fenen Anmeldungen seien vor allem zwei Oberösterreicher namentlich erwähnt: der aus der Diözese Linz stammende Theologe und Musikpräfekt am Collegium Germanicum in Rom, Dr. Martin Fuchs, und Theo dorich Flagn, Abt des Benediktinerstiftes Lambach. Natürlich fehlte es auch nicht an negativen Stimmen: allen voran bemerkte Witt in seiner Zeitschrift, der Aufruf Hu berts zur Gründung eines ÖCV ähnle den Aufforderungen liberaler Blätter zur Gründung von Nationalkirchen! Nach mehr als einem Jahr erfolgte dann im „Lin zer Volksblatt" vom 24.4. 1871 die Ankün digung der konstituierenden Versammlung des ÖCV am 15. Juni 1871 um 9 Uhr in Gmunden: dort wurde als Sitz des Vereines Lambach bestimmt, Abt Theodorich Hagn zum Vereinsvorstand gewählt, Habertzum Kassier bestellt und der Statutenentwurf mit geringen Änderungen angenommen. Das nach einiger Zeit in der Zeitschrift er schienene Mitgliederverzeichnis enthielt Namen aus Oberösterreich, Niederöster reich, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ti rol, Mähren, Ungarn und aus dem Groß herzogtum Baden. Die obzitierte Einla dung hatte mit folgendem Manifest ge schlossen: Deutschland hat einen Cäcilien-Verein. Sollten wir in Österreich zurückbleiben? Nein! Was also thun? Sollen wir dem Re gensburger Verein beitreten! Das wird nicht gut angehen, da die Württemberger, Bres lauer u. a. in demselben sich nicht heimisch fühlen. Also machen wir einen Österreichi schen Cäcilien-Verein, indem wir dem Pro gramme des Herausgebers unserer Zeit schrift beitreten. Viribus unitis! Vorwärts! Mit diesen Zeilen, gefolgt vom Wahl spruch Kaiser Franz Josef I., steht der poli tisch-kämpferische Stil des in statu nascendi befindlichen ÖCV fest. Anderseits nannte sich der ACV ab 1868 „für alle Län der deutscher Zunge", änderte diese Be zeichnung später detaillierter in „für Deutschland, Österreich und die Schweiz" ab, wandelte also seinen Namen nach na tionalen und politischen Gesichtspunkten. Daher ist eine Durchleuchtung der histori schen Ereignisse der Jahre ab 1865 mit ih ren möglichen Einflüssen des sich einigen den Deutschland einerseits und des seinem Untergang entgegentaumelnden Habsbur gerreiches andererseits von besonderem Interesse. Schon A. Schnerich® hatte die Möglichkeit politischer Konsequenzen im kirchenmusikalischen Bereich nicht ausge schlossen; heute ist man sich derartiger Zu sammenhänge voll bewußt. Im vorliegen den Fall ist eine gewisse Parallelität zwi schen groß- und kleindeutscher Lösung auf der einen und zur Spaltung des österreichi schen Lagers in Anhänger des ACV und des ÖCV auf der anderen Seite nicht zu leugnen. Einige historische Momente seien in Erinnerung gebracht: 1865 - feierliche Er öffnung der Wiener Ringstraße. Der Ring straßenstil besitzt nicht mehr die Kraft und Ursprünglichkeit, Neues und Eigenes zu schaffen; die Vorbilder reichen von der Antike bis zum Barock; einerseits finden wir einen Zug ins Pompöse, äußerlich Prunkvolle, anderseits eine Tendenz ins Banale, Seichte. So wird er zum sprechend sten Ausdruck einer vom Makarttaumel erfaßten, dem Untergang geweihten Epo che — eine Kette von Zwiespältigkeiten. Man vergleiche den Historismus Thibauts, der in seinem Aufsatz „Über den Choral" (1825) meint, daß die Bearbeitung eines solchen Werkes weit ruhmvoller wäre, als das ewige, leidige Selbstschaffen.® ® A. Schnerich: Messe und Requiem seit Haydn und Mozart. Wien 1909. S. 12.1. ® Zitiert nach Walter Wiora: Die Ausbreitung des Historismus über die Musik. Aufsätze und Dis kussionen. Regensburg: Gustav Bosse-Verlag 1969. In: Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Band 14. S.9.
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