Nie prahlt ich mit der Heimat noch und liebe sie von Herzen doch! In meinem Wesen und Gedicht allüberall ist Firnelicht, das große stille Leuchten. Was kann ich für die Heimat tun. Bevor ich geh im Grabe ruhn? Was geb ich, das dem Tod entflieht? Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied, ein kleines stilles Leuchten! Und dann ein verlassenes Grab in einem einsa men Dorffriedhof in Böhmen. Hans Anton Huttig hat die Empfindungen, die einen dort überkommen, in Verse gekleidet: Denk an die Heimat - der kleine Friedhof wird einsam sein, Grabhügel, Kreuze und Steine, keiner kehrt mehr ein, euch ein Licht zu entzünden, euch ein Gebet zu weihn, euch einen Kranz zu winden, Schläfer im hölzernen Schrein. Euch deckt die Heimaterde, mütterlich, die uns gebar, die unsre Kindheit nährte und unser Acker war. Wir, die für immer Vertriebenen, treiben wie Spreu im Wind. Ihr seid die Hinterbliebenen, die geborgen sind. Der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz hat zu den acht Todsünden der zivili sierten Menschheit den „Wärmetod des Gefühls" gezählt. Ich glaube, wer die Empfindungen, wie sie die zitierten Verse ausdrückten, belächelt oder gar ironisiert, der ist fürwahr den Wärmetod des Gefühls gestorben. Der Heimatlose weiß am besten, was Heimat ist. Er hat, mit Stelzhamer zu sprechen, den zweiten Mutterleib verloren. Um diesen Verlust trauern die Heimatvertriebenen. „Schlesien, unverwelklich ge liebtes Antlitz", ruft Gerhart Baron in seinem Neisse-Gedicht; Hanns Gottschalk führt in seiner erzäh lenden Dichtung in Traum und Realität immer wie der zurück an den heimatlichen Oderstrom. Gertrud Fussenegger kehrt ein im „Haus der dunklen Krüge" bei ihrer Ahnenschaft in Pilsen. Glücklich darum die, die den zweiten Mutterleib noch haben. Herbert Eisenreich sieht in seinem Pro sahymnus auf das heimatliche Mühlviertel Land und Seele, Erde und Menschen als die noch nicht ge trennten Hälften des platonischen Eros. Juliane Windhager spricht es lyrisch aus: Daß etwas bleibt, dem man innig begegnen kann. Das von der Zeit uralter Strömung unberührt Währt, wann die Menschen hingehn Oder der Schwelle vergessen . . . Daß etwas bleibt! Für Erna Blaas ist das Brauch tum die Gewähr dafür: Was du bewahrst, ist älter als du bist. Mit jenen frühen, ungenauen Tagen verbindet nur der Brauch, der nicht vergißt , , , Erna Blaas (Adalbert-Stifter-Institut des Landes Ober österreich, Linz). Die Frau ist den chthonischen Mächten näher, dem Reich der Mütter, dem Mysterium des Ge schlechts, Lassen wir noch einmal Erna Blaas spre chen: Ich liege tiefer, als die haarigen Graswurzeln reichen, täglich der Erde ähnlicher, der schwarzen Urmutter, die mich im Schöße hält. Unmittelbarer als der Mann ist die Frau zwischen Geburt und Tod gestellt, den elementaren Mächten des Daseins tiefer verhaftet. Die Dichtungen von Marlen Haushofer (1920— 1970) weisen in Land schaften des Todes, zeigen Frauenschicksale an den Rändern des Lebens, durch Krankheit und Todes nähe vor das Letzte gestellt. Doch an gefährdeten Stellen wird man hellhöriger für die Töne des Lebens und scharfsichtiger für das, was diesseits und jenseits solcher Randzonen liegt. Hier sei an einen aphoristi schen Ausspruch von Otto Hanbner aus seinem „Kleinen Lesebuch wider die Zeit" erinnert: „In jedem echten Kunstwerk wohnt ein Stück Tod, aber gerade dieser Umstand macht es dem Leben tau sendmal wertvoller". Der frühe Tod Marlen Haushofers-sie war noch nichtSO Jahre alt-ist nicht nur für die österreichische, sondern, wie ich glaube, für die gesamtdeutsche Dichtung ein ganz schwerer Verlust gewesen.
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