OÖ. Heimatblätter 1982, 36. Jahrgang, Heft 1/2

Prozeß einer „Umformung und Stilisierung nach bi blischen und hagiographischen Mustern" (Lotter) durchgemacht. Unter heilsgeschichtlicher Perspekti ve wurden die Taten Severins unter Überspringung der Primärursachen unmittelbar mit Gott in Bezie hung gebracht. So schildert Eugippius z. B. als Prophetie, was wohl Ergebnis eines gut ausgebauten Nachrichtennetzes war und als Wunder, was Fleiß, Umsicht und gute Organisation zuwege gebracht hatten, wie etwa die Beschaffung von Olivenöl aus Italien für die hungernde Bevölkerung von Lauriacum/Lorch.® Verweilen wir etwas näher bei diesem Ereignis. Damals war, wie Eugippius ausdrücklich be merkt, „die Anlieferung von Öl den Kaufleuten nur mehr unter größten Schwierigkeiten möglich", und „diese nahrhafte Flüssigkeit war recht kostbar". Daß Severin trotzdem noch ein Kontingent aufbringen konnte, grenzte an ein Wunder. Die Hilfsbedürfti gen versammelten sich in „una basilica". Die Zahl der Erschienenen war sehr groß. Severin segnete das eingelangte Öl und teilte aus. Man wunderte sich, daß es für so viele reichte. Erst als einer der Anwe senden seiner Verwunderung in Worten Ausdruck verlieh, versiegte das Öl. Mit dieser mirakulösen Erklärung wird zum Aus druck gebracht, daß trotz guter Organisation und kluger Rationierung das Öl eben doch nicht für alle langte. Diese Stelle läßt die Eigenart einer „Heiligenvi ta", die nicht bloße Faktengeschichte sein will, recht gut erkennen. Um die Allursächlichkeit Gottes zu betonen, werden tatsächliche Ereignisse „hagiologisch verfremdet". Der in der damaligen Lage an sich schon ans Wunderbare grenzende Vorgang der Ölbeschaffung wird von Eugippius nach biblischen Mu stern tradiert, auf die er übrigens selber verweist. Er erinnert an das Vorbild Christi (Brotvermehrung) und an dasjenige des Propheten Elisäus (Ölwunder bei der Witwe von Sarepta). Was Severin getan hat, wird also in neu- bzw.alttestamentlichem Kleide berichtet. Was zugrundeliegt, das ist die große Lei stung des Heiligen, der in karitativer Hinsicht so sehr für seine Bevölkerung da war, daß er ihr auch in fast ausweglosen Situationen immer wieder neue Quel len erschloß, so daß man den Eindruck hatte, sie würden nie versiegen. Der Vorgang dieser „Verfremdung" muß dem Erzähler oder Schreiber des Heiligenlebens übrigens nicht immer bewußt sein, sondern kann aufgrund ei ner von seiner Frömmigkeit gesteuerten Automatik erfolgen. Die formgeschichtliche Methode ist zwar nicht immer so leicht anwendbar wie beim Lorcher Ölwunder. Aber schon wenn sie ein entsprechendes Problembewußtsein schafft, wird man die „Vita" an ders als bisher lesen und auswerten können. 2. Zur Person Severins War Severin zur Zeit seines Auftretens wirklich der „homo ignotus" als den ihn Eugippius ausgeben will? Auch das Schweigen, ja bewußte Verschleiern der Herkunft und Abstammung des Heiligen, scheint Stilmittel zu sein. In einem der „Vita" voran gestellten Brief bittet Eugippius den Paschasius, sei ne Aufzeichnungen über das Leben des Heiligen für die geplante Veröffentlichung zu überarbeiten. In diesem Schreiben wird nun auch die Frage nach der Herkunft des Heiligen®, „mit der man üblicherweise eine Biographie beginnt", gestellt. Eugippius sagt, daß er hierfür „keine sicheren Zeugnisse habe". Man habe schon oft darüber gerätselt, „welcher Nation Severin angehöre", aber schon zu Lebzeiten Seve rins habe niemand gewagt, ihn direkt zu fragen. Ei nes Tages aber sei „ein gewisser Primenius, ein Pres byter aus Italien, ein Mann edler Herkunft und gro ßen Ansehens" gekommen. Dieser habe die ent scheidende Frage gestellt. Der Heilige antwortete ihm, wie Eugippius bemerkt, „verschmitzt", er solle sich doch um Lösegeld bemühen, um ihn, Severin, freizukaufen, wenn er ihn für einen „entlaufenen Sklaven" halte. Dann aber fügte er „ernsthaft" hin zu, es sei für einen Diener Gottes, dessen Streben darauf gerichtet sei, ein Bürger des himmlischen Va terlandes zu werden, doch völlig ohne Bedeutung, „seine Heimat und seine Abstammung" zu offenba ren; durch sein Schweigen entgehe er leichter der Versuchung der Prahlerei. Freilich, so fügt Eugip pius aufgrund eigener Beobachtungen hinzu: „Loquela tamen ipsius manifestabat hominem omnino Latinum", d.h.seine Sprache verriet Severin „als ei nen ganz und gar lateinischen Menschen". Schon dieser Befund läßt die Tendenz, die Eu gippius verfolgte, deutlich erkennen. Er will den de mütigen Diener Gottes schildern. Ein Bericht über sein „weltliches Vorleben" wäre aber in diesem Kon text ohne Belang, ja würde eher störend wirken. Wenn man aber diese Absicht des Autors einmal erkannt hat, wird dessen Aussage über das „Nicht wissen" um Severins Herkunft und Abstammung fragwürdig. Daß Primenius bei Severin Zuflucht suchte, beweist ja eigentlich schon, daß ihn dieser, der angeblich nichts von ihm wußte, schon vorher ge- ® Vita Severini Kap. 28. ® Hierzu ist neben den Anm. 1 u. 3 genannten Arbeiten von F. Lotter einzusehen: K. Zinnhobler, Woher stammte der hl. Seve rin?. in: Jb. Koli.Petrinum 76 (1979/80) 29-36.

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