OÖ. Heimatblätter 1982, 36. Jahrgang, Heft 3/4

den Gnadenstätten und Wallfahrtsorten Süd deutschlands und Österreichs geschlossen wird.3" Die Erdställe werden als Kulthöhlen erkannt, nicht überliefert ist das dazugehörige Ritual. Huth sieht die Höhle als Abbild der Unterwelt, des Totenrei ches. Der Abstieg ist ein altes Ritual, das den Durch gang durch den Tod und die Neugeburt darstellt. Aus einer Fülle von Material schließt er auf ein Erd stallritual als „Incubation", also Schlaf im Heiligtum, um einen Visionstraum zu erlangen. Heute finden wir „Isolationstanks" als psycho therapeutisches Heilverfahren in den großen Städ ten der USA und in einigen Städten der Bundesre publik — schalldichte Kästen, in denen man bei völli ger Dunkelheit in warmem Salzwasser stundenlang liegt. Ein Berliner Journalist, Werner Spielhagen, schildert seine Empfindungen im Meditationstank:^^ Als die Angst am größten wurde, spürte ich, wie sich mein Kopf in den Körper entleerte; durch den Hals hinab in die Lenden, die Arme, die Beine glitten Energiewolken. Ich hatte die Gewißheit, mich in höchster Verzückung zu win den, bemerkte aber auch, daß ich nun völlig ruhig und schmerzfrei schwebte. Dunkelheit um mich her — doch war es nicht mehr die Dunkelheit des Tanks. Dessen Wän de hatten aufgehört zu existieren. Ich schwebte frei im Nirgendwo. Ich empfand Grauen und Faszination. Und floh zurück in meinen Körper im Tank. Dann begannen die Halluzinationen: Ich ertappte mich dabei, wie ich zu Hause im Bett liegend nach den Mücken schlug. Käthe, meine alte Katze, sprang vom Fenster herein. Draußen zwitscherten die Vögel. Aha, die Mückenzeit, dachte ich und schlug wieder zu. Wasser spritzte auf - Filmriß. Ich dümpelte im Tank, Dunkelheit. Stille, das Rauschen in meinen Ohren nur noch ganz leise. Ich stieg aus der Luke, wankte unter die Dusche und spülte mir das Salz vom Leib. Gehirnwäsche? Sicher. Wenn man den vorigen Abschnitt noch einmal liest und statt „Tank" das Wort „Erdstall" einsetzt, ob man damit der Lösung unseres Rätsels näher kommt? Die „Halle der Stille", mit abgedunkeltem Licht, bot auf dem Evangelischen Kirchentag 1979 in Nürnberg ein Erlebnis der Selbstbesinnung und verinnerlichung für eine große Zahl von Besuchern. Diese positive Erfahrung ließ auf dem folgenden Kirchentag 1981 in Hamburg eine genau so gut ange nommene Einrichtung entstehen. Ist nicht das seelische Erlebnis einer „Wiederge burt" eng verwandt mit den Initiationsriten, die es zu allen Zeiten für bestimmte Lebensabschnitte gab und noch gibt? Wir finden diese bis heute in den kirchlichen Sakramenten, auch in der Zuckertüte des Schulanfängers oder in den Prüfungen, die dem beruflichen Fortkommen dienen. Fast immer sind zu diesen Einführungsriten in einen neuen Lebensab schnitt, ob im kultischen oder im alltäglichen Be reich, besondere Orte vorgegeben. Man muß nicht unbedingt an eine leerstehende Fabrikhalle denken, wo eine Rocker-Gruppe einem Anwärter schmerz hafte Mutproben auferlegt oder an die Räume einer Freimaurerloge. Initiationsbräuche begleiten uns durch das ganze Leben. Können Erdställe Schau platz von derartigen Riten in Verbindung mit religiö sen Bräuchen der Wiedergeburt gewesen sein? Der Weg ins Innere der Erde, zurück in ihren „Schoß", dabei in den engen Schlüpfen alles Böse und Belastende abstreifend, in einer der kleinen Kammern, vielleicht der letzten, am schwierigsten zu erreichenden, gekrümmt, gebückt in embryonaler Lage die Vision der vollständigen Wiedergeburt er träumend, dann dem „Leib der Erde" mühsam ent steigend, wiedergeboren, seelisch neugeboren ans Licht des Tages zurückgekehrt, finden wir mit diesen Überlegungen die geistige Welt, die unter unbegreif licher Mühsal die Erdställe entstehen ließ? 7. 4. Totenkult Ahnenkult ist eine frühe Religionsform, unsere meist gut gepflegten Gräber auf den Friedhöfen sind eine letzte Spur davon, die wir bei Naturvölkern oft noch sehr viel deutlicher finden. Es muß nicht immer das Grab gewesen sein, an dem die Verehrung des Toten stattfand. Das Bild des gefallenen Sohnes mit Trauerflor auf dem Rundfunkgerät oder die Toten messe in der Kirche, das sind zwei andere Möglich keiten des Gedenkens. Die Erde als Spenderin des Lebens, die es nach seinem Ablauf wieder in ihren Schoß zurücknimmt, könnte in ihr, in einer natürlichen oder künstlichen Höhle, nicht ein ganz selbstverständlicher Ort der Toten Verehrung und -erinnerung zu finden sein? Die Höhle kann gleichzeitig Mutterschaft und Grab be deuten. Diese wichtigsten Daten im Leben eines Menschen, Geburt und Tod, können in einem Erd stall ihre symbolische Darstellung erfahren. So wür den die engen Durchschlupfe ein Anschmiegen, Einswerden mit der Erde bedeuten. Ein derartiger Kult benötigte nur die Räume zur Ausübung und würde damit die Fundarmut in allen Erdställen er klären. Schwarzfischer^^'^ deutet die Erdställe als Woh nung der Toten. Die dauernde Verbindung der To ten mit dem Haus der Lebenden, die so wichtige Huth, Otto: „Die Kulthöhle. Zur Religionsgeschichte der Un terwelt", in „Der Erdstall" Nr. 3, Roding 1977, S. 5 - 31 und Nachträge und Ergänzungen in „Der Erdstall" Nr. 8, Roding 1982, S.41 -49. Spielhagen, Werner: „Trip", in „Playboy" 3/81, S.40. Schwarzfischer, Karl: „Die Erdställe aus der Sicht der mittel alterlichen Besiedlung", in „Der Erdstall", Nr. 8, Roding 1982, S. 32.

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