□ Der abgewinkelte „Spiegelkranz" oder die Um rahmung des Weihbrunnkessels bestanden eben so aus den obengenannten Blüten; waren beide früher durchwegs üblich, so sind sie nun nicht mehr trotz ihrer prächtigen Ausführung in Krepp- oder Seidenpapier anzutreffen. □ Ein Strauß von Einzelblüten, allseits besehbar, wird „Bukett" oder einfach „Buschen" genannt. Das „Nelkenbukett" steckte nicht in einem Holz klotz, sondern in einem mit Sand gefüllten Blu mentopf, um das natürliche Vorbild besser imi tieren zu können. Neben dem Krepp- und Seidenpapier wurde auch Stanniolfolie (Abfall verschiedener Verpakkungen) verarbeitet. Dieses stark reflektierende Material in Gold und Silber wurde nicht wegen sei ner Feierlichkeit, sondern wegen seiner Unempfindlichkeit und Haltbarkeit gewählt. Metallischer Glanz bezirzt die Augen, täuscht wertvolleres Material vor. In die alten Stuben drang durch die kleinen Fen ster nur spärlich Licht bis in den Herrgottswinkel. Während zwar Holzschnitte, Kupferstiche, Hinter glasbilder und Öldrucke religiösen Inhaltes zu bei den Seiten des Kruzifixes sich abwechselten, blieb doch der Platz im Winkel unterhalb des Kreuzes bis zum Aufkommen der Kunstblumengebinde im 19. Jh. vermutlich leer. Hier fanden die lichtunabhängi gen Kunstblumen einen idealen Standort. Außer dem bedurften sie wegen ihrer langen Lebensdauer keiner besonderen Hege und Pflege. Das Papier genügte also den Kultansprüchen in Stuben und Kapellen, brauchte kein großes reprä sentatives Verlangen zu erfüllen, es war zweckbe stimmt. Als eine alltägliche Notwendigkeit konnte der Schmuck in der Bevölkerung kein besonderes Interesse oder gar Begeisterung wecken; in letzter Zeit wurde er schon eher mit Abneigung betrachtet. Durch das ungeschützte Aufstellen oder Hängen war er der Verschmutzung ausgesetzt, was ihm den Ruf eines „Staubfanges" einbrachte. Selbst Volkskund ler hatten bei der Restaurierung von Kapellen und Kirchen diese bescheidenen Gebilde unbeachtet ge lassen, gerade im Zuge der Liturgiereformbestre bungen wurden sie entfernt. In den letzten Dezennien gewannen der Garten und die Gärtnerei viele Bereiche zurück, die dem künstlichen Blumenschmuck aus wirtschaftlichen und praktischen Gründen so lange vorbehalten wa ren. Doch bringen nicht Verlage schon wieder Anlei tungen auf den Markt, wie man mit Draht und Tauchlack oder Stücken von Nylonstrümpfen künst liche Blumen basteln kann? Volkskundeabteilungen, Heimathäuser (mit Ausnahme des Mondseer-Rauchhauses) oder Pri vatsammlungen (mit Ausnahme der Sammlung von Med.-Rat Dr. Julius Prager) haben bis jetzt die Pro dukte dieses saisongebundenen Handwerkes als nicht sammlungswürdig betrachtet, und doch erfül len sie alle Kriterien, die erfüllt werden müssen, um zur „Volkskunst" gezählt zu werden; □ sie sind eng an volkstümlichen Brauch und Glau ben gebunden, □ sie sind ein in Handarbeit gestaltetes Formengut, das tradiert wird (Frau Weidinger ließ sich, von den 5ippe/-Schwestern und Frau Berta Pilger in Oberschwarzenberg anlernen), □ sie sind völlig unabhängig vom internationalen Stil in Hausarbeit hergestellt worden. Häufig werden die Arbeiten der „Blumenwei ber" als Kitsch abgetan. Das ist wohl Auffassungssa che. Doch kann man sich auch der Meinung des Volkskundlers Franz Carl Lipp anschließen, der in den Siebzigerjahren meinte, die Papierblumenher stellung sei heute die „letzte Volkskunst des Mühl viertels".
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