahrhunderte gleichsam abge wogen und nur das Wahre und Echte sei im Laufe der Zeiten überliefert worden; auch die Gegenwart manifestiere sich in kultu rellen Äußerungen. Hammerstein appelliert an alle, in ei ner Zeit der Zweckmäßigkeit auch soge nannte „zwecklose" Formen im Leben an zuerkennen, wie Kultur, Dichtung, Musik, aber auch Anmut und Höflichkeit. Die Materie knechtet uns, der Geist aber führt uns zu wahrer menschlicher Größe. Wiedergeburt der Menschlichkeit In seiner Schrift „Wiedergeburt der Menschlichkeit'"'" hat Hans von Hammer stein, in der Schau auf eine künftige Ent wicklung der Menschheit, Gedanken von unveränderter Aktualität entwickelt und darin seine kulturpolitischen Zielvorstel lungen formuliert. Die Überlegungen, die er anstellt, ver raten eine tiefe Sorge um die Zukunft der Menschheit. Den friedlichen Fortbestand der Welt will er durch humanistische Bil dung, verantwortungsbereites Kulturbe wußtsein und einen vertieften Gemein schaftssinn gesichert wissen. Der Dichter sieht den Sinn der Bildung in der Zusammenschau des Wissens. Hier setzt er seine Kritik am herrschenden Bil dungswesen an. Heute, so bemängelt er, werde umfas sendes Wissen zugunsten von spezialisier ten Kenntnissen aufgegeben. So erziehe man reine Fachmänner, die aber ungebil det bleiben.'" In der Beziehungslosigkeit des halbgebildeten Menschen zu ihm unbe kannten Gebieten sieht Hammerstein eine harmonische Gesamtentwicklung gefähr det. Ein wahrhaft gebildeter Mensch sollte möglichst viele Fähigkeiten in sich wecken und vereinen. Das Wissen um die Zusam menhänge von Mensch, Natur und Kultur lasse beste Lösungen für alle Probleme fin den. In der humanistischen Bildung sieht der Dichter sein Ideal; die Hellenen waren es ja vor allem, die den einzig irdisch voll kommenen Menschen hervorgebracht hat ten.Dieses Volk erreichte auch den Aus druck höchster Vollkommenheit in seiner Kultur. Andere Versuche im Laufe der Ge schichte, diesem Ideal nachzueifern, sind immer in den Ansätzen steckengeblieben. Nur die Klassik, mit Winckelmann an der Spitze, der die Grundlagen und den Geist des Griechentums wieder entdeckte, hat mit Lessing, Goethe, Schiller, Wieland, Herder und Hölderlin den Geist der Anti ke wieder aufleben lassen. Unter Bildung versteht Hammerstein aber keineswegs „eingetrichtertes" Wis sen, das er besonders in Schulen praktiziert Ebenda. S. 98. Hans von Hammerstein: Wiedergeburt der Memschlichkeit. Wien 1937 (= Schriftenreihe „Ausblicke"). A.a.O. S. 50. "2 Ebenda. S. 41.

sieht. Dieses widerspricht seiner Auffas sung von freier und unabhängiger Erzie hung des Menschen. Sein zweites großes Anliegen ist der Schutz und die Erhaltung der Natur. Durch die immer rascher fortschreitende Zivilisa tion wurde die unberührte Natur gedan kenlos zerstört: . . . die Industrie hat ganze Landschaf ten, darunter kostbarste, brutal zerstört, ver schwelt und verpestet, die Städte sind ein be täubendes Wirrsal von Lärm, Grellheit und Häßlichkeit geworden, die Reklame zer schreit Plätze und Straßen, sie hüpft, ein lä stiges Bettelvolk, in schrillen Lettern und Farben, die grüne Natur beleidigend und unschuldige Dörfer beklecksend, noch stundenweit neben dem Reisenden herf^ Die Zivilisation bemüht sich um kei nen künstlerischen Ausdruck mehr. Was Hammerstein an seiner Zeit so sehr kriti siert, ist das Unechte und Geschmacklose im künstlerischen Ausdruck. Statt eines ei genständigen Stiles sieht er nur mehr Imita tionen der ehemaligen Kunstrichtungen. Diese Kulturlosigkeit ist für ihn ein Zei chen einer sinnentleerten Zeit; er verurteilt romanisch nachempfundene Bahnhöfe oder neugotische Zinskasemen.''^ Zwar werden jetzt ebendiese Zweck bauten der damaligen Zeit neu entdeckt, werden große Bemühungen unternom men, diese Form eines Zeitausdruckes zu erhalten, doch in seiner Forderung nach ei ner neuen, spontanen Kunstauffassung bleibt der Dichter auch heute noch aktuell. Seinem Naturgefühl entsprechen die Anregungen zur sinnvollen Gestaltung der Umwelt. Damit berührt er brennende Zeitprobleme. Bereits in den zwanziger Jahren beklagte er die systematische Zer störung der Natur durch die Industrie und die unmenschlichen Architekturen, deren Tragweite uns heute schmerzlich bewußt werden. Verspätet versucht man nun, vom Fortschrittsgedanken abzugehen und die Werte einer gesunden Umwelt der Gesell schaft bewußt zu machen. Eine weitere Forderung zeugt von sei nem großen kulturpolitischen Verantwor tungsbewußtsein. Immer wieder appelliert er für einen umfassenden Landschafts- und Denkmalschutz. Den Bestand an kunsthi storisch wertvollen Gebäuden und Häu sern sieht er gefährdet. Damals schon emp fiehlt er, Landschafts- und Denkmalschutz nicht allein durch Bürokraten zu organisie ren, vielmehr auch den Künstler und den gebildeten Fachmann in dieser Frage zu Wort kommen zu lassen.'*^ Leidenschaft lich klagt Hammerstein über Schäden, die die Zivilisation an den Kulturgütern ange richtet hat: Was die Zivilisation in den hundert Jah ren ihrer Entwicklung auf-, zu- und ange richtet hat, kann nicht wie die unappetitliche Hinterlassenschaft eines Gastmahles abge räumt, nicht wieder hergestellt, kaum ver bessert wer den Wenn man heute in der Auswahl von Einrichtungsgegenständen vielfach wieder auf das alte, solid gefertigte Möbelstück zu rückgreift und sich eine große Nachfrage nach Antiquitäten bemerkbar macht, so mag dies sicherlich auch als eine Reaktion gegen die seelenlose und gleichförmige Massenproduktion der letzten Jahrzehnte zu verstehen sein. Von allen Kunstschaf fenden verlangt er deshalb: Es muß wieder mit der Seele, die Geist und Gemüt, Verstand und Gefühl umfaßt, es muß mit Kopf und Herz gebaut und ge staltet werden, wenn Kultur und Stil neu ent stehen sollen Die Forderung nach Bildungsreform, Schutz von Natur und Kulturgütern und der Aufruf an die Künstler, wieder „mit der Ebenda. S. 32 - 33. ^ Ebenda. S. 31. Ebenda. S. 38 - 39. Ebenda. S. 37. Ebenda. S. 36.

Seele" zu bauen und zu gestalten, münden schließlich in Hammersteins drittes großes Anliegen; die Wiedergeburt der Mensch lichkeit. Ursachen, die zum Verlust der Menschlichkeit und Menschenwürde füh ren, sieht Hammerstein im Krieg, in der Großindustrie, sowie im Großstadtmilieu und in der Vermassung. All diese Faktoren verleiten zur Unmenschlichkeit. Der Krieg ist zum Massenvernich tungsmittel geworden, nicht nur mit Waf fen, auch durch Propaganda, Aushunge rung und Vernichtung ganzer Völker wird der Mensch geknechtet und in Schrecken gehalten. Die Industrie „benützt" das Individu um, kalkuliert mit Menschenmassen und macht den Einzelnen zu einem Lohnskla ven. Auf der Strecke bleiben die Arbeits und Brotlosen. Die Großstadt hat ebenfalls menschli che Züge. Sie zieht die Leute wie ein Stru del an, hetzt sie von Geschäft zu Geschäft und läßt die Schwachen erbarmungslos fal len. In der Masse, die in den dreißiger Jah ren Opfer gewissenloser Propaganda zu werden drohte, sieht Hammerstein eine immense Gefahr, denn animalische Re gungen und Gefühle, die dem Einzelnen sonst fremd sind, treten in der Masse plötz lich zutage."^ Welchen Weg zu einer neuen Mensch lichkeit sieht aber der Dichter? Zunächst ruft er alle gutwilligen Menschen auf, sich an das schlichte göttliche Gebot zu halten: „Liebe deinen Nächsten". Die Liebe über windet Haß, Neid, Ausbeutung und Er niedrigung."*® Aus dieser Überzeugung appelliert er an die Völker, einander zu achten und zu tolerieren, positive Leistungen auch ande rer Nationen anzuerkennen. Daß dieser Appell ohne Echo blieb, mußte wenig spä ter Hammerstein schmerzlich erkennen. Sein ideales Ziel, die neue Menschlichkeit, ging auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges und in den Konzentrationsla gern unter. Es spricht aber für den Dichter, daß er - aus dem Konzentrationslager gesundheit lich schwerst geschädigt heimgekehrt - noch viel eindringlicher als Christ sein Ideal verfocht. In-seinem letzten Bekenntnis, einem Auszug einer Schrift, die nach seinem Tode nur fragmentarisch abgedruckt wurde, heißt es: Er (= Christus, Anm. d. Red.) allein bleibt uns als sicherer Glaube untrügliche Hoffnung, alles wiederaufbauende Liebe; Er als gottmenschliches Vorbild des EwigPersönlichen, das so erkannt, nun aller dings „das höchste Glück der Erdenkinder" ist, unerreichbar zwar, wie jedes wahre Vor bild sein muß, doch eben darum einzig fä hig, den Menschen an seiner Seele beständig höher zu entwickeln, nicht zum hoffärägen „Erdregierer", aber zum Meister aller irdi schen Lagen . . Hammerstein und die christlich-konser vative Kulturbewegung Dem Vordringen der christlichsozia len Partei um 1900, nach einer Ära der liberalen Anschauungen, folgte vor allem die katholische Kulturarbeit. Diese christlichsoziale Volksbewe gung wurde begleitet und getragen von einer starken geistigen und kulturellen katholischen Emeuerungsbewegung. Sie äußerte sich in Österreich in der 1892 gegründeten „Leo-Gesellschaft", die ein Zentrum der katholischen Wissen schaft und Geistigkeit wurde. Ebenda. S. 12. Ebenda. S. 14. Das Bekenntnis Hans Freiherm von Hammersteins. In: Die Furche. Wien. Vom 30. 8. 1947. Nr. 34, S. 5.

Zugleich folgte auch auf dem Gebiet der Dichtkunst ein Vorstoß. Autoren wie Ottokar Kernstock, Karl Domanig, Lau renz Müllner und vor allem Enrica von Handel-Mazzetti prägten diese Zeit. In Österreich war es Richard von Kralik,®! der seine Tätigkeit in den Dienst der katholischen Bewegung stellte. Kralik, aus dem Böhmerwald stammend, lebte in Wien und widmete sich vor allem Studien und literarischen Arbeiten. Er bemühte sich eifrig um die Schaffung eines katholi schen Schrifttums, indem er einen beson ders konservativ-romantischen Stand punkt einnahm. Gegen diese Form der Literaturauf fassung wendete sich Karl Muth,®® ein Rheinländer, der in einer 1898 unter dem Pseudonym „Veremundus" erschienenen Schrift „Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?"®^ diese Frage ne gativ beantwortete. Muth warf den christ lich-konservativen Literaten vor, sich ab seits der modernen Technik der Dichtung zu stellen. Auch mit zeitgemäßen Mitteln in der Dichtung könnten christliche Werte vermittelt werden. Dieser Auffassung wi dersetzten sich vor allem die Dichter der „alten Schule" unter Führung Kraliks. In einer weiteren Schrift „Die litera rische Aufgabe der deutschen Katholiken - Gedanken über katholische Belletristik und literarische Kritik, zugleich eine Ant wort auf meine Kritiker" führt Muth 1899 aus, wichtig sei vor allem, daß sich die katholischen Dichter den modernen Stil zu eigen machten.®® Kralik hielt Muths Literaturtheorie für verfehlt, sodaß sich dieser Streit über einige Jahre hinzog. Die Unterschiedlich keit der beiden manifestierte sich in der von Kralik 1906 begründeten Zeitschrift „Der Gral — Monatsschrift für schöne Li teratur" und in dem von Muth ab 1903 herausgegebenen Periodikum „Hoch land". Beide Veröffentlichungen dienten eine Zeitlang zu einem guten Teil dieser Auseinandersetzung zwischen Wien und München.®® Der Gegensatz in der Anschauung entsprang vor allem gegensätzlichen Be griffen eines katholischen Literaturver ständnisses. Kralik, vor allem dogmatisch eingestellt, betonte immer wieder den Zu sammenhang von Inhalt und Form der Dichtung, während Muth es für möglich hielt, einen modernen Stil, der sich für die Gestaltung eines Inhalts als notwendig er wiesen hat, auf einen spezifisch katholi schen zu übertragen.®^ Zu den Anhängern von Kraliks The sen, die in einer losen Vereinigung, dem „Gralbund", versammelt waren, gehörten unter anderen die Schriftsteller Karl Do manig, Franz Eichert, Adam Trabert, Eduard Hlatky, Norbert Stock und Gaudentius Koch.®® Anm.: Richard Kralik von Meyrswalden, 1852 — 1934. Vgl. dazu: Richard von Kralik: Gral und Roman tik. Eingeleitet und ausgewählt von Moriz Enzin ger. Graz —Wien 1963. (= Stiasny Bücherei: Das österr. Wort. Band 132) " Karl Muth, 1867 - 1944. " Karl Muth: Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Mainz 1898. Karl Muth: Die literarische Aufgabe der deut schen Katholiken. Mainz 1899. Vgl. dazu: Eugen Thurnher: Katholischer Geist in Osterreich. Das österreichische Schrifttum im 20. Jahrhundert. Bregenz 1953. Ebenso: Eugen Thurnher: De katholieke Literatuur in Oostenrijk. In: Taels J.: De katholieke Literatuur in de XX. Eeuw. 1. Bd. onder redactie van Dr. J. Taels. Antwerpen 1954. S. 171 -202, besonders S. 172 - 173. Vgl. dazu: Friedrich Funder: Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik. Wien 1952. S. 346 ff. Vgl. dazu: Johannes Mumbauer: Die deutsche Dichtung der neuesten Zeit. Erster Band. Frei burg 1931. S. 118

Zu Muths Befürwortern zählten be sonders Anton Lohr, der die Zeitschrift „Literarische Warte - Organ für das Streben unserer Jugend" redigierte. Unter den Leuten der „Literarischen Warte" und einer weiteren Zeitschrift, dem „Literari schen Ratgeber für die Katholiken Deutschlands", waren es vor allem der Franziskanerpater Expeditus Schmidt®® sowie Ernst Thrasolt, Flaskamp und Witkop, die sich um eine Neuorientierung der katholischen Literatur besondere Ver dienste erwarben. Andere katholische Literaturzeit schriften, wie die von Leo Tepe van Heemstede herausgegebenen „Dichter stimmen der Gegenwart",®® in der Hans von Hammerstein seine ersten Gedichte veröffentlichen konnte, oder Ansgar Pöllmanns Zeitschrift für religiöse Dichtung „Gottesminne",®^ hielten sich aus dem Literaturstreit heraus und übten in dieser Richtung keinen Einfluß aus. Der Katholikentag in Würzburg, 1906, brachte in dieser Auseinander setzung kein Ergebnis. Den Abschluß dieses Literaturstreites brachte Karl Muths Schrift „Die Wiedergeburt aus dem reli giösen Erleben - Gedanken zur Psycho logie des katholischen Literaturschaffens" 1909, in der er die Grundsätze einer ka tholischen Literaturauffassung deutlich darstellte. Im Falle von Hans von Hammer steins Dichtung treten diese gegensätz lichen Begriffe von katholischer Dichtung ebenso zutage. In seinem Faschingsroman „Februar"®^ setzt sich Hammerstein in kri tischer Form mit der konventionellen Moral und dem Standesdünkel einer „Sa longesellschaft" auseinander. Dazu schreibt Franz Herwig in seiner Buchbesprechung in der von Karl Muth herausgegebenen Zeitschrift „Hochland": Hammerstein ist hier wie dort so weit von jeder Schmutzerei, welche allein die moralische Entrüstung oder ein — Schwei gen rechtfertigen könnte, entfernt, als ein junger, hochgesinnter Mensch überhaupt von jeder Schmutzerei fern ist.^^ C. Schmitt beurteilt wiederum diesen Roman Hammersteins in der „Bücher welt" folgendermaßen; So die Fabel des Romans mit ihren drei bis vier größeren Stufen und ihrer schmerzlich-widerwärtigen Katastrophe der zerstörten Verlobung durch einen leichtsinnigen Abenteurer. Hätte der Dich ter der Agathe eine folgerichtigere Cha rakterfestigkeit mit Seelenkampf gelassen, das Werk hätte nicht den psychologischen Knick, den es jetzt aufweist [. . .] Statt der stickig-schwülen Atmosphäre des zweiten Teils hätte da die Stimmungsgewalt des Dichters und seine sprachliche Meister schaft Seelengröße und Seelentiefe zeigen können.^ Auch in der ersten Republik stand zunächst die katholische Kulturbewegung in Österreich noch stark unter dem Ein fluß Kraliks und seines romantisch-kon servativen Weltbildes.®® Expeditus Schmidt redigierte später die Zeit schrift „Über den Wassern". Thrasolt war für die Zeitschrift „Efeuranken — illustrierte Jugend zeitschrift" verantwortlich. Dichterstimmen der Gegenwart. Illustriertes poe tisches Organ für das katholische Deutschland. Baden-Baden. Gottesminne. Monatsschrift für religiöse Dicht kunst. Herausgegeben von P. Ansgar Pöllmann O. S. B. Münster. Hans von Hammerstein: Februar. Leipzig 1916. Franz Herwig: Buchbesprechung von „Februar". In: Hochland. München. Jg. 13/2. 1915/16.8.357. C. Schmitt: Buchbesprechung von „Februar". In: Die Bücherwelt. Bonn. Jg. XIV. H. 9. 1917. S. 211 f. Vgl. dazu: Rudolf Henz: Fügung und Widerstand. Kapitel: Katholische Dichtung. Seite 194 ff. Graz — Wien 1963.

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