OÖ. Heimatblätter 1982, 36. Jahrgang, Heft 1/2

Die ideellen und politischen Grundlagen des Toleranzpatentes von 17 81* Von Georg Heilingsetzer Wenn wir unter Toleranz in der freiheitlichen Demokratie verstehen, daß allen ein Andersdenken und Andershandeln grundsätzlich ermöglicht wer den solle, so ist damit besonders auch die Duldung der Glaubensüberzeugung anderer gemeint. Aus dem letzteren aber ergibt sich eine gewisse Proble matik. Toleranz, vom lateinischen tolerare (ertra gen, erdulden), bedeutet ursprünglich nämlich nicht unbedingt die Achtung oder gar das Interesse an der Überzeugung des Anderen. Wir wollen uns im fol genden naturgemäß mit der religiösen Toleranz be schäftigen, die ja auch oft allgemein unter Toleranz schlechthin subsumiert wird, und hier ergibt sich nun gegenüber der Toleranz ein weiterer Begriff, der der Religionsfreiheit. Der in der Schweiz lehrende Hi storiker Hans Rudolf Guggisberg drückt das Ver hältnis beider Begriffe zueinander sehr treffend aus: Ein Mensch übt Toleranz, wenn er einen anderen Men schen duldet, der sich in seinen Meinungen und Anschau ungen und vielleicht auch in seinem Handeln von ihm un terscheidet. Eine Obrigkeit praktiziert Toleranz, wenn sie religiöse Minderheiten, die sich von der offiziellen Kult ausübung distanzieren, in ihrem Staatswesen leben läßt . . ., Religionsfreiheit hingegen bedeutet ein gewähr tes Recht und dadurch einen Zustand, den die Bürger ei nes Staatswesens genießen, une zwar als Konsequenz der von der Regierung praktizierten Toleranz. Anders gesagt: Toleranz ermöglicht, gewährt und schafft Religionsfrei heit, Religionsfreiheit ihrerseits erlaubt die Entstehung eines religiösen Pluralismus innerhalb der staatlich-politi schen Gemeinschaft.' Als drittes kommt noch der Begriff der Parität, der Gleichberechtigung, hinzu. Und noch eines ist bei den folgenden Ausfüh rungen, die es mit dem Problem der Toleranz in der Geschichte zu tun haben, zu berücksichtigen: die ständige Interdependenz zwischen kirchlichem und außerkirchlichem, religiösem und politischem Be reich, die stets zu vergegenwärtigen ist. Das Problem der religiösen Toleranz ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Es erlangte in Europa - fast möchte man sagen naturgemäß - besondere Bedeu tung seit dem 16. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Reformation, in dem die theoretische Einheit des mittelalterlichen Christentums zerbrach. Man spricht ja für das ganze Jahrhundert von etwa 1555 bis 1648 vom „konfessionellen Zeitalter", dessen be sondere Aktualität heute allein schon dadurch gege ben scheint, daß damals über das Religionsbekennt nis von etwa 90 Prozent der Oberösterreicher eine Entscheidung getroffen wurde, die bis heute gültig ist. Daß diese fallen konnte, geht zu einem guten Teil auf das Konto des Staates und seiner fürstlichen Re präsentanten, die sich im werdenden Absolutismus als Herrscher von Gottes Gnaden dazu legitimiert fühlten. Doch darauf wird noch zurückzukommen sein.''"' Wenn man sich bei der historischen Betrachtung des Toleranzproblems auf Österreich beschränkt, so stößt man auf wenig erfreuliche Tendenzen. Aber, das muß man gleich wieder hinzufügen, auch Eng land und die Niederlande, die als klassische Länder der Toleranz gelten, weisen in unserem Sinne äu ßerst negative Züge auf; so ist etwa in England die Duldung von staatlicher Seite her nur gegen protetantische Gruppen erfolgt, die Katholikenemanzipa tion erfolgte erst im Jahre 1829, denn die Katholiken galten als Untertanen eines fremden Souveräns, des Papstes, als zu gefährlich, und auch in den Nieder landen sind ähnliche Tendenzen zu beobachten. Umgekehrt ist auch die katholische Kirche lange auf dem Standpunkt gestanden, daß ihr als der Vertrete rin der „wahren Religion" auch von Staats wegen der Vorzug einzuräumen sei, sie hat die bürgerliche To leranz nicht anerkannt, freilich sich mit ihr als Zuge ständnis an die wahren Gegebenheiten abgefunden. Erst das 2. Vaticanum brachte hier eine entscheiden de Wende, nachdem schon Papst Pius XII., vor al lem aber Johannes XXIII. Enzyklika „Pacem in terris" auf diesem Wege vorausgegangen waren. Die „Erklärung über die Religionsfreiheit" des 2. Vaticanums betont nachdrücklich das Recht jedes Men schen auf Religionsfreiheit bei Beibehaltung des ka tholischen Wahrheitsanspruches. Freilich sind auch dadurch nicht alle Probleme aus der Welt geschafft * Es handelt sich um den Text eines im Oktober/November 1981 in Linz und Wels, sowie als ökumenische Veranstaltung in Scharten, gehaltenen Vortrages, der für den Druck mit Fußno ten versehen wurde. Die im Jubiläumsjahr 1981 erschienenen Arbeiten (u.a. von Peter F. Barton) konnten nicht mehr berück sichtigt werden. ' Zitiert nach Hans Rudolf Guggisberg, Wandel der Argumente für religiöse Toleranz und Glaubensfreiheit im 16. und 17. Jahr hundert, in: Heinrich Lutz (Hg.), Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, Darmstadt 1977, 4.58 1. Vgl. die beiden Abhandlungen im letzten Heft der OÖ. Hei matblätter von Hans Hüiber (S. 165 ff) und Franz Dickinger (S. 306 ff). Anm.d. Red.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2