OÖ. Heimatblätter 1982, 36. Jahrgang, Heft 1/2

Kiste), die (profilierte?) Rahmung des Inschriftfel des war abgestockt. Das geschah, um den Stein ohne Zwischenraum aufliegen zu lassen, daher gibt die Auffindungssituation nicht seine ursprüngliche Lage wieder, er muß umgedreht worden sein. Denn wäre die Sichtbarkeit der Inschrift von Anfang an beab sichtigt gewesen, stellte ihr erhabener Rand ja kein Hindernis für ein glattes Aufliegen des Deckels dar. Die Geniusweihung war anfangs den Reliquienkno chen zugekehrt; wann sie auf das Ossar gekommen ist, läßt sich einigermaßen einengen: es besaß in der Basilika II den reliefierten Marmordeckel, im goti schen Hochaltar die bereits sekundär gelagerte Ge nius-Verschlußplatte; also kann sie nur für die Früh mittelalterkirche I oder II, d. i. von der Mitte des 8. bis zum Ende des 10. Jahrhunderts, mit der Reli quienkiste vereinigt worden sein. Vorausgesetzt, daß uns kein weiterer Kistendeckel verlorengegangen ist, erfolgte der Vorgang beim Entstehen der Früh mittelalterkirche I, die Verkehrung des Weihestei nes spätestens beim gotischen Kirchenbau. Nicht ganz sicher bin ich mir, ob Willibrord Neumüller recht hat, wenn er meint, daß die Weihung mit dem Kisteninhalt nichts zu tun, keinerlei innere Bezie hung zu ihm habe.^5 Vielleicht konstruierte man doch eine solche zwischen den heiligen Gebeinen und dem „Genius" der Legion, oder schloß gar bei der ausführlichen Inschriftdatierung auf einen be stimmten Martyrertag.1® Daß die Weiheinschrift - unter Beschwernis! — den Reliquien zugewendet wurde, gibt da vielleicht auch zu denken. Das Lorcher Steinkistenreliquiar enthielt bei sei ner Wiedererhebung 1962^^ die Gebeine von minde stens 31 Personen, meist Männern. Dieser anthropo logische Befund muß auf jeden Fall schon für das Bo dengrab der Basilika II, für die Zeit um 450 bis drit tes Jahrhundertviertel gelten, als die Reliquien des geschändeten Altares der Basilika I von ca. 370 in ei nem neuen Tuch in der alten Steinkiste wiederbe stattet und, noch so verwahrt, 1900 entdeckt wur den. Vielleicht waren es im ersten Altar noch mehr Knochen. Das Bodengrab der Basilika II liegt östlich eines, mit ihr zugleich entstandenen, großen Altares und erfährt von den Erbauern der Kirche, den Ro manen Lauriacums, eine gesonderte kultische Ver ehrung, zu einem Zeitpunkt, in dem ein sicheres Wissen um die Authentizität seines Inhalts noch un bedingt vorhanden gewesen sein muß. Diese Relikte von mindestens 31 Märtyrern - solche sind es zwei fellos — kennt das ganze Mittelalter, die Frühmittel alterkirche I, die Frühmittelalterkirche II, die goti sche Kirche, wenn sich also Bischof Pilgrim von Pas sau und eine Ennser Bürgersfrau darauf beziehen^®, so sind das keine formelhaften Wiederholungen le gendärer Traditionen, sondern auf eigene Anschau ung gestützte, konkrete Aussagen. Die Märtyrer ruhen bereits in der Basilika I um 370. In diesen Jahren werden sie von einem der gro ßen spätantiken Lauriacenser Begräbnisplätze je weils in exemplarischen Skelettstücken erhoben und im Altar der ersten Kirche als deren Heilige rekondiert. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts leiden und ster ben in Lauriacum während der diokletianischen Verfolgung mit dem hl. Florian nach der Legende weitere 40 Christen. „Kann die Existenz und das Martyrium des heiligen Florian durch das Zeugnis der Martyrologien und der Passio als gesichert ange sehen werden, so ist die Quellenlage für seine Lei densgefährten nicht so günstig".^® Sie finden sich nur in der „Passio Floriani"^®, deren älteste Fassungen ins 8. oder 9. Jahrhundert zu setzen sind.^^ Ihre Veri fizierung erfolgt durch archäologische Grabungen 1960/66 in der Lorcher St.-Laurentius-Kirche: 1) Seit dem 4. Jahrhundert werden hier die Reliquien von mindestens 31 Personen (Märtyrern) verehrt. 2) Man kennt sie, und das von Anfang an. denn sonst hätte man ihnen nicht in der Basilika II des 5. Jahr hunderts ein eigenes Martyrium vor dem Altar er richtet. 3) Sie sind lokaler Herkunft, weil ihr Steinkistenbe gräbnis seit der Spätantike höchste, nie unterbroche ne Verehrung genoß, in inniger, jeweils modifizierter Bezogenheit auf die Altäre stets integrierender Be standteil der Liturgie und zentrales Anliegen der Volksfrömmigkeit, eben das große Lorcher Heiltum war. Konklusion: Der Martyrerkult aller Kirchen am Ort ist der der „40" Leidensgefährten des hl. Florian, der „Lorcher Märtyrer". Wahrhaft zu Recht ruft Willi brord'Aeumü/Zer am Ende seiner Ausführungen^^ begeistert aus: „. . . ist es, fern von allem romanti schen Wunschdenken,. . . Tatsache: Hier haben wir den ältesten Reliquienschatz Österreichs!" - ich er laube mir zu erweitern: . . . den wahrscheinlich einzi gen authentischen, weil extrem-empiristisch (oder in Neumüiler, Sie gaben Zeugnis (wie Anm.4) S. 39 u.ders., Die Lorcher Märtyrer (wie Anm. 4) S. 8. In analoger Denkweise verknüpft z.B.noch um 1320 „Bernardus Noricus" von Kremsmünster zwei beim gotischen Kirchen bau zutagegekommene Römersteine mit den Kirchenanfängen, vgl. Eckhart (wie Anm, *) S, 61 f. Anm. 32 - 36. " Neumüller, Sie gaben Zeugnis (wie Anm.4) S.68 ff.u.dcr.v., Die Lorcher Märtyrer (wie Anm. 4) S. 10 f. Belege bei Neumüller, Sie gaben Zeugnis (wie Anm.4) S.33 f.u, ders., Die Lorcher Märtyrer (wie Anm.4) S. 27. Neumüller, Die Lorcher Märtyrer (wie Anm.4) S. 19. Neumüller, Passio (wie Anm.4) S.4. 2; S.7, 10. Neumüller, ebda. S. 7. Neumüller, Die Lorcher Märtyrer (wie Anm.4) S. 29.

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