Die Vita Severini im Lichte der Archäologie Von Peter Stockmeier Wer den Versuch unternimmt, die Vita Severini im Licht der Archäologie zu betrachten, läuft Ge fahr, das großartige Dokument vom Leben und Wir ken Severins während der ausgehenden Antike ein seitig ins Licht zu rücken, indem er von den Ergeb nissen der Bodenfunde aus ihre Aussageabsicht be urteilt. Immer wieder ging man das Problem Severin an, sei es vom Standort der Philologie, der Hagiographie oder der Historie, und erfuhr alsbald die Gren zen eines Zugangs zu seiner Gestalt.^ Alle diese Ver suche lieferten wichtige Beiträge zur Lösung der Se verinsfrage, deren Beantwortung auszugehen hat von dem eigentümlichen literarischen Charakter des Commonitoriums.2 Eugipp wollte mit seinem Werk die Gestalt und das Wirken Severins nach Art einer Vita ins Bewußt sein heben und er beabsichtigte demgemäß nicht, in erster Linie Auskünfte über die konkreten Verhält nisse im Wirkungsbereich seines „Heiligen" zu ge ben. Dennoch finden sich in seinem Werk zahlreiche Hinweise auf die geographischen, politischen und kirchlichen Gegebenheiten im Alpen-Donau-Raum, so daß Severins Wirken eingebettet erscheint in ei nen geschichtlichen Rahmen. Dabei ist es in den letz ten Jahrzehnten vor allem der Archäologie gelun gen, das Bild von den Lebensverhältnissen in den Provinzen Noricum und Rätien während der Spätantik'e zu erhellen, und gleichzeitig wurde die Möglich keit gegeben, ihre Ergebnisse mit den Angaben der literarischen Quelle zu vergleichen. Vor allem haben Einzelgrabungen und Funde Licht in die Vergangen heit gebracht und dazu beigetragen, über allgemeine Einsichten hinaus, Kenntnisse von der Situation des Christentums in diesem Raum zu gewinnen. Nicht nur um dem genius loci zu huldigen, sind hier zu nächst die Arbeiten von Hermann Vetters und Lo thar Eckhart zu nennen, die mit ihren Grabungen in Lorch bzw. Sankt Laurenz einen wichtigen Beitrag zur Veranschaulichung der kirchlichen Verhältnisse im Zeitalter Severins geleistet haben.^ Kaum weniger bemerkenswert sind die Ergebnisse der Spatenfor schung (= Ausgrabungen) im Bereich von Passau, die nun über Vermutungen zur Frühgeschichte des Christentums an diesem Platz hinausführten.Es zeigt sich, daß gerade die Archäologie unsere litera rische Überlieferung, wie sie beispielsweise in der Vita Severini vorliegt, in großartiger Weise zu illu strieren und vielfach zu ergänzen vermag. Gewiß bleiben trotzdem noch viele Fragen offen; aber es besteht kein Zweifel, daß nach der weitgehenden Aufarbeitung der literarischen Quellen® weitere Er kenntnisse zur Geschichte des frühen Christentums, und zwar auch ah der mittleren Donau, am ehesten von der Archäologie zu erwarten sind. „Es ist oft der Fall, daß der Nutzen der Archäologie für die Ge schichte mit dem Anwachsen des archäologischen Quellenmaterials wächst und es gibt andererseits auch den Fall, daß gewisse Quellengruppen die Ar chäologie mehr oder weniger unnötig machen".® In unserem Zusammenhang demonstriert diese Schwierigkeit gut der Streit um die Lokalisierung von Favianis, der aufgrund der bisherigen archäolo gischen Ergebnisse nicht zu entscheiden ist.^ Auch ' Neben der Ausgabe der Vita mit vorzüglichen Informationen im Anmerkungsteil von R. Noll, Eugippius. Das Leben des heiligen Severin. Lateinisch und Deutsch: Schriften und Quel len der Alten Welt II (Berlin 1963) ist zu nennen: Th.Som merlad, Die Lebensbeschreibung Severins als kulturgeschicht liche Quelle (Leipzig 1903); A. Bauärillart, Saint Severin. Apötre du Norique (Paris 1908); W. Bulst, Eugippius und die Legende des heiligen Severin. Hagiographie und Historie, in: Die Welt als Geschichte 10(1950) lH-27-,E.M.Ruprechlsherger, Beobachtungen zum Stil und zur Sprache des Eugippius, in: Rom. Österreich 4 (1976) 227 - 299; R. Noll, Die Vita Sancti Severini des Eugippius im Lichte der neueren For schung, in: Anz. d. Österr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 112 (1975) 61 — 75; F. Lotter, Severinus von Noricum. Legende und historische Wirklichkeit. Untersuchungen zur Phase des Übergangs von spätantiken zu mittelalterlichen Denk- und Lebensformen: Monogr.z, Gesch. d. Mittelalters 12 (Stuttgart 1976). 2 Zur Literaturform des Commonitoriums siehe S. Prete, 11 ,Commemoratorium' nella letteratura cristiana antica (Bolo gna 1962). ^ L. Eckhart, Die Grabungsergebnisse 1960-63 in St. Laurenz zu Lorch-Enns, in: Jb.d. Q. Ö. Mus. Vereins 109 (1964) 172 - 189; H. Vetters, Lauriacum und seine Grabungsgeschichte, in: Enns. Lorch. Lauriacum. Festschrift zur 750-Jahr-Feier des Stadtrechts von Enns (Linz 1962) 90- 100; ders., Lauriacum, in: ANRW11 6 (Berlin-New York 1977) 355-379. ^ Vgl. R. Christlein, Romanische und germanische Funde des fünften Jahrhunderts aus den Passauer Kastellen Batavis und Boiotro, in: Qstbairische Grenzmarken 22 (Passau 1980) 106 - 118. ® Es sei erinnert an die neu ins Spiel gebrachte Vita B. Antonii des Ennodius (CSEL 6, 384, 25 f). Vgl. F. Lotter, Severinus 227 ff. ® M. 1. Finley, Archäologie und Geschichte, in: Antike Welt 7,1 (1976) 39-47, 45. ' Zur umstrittenen Frage siehe J. Haberl, Favianis, Vindobona und Wien. Eine archäologisch-historische Illustration zur Vita S. Severini des Eugippius (Leiden 1976).
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