OÖ. Heimatblätter 1982, 36. Jahrgang, Heft 3/4

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Bauweise eines Erdstalles darzustellen. Am deutlichsten, aber zeitraubendsten, ist die Anfertigung eines maßstabgerechten Modells. Hier sehen wir, von der gleichen Stelle aus innerhalb einer Anlage (Erdstall Wiesinger, Tollet, Bez. Grieskirchen), ein Foto, einen Grundriß, einen Schnitt des senkrechten Schachtes und eine dreidi mensionale Darstellung. Durch die eingezeichneten Figuren werden die Größenverhältnisse deutlicher. Foto: Aigner, OÖN Neben der ungewöhnlichen und labyrinthartigen Anordnung der Gänge in vielen Erdställen, gibt es darin eine weitere Besonderheit; in den Wänden, in der Höhe, wo die Verjüngung zur Deckenwölbung beginnt, finden sich in Abständen kleine Nischen. Welchen Zweck hatten sie? Die Vermutung, hierin wären Lichter zur Erhellung der Gänge aufgestellt, wird bei genauer Betrachtung widerlegt. Bei kaum einer Nische finden sich Qualm- oder Rußspuren. Sie sind so sauber wie das umgebende Erdreich. Die Vertiefungen könnten also Tastnischen gewesen sein, um die Orientierung in den lichtlosen Gängen zu erleichtern. Wenn sie wirklich diesen Zweck ge habt haben, hieße das, die Benützer wären im Dun kel hindurchgegangen. Sie müssen ihren Erdstall ge nau gekannt oder andere Gründe gehabt haben, den Weg in völliger Finsternis zurückzulegen. Aber wenn sie ihn genau kannten, warum dann „Tastni schen"? Für Neulinge bei Erstbegehungen? Aber wem sollten dann „Tastnischen" in unbekannter An ordnung helfen? Fast glatt geschliffene Wände in Schulterhöhe an Engstellen und in Durchschlüpfen sprechen für häufige Begehung der Erdställe. Wie sehen die Kammern aus, in die Gänge und Schlupfröhren münden? Die einheitliche und in der Bauform weitgehend übereinstimmende Gestaltung der Gänge ändert sich zu einer Vielfalt von Kammer formen. Die Skizzen verschiedener Erdställe aus Oberösterreich, Niederösterreich und Bayern zeigen die unterschiedlichsten Grundrisse und Größen. Die Raumhöhen sind ebenso ungleich und gehen von etwa 1,5 bis zu 1,8 m, können aber auch in Ausnah men bis zu 2,5 m betragen. Charakteristisch sind die Rundgänge, die bei einzelnen Höhlen geplant er scheinen, sich bei anderen durch die labyrinthische Gangführung ergeben. In vielen Kammern gibt es „Sitznischen" oder Bänke, seitlich aus der Wand herausgearbeitet. Sie sind meist sehr niedrig, die Hö he des Sitzes beträgt oft nur 20 cm über dem Kam merboden. Überall aber finden wir die gleichen Bauprinzi pien, die gleichen Baubestandteile, so daß der Ein druck eines Baukastensystems entsteht. Gänge, Schlupflöcher, Kammern, Rundgänge werden mit senkrechten Schächten kombiniert und mit den im mer gleichen'Licht- oder Tastnischen, niedrigen Sit zen und Bänken, auch mit Ausweichnischen ausge staltet. Nur die Art der Aneinanderreihung und die Größe unterscheidet die einzelnen Anlagen. Mit an deren Worten gesagt: es steht eine einheitliche Bau idee, ein besonderer, aber für alle Erdställe zutref fender Grundgedanke am Anfang der Erbauung, auch wenn einige Ausnahmen von der Regel gefun den werden. Der Wiener Forscher Guido List vertrat die Ansicht, daß es eine eigene Zunft, ähnlich den römischen „Fossores" oder den späteren Deichgrä bern gegeben habe, welche überlieferungsgemäß die Erdställe gleichartig herstellten, eine Ansieht, die nicht von der Hand gewiesen werden kann und der sich auch Pater L. Karner anschloß. 4. 4. Anzahl und Verbreitung Aus der Tabelle im Anhang geht hervor, daß in Oberösterreich über 250 Erdställe bekannt sind. Diese Zahl muß jedoch etwas genauer betrachtet werden. In mehreren Ortschaften findet sich mehr als ein einziger Erdstall. Hier erhebt sich die Frage, ob es sich tatsächlich um verschiedene Erdställe handelt oder ob Teile eines umfangreiehen und teilweise ver schütteten Gangsystems an verschiedenen Stellen angeschnitten wurden.

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