jähre in Ziffernschrift aufzuzeigen, einen schlech ten Start haben mußten. Es gab für die Ziffernfor men keine Norm, in Abschreibungsketten kam es zu vielfachen Gestaltveränderungen und noch schlimmer wirkte sich die Tatsache aus, daß schwer jemand zu finden war, der die Kunst beherrschte, eine gewünschte Jahreszahl aus den rätselhaften Ziffern zusammenzustellen. Lesen und Schreiben waren seltene Künste, im Verwaltungsdienst muß te man auch rechnen können. Dieses erfolgte ma nuell, auf Tafeln mit einem dekadischen Gerüst aus Linien, auf und zwischen denen die Rechen pfennige in jener Ordnung aufgelegt und umgelegt wurden, wie es der lateinischen Zahlschrift ent sprach. Die Ziffern konnten sich in diese Rechen form nicht einmischen, sie boten keinen Vorteil. Wir können uns nur schwer vorstellen, wie es am Ausgang des Mittelalters um das Bildungswesen bestellt war: keine gedruckten Bücher, keine Zei tungen; warum sollte man lesen und schreiben ler nen? Der Alltag stellte auch keine Rechenaufga ben, wichtig war nur, wieviele Pfennige sich im Sparstrumpf befanden und z. B. abschätzen lie ßen, wann ein Paar Schuhe für 14 — 20 Pf. erwor ben werden konnte. Ein bescheidenes Rechenver mögen war nur von wenigen Beamten zu fordern und wenn diese gelegentlich die sagenhaften Zif fern zu Gesicht bekamen, so konnten sie von ihnen keine praktischen Vorteil erwarten. Etwa die Mul tiplikation CCXLVI mal LXXVIII mußte man ja doch auf der Rechenbank durchführen, um schließlich das Produkt mit MDCCCCLXXXVIII niederzuschreiben. Wenn es zutraf, daß man jedwege anfallende Jahreszahl mit nur vier Ziffern an schreiben konnte, so war dies für die Beschriftung von Grabsteinen eine Platzersparnis. Nur dieser Erwägung verdankt man das frühe Auftauchen von Zifferjahreszahlen. Der Verlauf der Kreuzzüge brachte einen un geheuren Aufschwung des Fernhandels über das Mittelmeer, Handelsplätze blühten auf, kaufmän nische Korrespondenz und Buchhaltung gewan nen größte Bedeutung und italienische Kaufleute waren die ersten, die das indische Rechnen aus dem Liber Abaci des Leonardo von Pisa (ex 1202) erlernten und in ihren Kontoren praktizierten. Die deutschen Handelspartner gaben ihre Söhne italie nischen Geschäftsfreunden in die vier- bis fünfjäh rige kaufmännische Lehre, zu beiderseitigem Nut zen. Die deutschen Steinmetze konnten wohl die Vorlagen für Grabsteininschriften lesen, sie besa ßen Musteralphabete, kaum aber Ziffervorlagen. Soweit sie solcher habhaft wurden, fehlte aber das Verständnis für ihre richtige Auswahl und Abfol ge. Wir stoßen daher bei den gebrachten Zahlen mustern auf solche Zeichen mangelhaften Ver ständnisses, ganz besondere Schwierigkeiten be reitete die geheimnisvolle Null. Daß man für die Zahlen eins bis neun nur eine einzige charakteristi sche „figura" hatte, war verständlich und schien praktisch, aber es erschien doch als Nonsens, für „nichts" ein Zeichen zu setzen, eine „nulla figura". Weil man sie nicht verstehen konnte, wich man ihr in vielen Fällen elegant aus. Man konnte ihr auch Verachtung ausdrücken, indem man sie zu ei nem Kreislein erniedrigte, hochsetzte, zu einem Punkt degradierte oder überhaupt ausließ. In der zeitlichen Abfolge der gezeigten Zahlenmuster läßt sich nur langsam eine Besserung hinsichtlich Vereinheitlichung der Ziffernformen erkennen, man konnte eine solche auch erst nach Erscheinen gedruckter deutscher Rechenbücher erwarten. Leider gössen die Drucker der ersten Autoren auch noch keine einheitlichen Ziffemformen, sodaß erst mit der Zeit eine Vereinheitlichung erfolg te. Die vielen Auflagen des Adam Riese und seiner Söhne Abraham, Isaak und Jakob hatten daran wohl das Hauptverdienst. Ab 1600 gibt es fast keine Unklarheiten im Zahlenlesen, weshalb die Vorlagen hier abbre chen. Nun könnte es aber sein, daß jemand auf Jahreszahlen stößt, die 12 oder 13 Hunderter auf weisen und ohne Mühe lesbar sind. Rechenhistori ker des 19. Jahrhunderts haben nach genauen Un tersuchungen nur vier solcher überraschenden Frühformen als echt anerkannt. Alle anderen sind also erst zu einem späteren Zeitpunkt gesetzt wor den. Man wollte offenbar durch mündliche Über lieferung bekanntgebliebene Gedenkjahre für künftige Generationen festhalten und verwendete dabei, ohne Hintergedanken, die im Setzungsjahre übliche Zifferzahlschrift, obwohl im Gedächtnis jahre nur die römische Zahlschrift in Verwendung gestanden war. Einen solchen hübschen Stein brin ge ich im Bilde. An diesem Gedenkstein ist zwar die Inschrift echt, originär, aber zur Zeit des Able bens der Tannbeckher war die Anbringung einer lulifr-lii'ilülii-d'oiiraii-ijub püu'nitiii'iwucüii'iJPilili miji'UMjifui-liinviiot-aiiftii I TA8 Grabplatte im Kapitelsaal des Stiftes Wilhering
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