OÖ. Heimatblätter 1982, 36. Jahrgang, Heft 1/2

Buchbesprechungen Heimat. 35. Jahrestagung des Oberösterreichischen Volksbil dungswerkes im Bildungshaus Schloß PuchbergAVels vom 3. bis S.April 1981 (= Schriftenreihe des Oberösterreichischen Volks bildungswerkes Bd. 26). Linz 1981. 169 Seiten. Es gibt Begriffe, die sind nahezu schicksalhaft gezwungen, alle Wandlungen, die für jeweilige Zeitströmungen charakteristisch sind, mitzumachen. Es sind das allerdings die schlechtesten Be griffe nicht, vielmehr umschreiben sie meist sehr zentrale Anlie gen des Menschen, sie stehen unserem Herzen aus unserer letzt lich ewig gleichen „conditio humana" heraus, die ja nur in Varia tionen stets um dieselben Themen kreist, besonders nahe. So kön nen sie - obwohl immer wieder totgesagt - auch nicht sterben, sondern erwachen stets zu neuem Leben, nicht selten von alten Schlacken gereinigt und in neuem Gewand. Heimat ist ein .solcher Begriff. Seine Auferstehung scheint im Gange zu sein, und es ist - was den Uneingeweihten vielleicht erstaunen mag — vor allem auch eine Reihe von deutschen Literaten der fortschrittlichen Szene in der Bundesrepublik Deutschland wie Walser, Grass und Boll, die seit Ende der Sechzigerjahre etwa mit den Worten des Letztgenannten forderten: „Das Wort ,Heimat' ist schön, aber man muß es neu definieren". Diese Definition hat sich mittlerwei le von allem Mythischen losgesagt, das je mit dem Begriff Heimat verbunden wurde, und auch von der Anschauung, daß Heimat et was Statisches, ewig Unveränderbares darstellen müsse. Heimat wird in dieser neuen Betrachtungsweise eher als etwas sich Wan delndes angesehen, das in jeder geschichtlichen Phase neu be stimmt wird, als Umwelt, die durch den aktiven Menschen mitund selbstgestaltet wird. Auch zur aggressiven Kampfparole wird „Heimat" neuerdings: gegen Zentralismus, ausbeuterische Inter essen verschiedenster Art, gegen Verbürokratisierung, Konsu mismus, Umweltzerstörung und dergleichen mehr (Dieter Kra mer, Die Provokation Heimat. In: Heimat, ein kulturpolitischer Begriff, Wien 1981, S. 15 ff.). Auch Wiedergeburten pflegen meist von Wehen begleitet zu sein, die in unserem Fall manchen schmerzen mögen, der viel leicht zu einseitige Assoziationen mit dem Heimatbegriff verbin det. So gesehen ist es nun weiter nicht verwunderlich, daß es nun oft in einem Jahr mehr engagierte und kritische Symposien, En queten und Tagungen zum Thema „Heimat" gibt, als in Nach kriegszeiten in einem ganzen Jahrzehnt. So setzten sich 1981 — um nur zwei wichtige Beispiele zu nennen - die „Kulturkontakte" (jährliche bundesweite Veranstaltung der „Österreichischen Ge sellschaft für Kulturpolitik") in Mattcrsburg ebenso mit der in Re de stehenden Problematik auseinander, wie auf regionaler Basis die 35. Jahrestagung des Oberösterreichischen Volksbildungs werkes (3. bis 5. April 1981) im Bildungshaus Schloß Puchberg (Wels). Die Referate, die bei der letztgenannten Tagung gehalten wurden, sind nunmehr nachzulesen im Band 26 der „Schriftenrei he des Oberösterreichischen Volksbildungswerkes" (Linz 1981), der an dieser Stelle rezensiert werden soll. Als Motto wird der Schrift ein Zitat des bekannten Berliner Psychologen und Pädagogen Eduard Spranger vorangestellt, der postulierte, daß Heimat nicht nur Gefühlswerte umspannt, son dern daß „das Stück Welt, das wir Heimat nennen, auch seine ganz bestimmte, im Wissen erfaßbare sachliche Beschaffenheit hat". Ein Motto, das auch heute noch durchaus brauchbar anmutet, wenn es uns einerseits hilft, den sentimental überfrachteten Be griff „Heimat" zu entrümpeln, anderseits seine emotionale Kraft (nach Entfernung freilich eines jeglichen „Blut- und Bodensat zes") als einen der möglichen Haltegriffe zu nützen in einer ge fühlskalten, alles Materialistische auf die Spitze treibenden Zeit. Einleitung in die Tagung wie in die Broschüre bieten neben ei nem Grußwort des Vertreters des Unterrichtsministeriums ein Eröffnungsvortrag von Landesrat Hans Winetzhammer, der-ge mäß seinem Ressort - in erster Linie auf den Bau- und Umwelt schutzaspekt eingeht, ebenso wie eine Einführung in das Tagungs thema durch Hofrat Dr. Assmann (Bundesstaatlicher Volksbil dungsreferent für OÖ.), der nicht nur für die Vergangenheit, son dern auch für die Gegenwart vor einem politischen Mißbrauch von Begriffen wie „Volk" und „Heimat" warnt und nach einer Absage an jeglichen Heimatkitsch sowie an die Anschauung, Hei mat wäre „nur mit tradierter Volkskultur und all den diesbezügli chen und gelegentlich mißverstandenen Äußerungen zu assoziie ren", zu einem für Oberösterreich sehr eingängigen Beispiel fin det, das sich aber wohl jederzeit auch auf andere Regionen über tragen läßt, wenn er sagt: „Die VOEST zum Beispiel ist genauso ein Teil unserer Heimat wie eine Naturschutzzone, eine modern erbaute Satellitenstadt ebenso wie ein prächtiges altes Ortsbild. Als kulturelle Leistungen der Menschen unserer Heimat sind des gleichen neben der spezifischen Volksmusik auch jene Komposi tionen alter oberösterreichischer Meister zu nennen, die uns die ,cappella ovilava' . . . vorträgt, desgleichen die Arbeiten moder ner Künstler unseres Landes." Der schwierigen Aufgabe, grundsätzlich zum Begriff „Hei mat" im Wandel der Zeit zu referieren, unterzog sich Prof. Dr. Rudolf Fochter. Er verschließt die Augen nicht vor der Fülle an auftauchenden Fragen und Problemen: sei es die Erkenntnis, „daß man trotz aller objektiven Absichten ohne ein gewisses Maß an persönlichen Einstellungen am Phänomen Heimat niemals so recht vorbeikommen wird", sei es die eindrucksvolle Feststellung - geboren aus der Sicht des Heimatvertriebenen -. daß ein Mensch im Ablauf seines Lebens auch mehrere Heimaten haben kann. Er setzt sich mit der immer wieder verfolgbaren Wellenbe wegung auseinander, in der auf ein Zuviel an Heimattreue stets eine übertriebene Huldigung an alles Fremde und Exotische zu folgen scheint. Fochler regt auch an, sich mit Rene Königs „Be griff der Heimat in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften" zu befassen, wo der bekannte Soziologe definiert, daß Heimat im wesentlichen durch das Verhältnis des Menschen zu der Gemein de, in der er aufwächst, verwirklicht wird. Dieses Verhältnis er weise sich als ein soziales Determinationssystem. Derartige Ge meinden seien auch in den fortgeschrittenen Industriegesellschaf ten wirksam; König erblickt in ihnen den unverwechselbaren Schwerpunkt in der Kulturlandschaft. Der Referent befaßt sich in einer bunten Palette aber auch z. B. mit den Heimatforderungen der ethnischen Minderheiten in Europa, die kaum auf Gewinn von territorialem Gebiet, sondern auf die Prägung eines Identitätsbewußtseins sowie auf die Profi lierung des Volkes oder Stammes als gewachsene Einheit, als Komplex aus Kultur und Geschichte, ausgerichtet sind. Sprachliche Betrachtungen werden angestellt, von der Suche nach der Grundbedeutung des Wortes „Heimat" aus seiner Ety mologie heraus, über Vergleiche mit anderen Sprachen, die oft keine bedeutungsgleiche Entsprechung zu unserem deutschen Wort kennen, bis hin zum Bedeutungswandel des eigentlich falsch

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