wenn der Sache Severin nicht die kirchenhistorische oder gar dogmatische Bedeutung zukommt, wie etwa der Frage nach dem Petrusgrab unter der Vati kanischen Basilika in Rom, so ist ihre Klärung doch ein wichtiger Beitrag zur Erhellung des frühen Chri stentums im Alpen-Donau-Raum. Die Spatenfor schung hat hierzu in den letzten Jahrzehnten außer ordentlich viel beigetragen und ihre Ergebnisse be leuchten das Umfeld der Wirksamkeit Severins höchst eindrucksvoll, auch wenn sich die Gestalt des Eleiligen selbst kaum dem Dunkel entreissen läßt.® 1. Die Topographie Die Vita Severini bietet eine Fülle topographi scher Angaben, die das Wirken Severins im AlpenDonau-Raum mit den konkreten Verhältnissen die ser Region koppeln.® Selbstverständlich zielen diese Hinweise primär nicht auf eine Beschreibung des geographisch-politischen Rahmens; sie fallen viel mehr beiläufig, um andere Aussagen, z. B. Wunder berichte, zu lokalisieren^®, oder das Außergewöhnli che einer Leistung zu demonstrieren.^^ Immerhin zeigen diese Nachrichten, daß Eugipp mit seiner Vita keine übergeschichtliche Darstellung eines Heiligen liefern wollte, sondern ihn einordnete in die raum zeitlichen Koordinaten der spätantiken Epoche an der mittleren Donau. I. 1. Für die Topographie des Alpen-DonauRaumes in der Spätantike ist zunächst die geographi sche Gliederung bedeutsam, die in einem hohen Ma ße vom Flußlauf der Donau bestimmtwird.'^Sgjt^jer Kaiserzeit einbezogen in den Limes, also die Grenz befestigung^®, stellte die Wasserstraße immer auch einen wichtigen Verkehrsweg dar, eine Möglichkeit, die durch den römischen Einfluß auf das Land nörd lich des Flusses gegeben war. Tatsächlich bildete die Donau^" aber keine hermetische Trennungslinie, da man sie nach Auskunft der Vita ungehindert über queren konnte. Die Verbindung zwischen den Ufern war natürlich kaum durch Brücken ermöglicht, son dern durch Boote; in der Vita Severini 9,1 ist vom „Durchwaten" (transvadare) der Donau die Rede, so daß man auch an Furten denken könnte. Es ist verständlich, daß durch die Flußbewegun gen — im Zusammenhang von Quintanis spricht der Verfasser selbst von häufigen Überschwemmun gen^® — ein archäologischer Nachweis von Übergän gen und Anlegestellen schwierig ist; man darf sie in erster Linie an jenen Plätzen vermuten, die auf der südlichen Seite durch Kastelle geschützt waren. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung der Flüsse als Verkehrsader erwähnenswert. Eugipp be richtet, daß Severin selbst einmal von Passau „zu Schiff die Donau hinab in sein altes Kloster (fuhr), welches das größte von allen war und über hundert Meilen entfernt vor den Mauern der Stadt Favianis lag".^® Der Autor erwähnt ferner Schiffe, die mit Hilfsgütern aus Rätien beladen in Favianis anlegten, nachdem sie im zugefrorenen Inn steckengeblieben waren.Trotz aller Gefährdung, wobei die politi schen Unsicherheiten schwerer wogen als natürliche Faktoren, erwies sich die Schiffahrt auf den Flüssen als Bindeglied zwischen den Provinzen; wie im Nor den Inn und Donau, so ermöglichten in Binnennoricum Save und Drau den schiffbaren Anschluß zum Südosten. Neben dem Gütertransport^® dienten die Wasserstraßen auch dem Personenverkehr, ganz ab gesehen von ihrer militärisch-strategischen Bedeu tung. Eine Sicherheitsflotille hatte an mehreren Plät zen, so z. B. in Favianis und Joviacum ihre Anlege stellen.^® Ausgrabungen in Seebruck am Chiemsee, dem antiken Bedaium, zeigen deutlich, welche Rolle die Binnenschiffahrt in den Provinzen spielte®®, von der uns die Vita Severini aus der Spätphase der römi schen Herrschaft zwischen Alpen und Donau noch Kunde gibt. 1.2. Die rege Aktivität Severins schloß eine Rei setätigkeit ein, die ihn nach Angaben der Vita von Asturis — Klosterneuburg®^ bis Quintanis-Künzing®® führte und sogar das Salzachtal hinauf bis Cucullis — ® Zusammenfassungen der Grabungsergebnisse liegen vor bei R. Noll, Frühes Christentum in Österreich von den Anfängen bis um 600 nach Chr. (Wien 1954); G.Alföldy, Noricum (Lon don - Boston 1974); P. F. Burton, Die Frühzeit des Christen tums In Österreich und Südostmitteleuropa bis 788: Studien u. Texte z. Kirchengeschichte und Geschichte I 1 (Wien-KölnGraz 1975); H.-J. Kellner. Die Römer in Bayern (München "1978). ^ Vgl. F. Ertl, Topographia Norici. Die römischen Siedlungen. Straßen und Kastelle im Ostalpenraum (Kremsmünster 1965). Vgl. den Bericht vom Kerzenwunder in Cucullis (VS 11,2 f) und in Juvao (VS 13, 1 f). " Z.B. die Angabe von 200 Meilen, die ein Bär als Tragtier trab te (VS 29,2 [Noll 94]). e.G. Brandis, Art, Danuvius. in: RE 4,2. 2103-2133. Vgl. H. Stiglitz, Militär und Befestigungen am Österr. Limes, in; Die Römer an der Donau (Wien 1973) 45 ff. VS 10,2 unter der griechischen Bezeichnung Hister genannt (Noll 72). '=VS 15,1 (NoinS). '6 VS 22,4 {Noll 88). VS 3,2 f {Noll 60); dazu ebd. 122. Es ist bemerkenswert, daß bereits Amöroittisep. 18,20 von der Fruchtbarkeit des zweiten Rätiens sprach, das deshalb Neid zu spüren bekam: „et secunda Raetia fertibilitatis suae novit invidiam" (Klein 146 f). Vgl. F. Ertl. Topographia 102 f; FI.D.L. Viereck, Die römische Flotte. Classis Romana (Herford 1975); A.Göttlicher, Naves onerariae. Bau und Einsatz römischer Handelsschiffe, in: An tike Welt 8,3 (1977) 47 - 54. Vgl. H.-J. Kellner — G. Ulbert, Das römische Seebruck, in: Bayer. Voraeschichtsblätter 23 (1958) 48 - 82. 2' VS 1,1 {Noll 58). 22 VS 15,1 {NoinS).
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