Buchbesprechungen Harry Slapnicka: Oberösterreich unter Kaiser Franz Josef (1861 - 1918). (= Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs, Bd. 8). Hrsg. OÖ. Landesarchiv. Linz; Oö. Landesverlag 1982. 511 Seiten. 65 Abb. 22 Graphiken im Text. S445.-. ISBN 3-85214-356-X. Acht Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes von Harry Slapnicka liegt nun der Band vor, der die politische Geschichte unseres Heimatlandes von den Anfängen moderner Demokratie bis zum Ende der monarchischen Staatsform und zur Auflösung des großen mitteleuropäischen Reiches behandelt. Der scheinba re Widerspruch, daß der chronologisch erste Teil des Gesamtwer kes zeitlich zuletzt erscheint, erklärt sich daraus, daß der welthi storische Äon seit 1918 in der persönlichen Erinnerung des Au tors und dem Gefühl des Lesers sozusagen offen vor dem geistigen Auge liegt, während die Begriffe aus der franzisko-josefinischen Epoche unseren Zeitgenossen zumeist verblaßt sind und in der Perspektive von heute nicht mehr recht verstanden werden. Wir sind gewöhnt, Oberösterreich als großes, politisch und ökonomisch,schwergewichtiges Bundesland zu betrachten; im al ten Reiche deckte es nicht einmal 2% der Gesamtfläche und be herbergte rund 2% der Einwohner. Die demokratischen Organi sationsformen in Gemeinde, Land und Gesamtstaat mußten in vielfach schmerzlichen Experimenten erst gefunden werden. Und was verstand man schon unter Demokratie? In den Gemeinden diktierten die großen Steuerzahler und es war ein einsamer, eigen artigerweise Katholisch-Konservativer, der schon 1888 die revo lutionäre Ansicht äußerte, ein besitzloser Arbeiter sei am Staat ebenso interessiert wie der Reiche. Im Landtag gibt's die Kurien: Großgrundbesitz, Handelskam mer, Städte, Landgemeinden, wobei in letzteren lange nicht di rekt, sondern mit Wahlmännem gewählt wird. Immerhin ist die Debatte einer gerechten Erweiterung des Wahlrechtes kaum je weils abgebrochen worden, wobei meist die Hauptfrage ist, ob neue Wähler der eigenen Partei nützen oder etwa die Mehrheits verhältnisse ändern könnten. Wenn mehr Stimmberechtigte mehr Konservative bedeuteten, hörten die Liberalen auf, liberal zu sein. Ein klassisches Beispiel bietet das lange erfolgreiche Bestre ben, den geistlichen Großgrundbesitz vom Wahlrecht in die ober ste Kurie fern zu halten. Das Frauenwahlrecht wird schon sehr früh diskutiert, aber in der Monarchie nicht mehr verwirklicht. Selbst die gutsbesitzen den Damen dürfen nur über männliche Bevollmächtigte abstim men . . . Politik ist meist Sache einiger Weniger, bei den Liberalen der Advokaten, bei den Konservativen zunächst der Geistlich keit; erst verhältnismäßig spät bildet sich eine katholische Intelli genz aus. Meist findet man denselben Mann in der Gemeinde, im Landtag und im Reichsrat. Auch auf der höchsten Ebene ist die Demokratie beschränkt. An der Spitze steht der kaiserliche Statthalter, durchwegs ein Adeliger. Es sind oft hervorragende Beamte, denen Linz das Sprungbrett für ein Wiener Ministerium ist. Auf seinen Vorschlag ernennt der Kaiser aus den Reihen der Landtagsabgeordneten den Landeshauptmann, der zumeist länger im Amte ist als der Statthalter. Die Landesgesetze müssen dem Kaiser zur Bestäti gung vorgelegt werden, was dazu führt, daß Gesetze, die keine Aussicht haben, die Hofburg zu passieren, gar nicht beschlossen werden. Föderalismus besteht darin, daß die 19 Königreiche und Länder denselben Souverän haben. Für den politisch interessierten Bürger von heute ist die Ge schichte der Parteien besonders interessant. Die Liberalen wan deln sich, oft in ein und derselben Person, vom Liberalismus zum mehr oder weniger extremen Nationalismus, wobei es nicht ohne manchmal groteske Umgruppierungen abgeht, die Konservativen werden zu den Christlich-Sozialen, wobei sie die überbordenden Kampfesformen der Wiener nicht mitmachen und daher auch der Wiener Katastrophe der Partei vom Juni 1911 entgehen. Verhält nismäßig spät treten die Sozialdemokraten in die Arena, erringen allerdings schon bei den Reichsratswahlen von 1907 den ersten großen Erfolg. Der Antisemitismus spielt in einem Lande, das nur rund tausend Israeliten zählt, eine nebensächliche Rolle. Slapnicka versteht es, das machmal spröde Thema geschickt aufzulockern. Oder wußte schon ein Leser, daß bei den Überga ben des Innviertels 1779 und 1816 die Bedienung bayrischer An leihen aus den Jahren 1620(!) bis 1740, die besonders in Schär ding eine Rolle spielten, nicht geregelt wurde und die Wiener Re gierung erst 1893 von geforderten 525.000 Gulden 260.000 Gul den flüssig machte? Oder daß Anfang unseres Jahrhunderts tsche chische Banken verschuldete Höfe oft unter schweren finanziellen Opfern aufkauften, um eine tschechische Minderheit in dem rein deutschen Oberösterreich zu schaffen und damit den nationalen Zwist künstlich hereintrugen? Mit äußerstem Takt gezeichnet ist die säkulare Gestalt des streitbaren Bischofs Franz Joseph Rudigier, wobei der Autor es geschickt vermeidet, etwa kirchenpolitische Ansichten von heute in die Vergangenheit zu projizieren und den die damalige Gesell schaft erschütternden Streit zwischen „klerikal" und „liberal" mit modernen Augen zu sehen. Mit gleicher Objektivität ist die Ent wicklung der Evangelischen Kirche nach den Protestantenpatent von 1861 und die Entwicklung der Israelitischen Kultusgemein den von Linz und Steyr behandelt. Auch die Geschichte der zah lenmäßig schwachen, nach dem Ersten Vaticanum von 1870 je doch sehr aktiven Altkatholiken findet ihren Platz. Ein politischer Dauerbrenner wird die Grundentlastung von 1848, in Oberösterreich leichter durchführbar als anderswo, da hier die Lage der Bauern verhältnismäßig günstig war. In Ober österreich handelte es sich um 20 Millionen Gulden, die gedrittelt wurden: 1/3 Verzicht des Grundherren, der von manchen Pflich ten enthoben wurde, 1/3 Bezahlung durch den Bauern, 1/3 Lei stung des Staates (= des Landes). Die Abwicklung und Abzah lung währte nicht weniger als 48 Jahre, die bankmäßige Bedie nung läßt den heutigen Schuldner neidig werden . . . Bezeichnend ist, daß zwischen den nunmehr befreiten Bauern selbst ein Klas senunterschied vom „Achtrößler" bis zum „Kleinhäusler" ein setzt. Die Industrialisierung schreitet verhältnismäßig langsam fort. Mit Ausnahme von Steyr bleibt Oberösterreich lange ein Bauern land, doch wird die Bedeutung der Elektrizität früh, schon um 1890, erkannt. Die 1860 vollendete Westbahn, seit 1918 der wichtigste Schie nenstrang Österreichs, kann sich im alten Österreich mit den Nord-Süd-Verbindungen nicht messen. Sogar die Nord-SüdTransversale von Südböhmen nach den Adriahäfen führt von Budweis über St. Valentin - Klein Reifling an Linz vorbei, das erst 1906 durch die Pyhmbahn in den Nord-Süd-Verkehr einge bunden wird. Umsomehr führt Oberösterreich bei den Lokalbah nen. Die Weiterführung der Mühlkreisbahn nach Böhmen und
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