7. Kultische Verwendung für Erdställe? Höhlen sind die ältesten Kulträume der Mensch heit.Eine „praktische" Verwendung der Erdställe, gleich welcher Art, erscheint nach heutigem Kennt nisstand ausgeschlossen. Es bleiben kultische Be weggründe, die die vielen hundert Erdställe entste hen ließen. Aber an diesem Punkt unserer Überle gungen wird es gefährlich, denn allzuleicht können Ideen geboren werden, die die Verbindung zur Wirklichkeit verlieren. Nur, wie können wir Wahr scheinliches von Unwahrscheinlichem trennen, wenn unser Wissen über die Erdställe gering ist? Es bleibt kein anderer Weg, als bereits aufge stellte Überlegungen an Tatsachen aus verwandten Gebieten zu messen oder zu überlegen, welche Er eignisse aus der Erdstallzeit zur Klärung beitragen können. Eine Frage, deren Beantwortung weiter helfen kann: entspringt die geistige Haltung, die eine so große Zahl eigenartiger Anlagen entstehen ließ, der gleichen religiösen Quelle, die die gewaltigen go tischen Dome schuf? Oder war es eine überlieferte Glaubensform aus der Zeit vor der Christianisie rung, die hier in angepaßter Form einen letzten un terirdischen Höhepunkt erreichte? Vergleichen wir die heute „nutzlosen" Erdställe mit unseren Kir chen. Ohne Glaubenskult wären diese fast ebenso überflüssig, wenn nicht störend, auf teurem Bau grund inmitten der Städte unnötig Platz beanspru chend, für Wohnzwecke unbrauchbar, für Privatleu te unheizbar, mit viel zu hohen ümbaukosten, als Lagerhalle mit unzweckmäßigen Toren und stören den Pfeilern und Stufen versehen, höchstens in Kriegszeiten als Notlazarett verwendbar, sonst als bald, wie in der Sowjetunion, als lästiges, unbrauch bares, störendes Bauwerk verfallend, weil viel zu teuer im Unterhalt, höchstens noch eine Attraktion für bildungshungrige Touristen. So etwa sieht das Ergebnis aus, wenn man unbenutzbare Kirchen und Erdställe miteinander vergleicht. Können beide aber eine kultische Funktion ausüben, so erfüllen sie sich mit dem ihnen gemäßen Leben. Welchen kultischen Zweck könnten die Erdställe gehabt haben? IJ ^ ii " Orleansville Saint-Omer Poitiers E 7. 1. Labyrinthe Die labyrinthischen, mit vielen sich verzweigen den, auch kreuzenden und immer unübersichtlichen Gängen geschaffenen Erdställe veranlassen dazu, das „Labyrinth" und die mit ihm verbundene geistige Welt als Denkansatz in die Reihe möglicher Lösun gen, oder besser gesagt, Lösungsansätze zu stellen. Hinzu kommt beim Erdstall die Erweiterung des Verwirrenden durch eine neue Dimension: das nach unseren heutigen Vorstellungen ebene Labyrinth, dem „Irrgarten" so eng verwandt, geht als Erdstall Die zahlreichen Labyrinthe in christlichen Kirchen spielten ursprünglich eine eigene Rolle im religiösen Kult. Das wohl älteste Labyrinth in einer christlichen Kirche findet sich, aus dem 4. Jahrhundert stammend, in Orleansville in Alge rien. Die meisten Kirchenlabyrinthe wurden, dem Schick sal der Erdställe folgend, zerstört. Das gilt auch für die drei abgebildeten französischen Labyrinthe in Saint-Omer, Poitiers und Reims. König, Marie E. P.: „Unsere Vergangenheit ist älter. Höhlen kult Alt-Europas", Frankfurt/Main 1980, S.43 ff.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2