Das Landesmuseum wollte dafür sorgen, daß das in teressante Stollensystem für zukünftige Generatio nen erhalten bleibt, so jedenfalls meldete die Presse. Heute, nur wenige Monate danach, ist außer der un zugänglich gewordenen untersten Kammer nichts mehr vorhanden. Für einige Kubikmeter Schlier wurde ein weiterer Erdstall vernichtet. Glücklicher weise blieben recht genaue Pläne erhalten. Eine Vermessung führte die Baufirma Mayreder, Kraus & Co. durch, ebenfalls zeichnete Magister Helmut Höftberger aus Grieskirchen die Anlage, um mit sei nen Schülern ein Modell anzufertigen. Ein perspektivischer Plan der Firma Mayreder zeigt, wie recht Dr. Reitinger hatte, wenn er den Erd stall als „schönsten" von Oberösterreich bezeichnet. Wenn auch durch die lebhafte Bautätigkeit der Jahre seit dem letzten Krieg viele Erdställe neu gefunden wurden, sind die meisten doch wesentlich kleiner. Besonders aber fehlt fast immer der großartige Rundgang, wie er hier in Tollet einwandfrei erhalten war, erreichbar über einen letzten senkrechten Auf stiegsschacht am Ende des Systems. 6. Praktische Verwendung für Erdställe Ein Überblick über die Theorien zur Entstehung und zum Verwendungszweck der Erdställe bringt zwar keine Lösung, soll aber zum Weiterforschen anregen und verhindern, daß mehrfach erfolglos an gestellte Denkmodelle wieder und wieder errichtet werden, wenn nicht in der Zwischenzeit neue Er kenntnisse gewonnen wurden. 6. 1. Versteck vor Feinden Häufig wird die Theorie aufgestellt, besonders seit Menghin 1915® diese zum verbindlichen Lehrsatz er klärte, Erdställe seien Verstecke vor Feinden. Viele Erdställe liegen unter Bauernhäusern. Der wertvoll ste bewegliche Besitz des Bauern war sein Vieh. Wie hätte er dieses in einem Erdstall verstecken und schützen können? Die Frage beantwortet sich von selbst. Wenn Gefahr drohte, flüchtete der Bauer mit Familie, Gesinde und Vieh entweder in einen Burg stall oder in den Wald, dort wo er Weg und Steg kannte und notfalls kleinere Gruppen umherziehen den Raubgesindels in einen Hinterhalt locken und erschlagen konnte. Das schließt nicht aus, daß zu ge wissen Zeiten und unter besonderen Umständen Erdställe als Versteck dienten, obwohl sie nicht für längeren Aufenthalt geeignet sind. Hier kann daran gedacht werden, daß die Familie Mitglieder ver steckte, die als Wilderer, Fahnenflüchtige oder Ge setzesbrecher für kurze Zeit vor der Obrigkeit ver borgen werden mußten. Aus jüngster Zeit berichtet Karl Lukan^° aus Niederösterreich vom Ende des letzten Weltkrieges, als die Russen kamen; „Ich hab mir denkt, lieber laß ich mich erschie ßen, als daß ich noch a Stund länger in dem grausli chen Loch bleib!" (Ein Bauer aus Japons.) „I war damals noch a jungs Madl. I hab fast a Wochn in dem Erdstall drinnen bleiben müssen. I war nachher halbtot." (Eine Bäuerin in Kollnbrunn.) „Diese Erdställe müssen früher anders gewesen sein. Damals, im 45er Jahr haben wir es darin nicht lang ausgehalten!" (Ein Bauer in Radibrunn.) Versteck vor Feinden hätte bedeutet, daß ein Erdstall für längeren Aufenthalt mehrerer Men schen geeignet sein mußte. Aber dafür fehlen in allen Erdställen einige, oft alle Voraussetzungen: — die niedrige Temperatur kann durch Feuer wegen Sauerstoffmangels und Rauchbildung nicht er höht werden, — beim Aufenthalt mehrerer Personen entsteht, wenn nicht Luftschächte vorhanden und intakt sind, nach wenigen Stunden Sauerstoffmangel, — die Ernährung ist nur für kürzere Zeit möglich, — Licht bedeutete erhöhten Sauerstoffverbrauch, da in der Entstehungs- und Benutzungszeit der Erd ställe nur offenes Licht bekannt war, — Bewegungsmangel in den engen Räumen wäre ei ne zusätzliche Belastung gewesen, — das Großvieh wäre verloren gewesen, — das Abortproblem ist in keinem Erdstall gelöst. Dagegen ist durchaus vorstellbar, daß Wertsa chen und Vorräte im Erdstall versteckt wurden, ob wohl seine Bauweise mit viel zu engen Gängen für den einfachen und schnellen Transport in Notzeiten denkbar ungeeignet ist. Bei dieser Art von Nutzung haben wir mit Sicherheit einen „Zweitnutzen" zu se hen, der mit dem ursprünglichen Gedanken bei der Herstellung soviel gemeinsam hat wie ein Autorei fen, der, nach Verlust seines Profils an die Egge ge bunden und zum Glätten der Ackerkrume hinter hergezogen wird. Eine Ausnahme, möglicherweise durch späteren Ausbau, könnte der Erdstall in Perg^^ sein, der sich durch die ungewöhnliche Höhe der Gänge und Grö ße der Räume von anderen Erdställen sehr unter scheidet. Aus der „Gartenlaube"^®, der früher be liebten Familienzeitschrift, erkennen wir die Struktur einer wirklich bewohnbaren Höhlenwohnung, wie ® Menghin, Oswald, 1888 - 1973, Prähistoriker. Lukan, Karl: „Herrgottsitz und Teufelsbett", Wien 1979, S. 149 - 171. Chasteler, Guido M. du; „Unterirdische Labyrinthe bei Perg", in „MühlviertlerNachrichten", 3.1.1980,S.53.-Zacli, Rudolf: „Der Erdstall .Ratgöbluckn' in Perg - ein Kulturdenkmal", in „Oberösterreichische Heimatblätter", Jg. 29, S. 101 — 102. '2 „Die Gartenlaube", Jg. 1889, S. 447.
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