OÖ. Heimatblätter 1982, 36. Jahrgang, Heft 1/2

Heimatblätter Jahrgang 36 1982 Heft 1/2

Oberösterreichische Heimatblätter Herausgegeben vom Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege in Oberösterreich Leiter: W. Hofrat Dr. Dietmar Assmann 36.Jahrgang(1982) Heft 1/2 Inhalt Zu Person und Werk des hl. Severin Rudolf Zinnhohler Zum gegenwärtigen Stand der Severin-Forschung Rudolf Zinnhobler Die Vita Severini im Lichte der Archäologie Peter Stockmeier Die Heiligen der Lorcher Basilika und die Archäologie Lothar Eckhart Liturgiegeschichtliche Aspekte der Vita Severini Klaus Gamber ^ Oberösterreichs Bild in der Dichtung Adalbert Schmidt Die ideellen und politischen Grundlagen des Toleranzpatentes von 1781 Georg Heilingsetzer Reise ins Salzkammcrgut im Jahre 1821 Josef Moser Oberneukirchner Schulgeschichtc Josef Mittermayer Der Zentralraum von Oberösterreich im 3 Spannungsfeld zwischen den west- und ostösterreichischen Kulturlandschaften Ernst Burgstaller ^ Alte Ziffer-Jahreszahlen — richtig lesen, zeitrichtig restaurieren Albert Topitz 16 Das Sgraffito im Bild der oberösterreichischen Landschaft. Zum Werk von Friedrich Thiemann Carl Hans Watzinger 18 Steyrer Miszellen Georg Wacha Der Liedaufzeichner Ferdinand Schaller ^2 Rudolf Fochler Ein „Drahbrett" („Glücksradl") Cölestin Hehenwarter Konsulent Prof. Dr. Hans Huebmer — 85 Harry Slapnicka ,9 t Professor Friedrich Knaipp t Dietmar Assmann „Das Fenster", Gestaltungselement in Architektur und Ortsbild Katharina Dobler )3 Buchbesprechungen

Anschriften der Mitarbeiter Univ.-Prof. W. Hofrat Dr. Ernst Burgstaller, Donaublick straße 32, 4020 Linz Prof. Dr. Katharina Dobler, Förderungsstelle des Bundes für Erwachsenenbildung für Oberösterreich, Landstraße 31, 4020 Linz Hon.-Prof. Dr. Lothar Eckhart, Oberösterreichisches Landestnuseum, Museumstraße 14, 4020 Linz Konsulent Prof. Dr. Rudolf Fochler, Benzstraße 14, 4020 Linz Msgr. Dr. Dr. Klaus Gamber, Liturgiewissenschaftliches Institut, St. Petersweg 13, D-84 Regensburg Dr. Cölestin Hehenwarter, Röntgenstraße 2, 4020 Linz Archivrat Dr. Georg Heilingsetzer, Oberösterreichisches Landesarchiv, Anzengruberstraße 19, 4020 Linz Konsulent HS-Direktor i. R. Josef Mittermayer, Schaffet schlag 49, 4181 Oberneukirchen Dr. Sepp Moser, Traunsteinstraße 155, 4810 Gmunden o. Univ.-Prof. Dr. Adalbert Schmidt, Gstöttengutstraße 7, 5020 Salzburg Prof. Dr. Harry Slapnicka, Leiter der Abt. Zeitgeschichte und Dokumentation am Oberösterreichischen Landesarchiv, Anzengruberstraße 19, 4020 Linz Univ.-Prof. Dr. Peter Stockmeier, Seminar für Alte Kirchen geschichte der Universität München, Geschwister-SchöllPlatz 1, D-8 München 22 Direktor i. R. Albert Topitz, Weinheberstraße 8, 4020 Linz Senatsrat Dr. Georg Wacha, Direktor des Stadtmuseums, Bethlehemstraße 7, 4020 Linz Prof. Carl Hans Watzinger, Tungassingerstraße 38, 4020 Linz Univ.-Prof. Dr. Rudolf Zinnhobler, Institut für Kirchen geschichte und Diözesangeschichte der Kath.-Theol. Hoch schule, Harrachstraße 7, 4020 Linz Buchbesprechungen Oberrat Dr. Gerhard Baumann, Leiter der Förderungsstelle des Bundes für Erwachsenenbildung für Kärnten, Theater gasse 4, 9020 Klagenfurt Konsulent LWR Ing. Franz Dickinger, Blankenbergerstraße 7, 4540 Bad Hall Archivoberkommissär Dr. Klaus Rumpier, OÖ. Landesarchiv, Anzengruberstraße 19, 4020 Linz W. Hofrat Dr. Otto Wutzel, Gruberstraße 30, 4020 Linz Titelbild: Der hl. Severin. Kleines Andachtsbild der Beuroner-Kunstschule (Beginn 20. Jh.) Foto: Dr. Widder, Linz Herausgeber und Medieninhaber: Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege in Oberösterreich Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexemplare) und Bestel lungen sind zu irchten an die Redaktion der OÖ. Heimatblätter: Wiss. Rat Dr. Aldemar W.M.Schiffkorn. Landesinstitut für Volks bildung und Heimatpflege in OÖ., 4020 Linz, Landstraße 31 (Landeskulturzentrum Ursulinenhof), Tel. (0732)71 5 17 u. 715 18. Hersteller: Buch -1- Offsetdruck Friedrich Karrer. 4020 Linz, Reslweg 3. Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der jeweilige Ver fasser verantwortlich. Alle Rechte vorbehalten. ISBN 3-85393-021-2

Zu Person und Werk des hl. Severin Von Rudolf Zinnhobler Zur Einführung und Abrundung der in diesem Heft behandelten Themen zu Severin^ und der Vita Severini seien den nachfolgenden Ausführungen ei nige allgemeine Erwägungen vorangestellt. Dieser Mann, der im 5. Jahrhundert in unserer Heimat wirkte, war eine der größten, edelsten und aktivsten Persönlichkeiten seiner Zeit, jener beweg ten Epoche, die man meist mit Schlagwörtern wie „Völkerwanderung" und „Ende der Römerzeit" zu charakterisieren versucht. Damals bemühte sich der bedeutende „Staatsmann" und „Mönch" darum, der bedrängten Bevölkerung Halt und Hilfe zu bieten. Von den Markomannenkriegen im 2. Jahrhun dert n. Chr. an, hatte sich das Reich nie mehr wirklich erholen können. Die an Norikum angrenzende Pro vinz Pannonien mußte im Jahre 433 vertraglich den Hunnen überlassen werden. Nach dem Tode ihres Königs Attila (f 453) wurden die Regionen an der Donau, obwohl sie offiziell noch römisch blieben, eine Art Niemandsland. Im heutigen Niederöster reich nördlich der Donau hatten die Rugier, die auch östlich der Enns als Föderalen geduldet werden mußten, ihr Reich aufgerichtet. Auch Stämme wie die Heruler, TTiüringer, Alemannen u. a. fielen in diese Gegenden ein. 476 wurde der letzte römische König Romulus Augustulus vom Skirenfürsten Odoaker abgesetzt. Dieser konnte zwar 487/88 die Rugier schlagen, da er jedoch von den Goten unter Führung Theoderichs hart bedrängt wurde, gab er das Gebiet nördlich des Alpenkammes auf. Die Provinz Ufemorikum (im wesentlichen das Gebiet der heutigen Bundesländer Salzburg sowie Ober- und Niederösterreich mit Aus nahme der Landstriche nördlich der Donau und öst lich des Wienerwaldes) wurde damals von der roma nischen Bevölkerung zum Großteil verlassen. Die Leute übersiedelten nach dem Süden, mußten also das Flüchtlingsschicksal erdulden. Noch gehörten die beiden Teilprovinzen von „Noricum" (Binnen- und Ufemorikum) zum Rö merreich, als Severin - bald nach dem Tode des er wähnten Hunnenkönigs - hier seine Tätigkeit be gann. In einem Brief seines Biographen Eugippius, der der im Jahre 511 abgefaßten „Vita" des Heili- ' Auf eingehende Literaturhinweise sei hier verzichtet. Sie finden sich in den Anmerkungen der nachfolgenden Beiträge. S SnicrmiK poftAfti. iji ni rr^rm hunmxm dc» RincTum %mirtdj3nut Aufhir ^polhoius Der hl. Severin. Aus dem Holzschnitt von Alhrecht Dürer „Die Schutzheiligen Österreichs", ISIS. Foto: Dr. Widder, Lin.z

gen^ gleichsam als Einleitung vorangestellt ist, wer den Ziel und Absicht seines Kommens klar zum Ausdruck gebracht; Severin werden die Worte in den Mund gelegt, die als Motto für sein ganzes Le benswerk gelten können: „Gott hat mir den Auftrag erteilt, diesen Menschen in ihrer Not beizustehen". Über die Person und das Werk des hl. Severin in formiert uns in erster Linie die bereits genannte „Vi ta Severini"2, mit der sich dieser Band beschäftigt. Neuere Forschungen^ haben gezeigt, daß Severin ein überaus gebildeter und einflußreicher „Römer" gewesen sein muß, der ursprünglich wohl auf politi schem Gebiet in hoher Funktion tätig war. Dieser Umstand erklärt die Art seines Auftretens, sein Handeln mit Autorität, sein großes Ansehen und zum Teil auch seinen Erfolg. Seine streng aszetische Lebensweise sowie seine staatsmännische Klugheit waren ausschlaggebend für das große Vertrauen, das ihm sowohl seine romanischen Landsleute als auch die germanischen Heerführer entgegenbrachten. Überblicken wir das Lebenswerk des Heiligen, so lassen sich einige Schwerpunkte erkennen: 1. In den blutigen Auseinandersetzungen zwi schen den Völkerschaften, die damals im Donau raum aufeinanderstießen, gelang es Severin wieder holt, Verfolgten zu helfen. Gefangene zu befreien und Frieden zu stiften. Wurde die Feindbedrohung zur akuten Gefahr, organisierte er mit Umsicht die notwendig gewordenen Rückzugsaktionen. Als Auf fanglager spielte Lauriacum/Lorch eine große Rolle." 2. Zu den hervorragenden Leistungen des Heili gen gehört die Linderung materieller Not. Severin baute ein großzügiges Hilfswerk auf, durch das in den Tagen der Bedrängnis sowohl die ansässige Be völkerung als auch die zugezogenen Flüchtlinge Un terstützung fanden. Es gelang ihm trotz der schwieri gen politischen Situation immer wieder, Güter aus der Nachbarprovinz Binnennorikum, ja sogar aus Italien herbeizuschaffen. Nicht umsonst wird Seve rin als Patron der Caritas verehrt. 3. Obwohl Severin Laie war, galt der Kern seines Wirkens der geistig-religiösen Betreuung der ihm anvertrauten Menschen. Für diesen Zweck errichte te er mehrere Klöster. Sie waren Stätten des Gebe tes, aber in hohem Maße auch Orte tätiger Nächsten liebe. Nach Severins Vorbild lebten die Mönche in strenger Askese, um dadurch frei zu werden für ein Leben im Dienste der Mitmenschen. Ob man Seve rin „Abt" oder „Mönch" nennen kann, ist eine Frage der Terminologie. Jedenfalls muß man sich der Tat sache bewußt bleiben, daß das damalige Klosterwe sen anders strukturiert war als das spätere. Als der Heilige am 8. Jänner 482 zu Favianis starb, waren die Tage der Römerherrschaft an der Donau gezählt. Als acht Jahre später ein Großteil der Romanen nach dem Süden abzog, versäumte man es nicht, die Reliquien Severins als kostbaren Schatz mitzuführen. Seine Gebeine ruhen heute in Frattamaggiore bei Neapel. Verehrt wird der Heilige vor allem in Bayern und Österreich. An Pfarren, die unter seinen Schutz ge stellt sind, sind zu nennen: München-Garching, Neuhaus am Inn, Passau-St. Severin, Passau-Heining, Linz-St. Severin, Krems-Lerchenfeld, WienSievering, Wien-Neuwähring und neuerdings (Pfarr erhebung am 8. Jänner 1982) eine Pfarje in Tulln. Besondere Zentren eines Kultes sind auch jene Orte, die nach der „Vita", der geschichtlichen Überliefe rung oder aufgrund besonderer Verehrung einzelner in Beziehung zu St. Severin stehen: Künzing (Bay ern), Kuchl b. Salzburg, Enns-Lorch, Mautern (N.Ö.), Wien-Heiligenstadt sowie Fürstenfeld (Stei ermark, Missionsseminar St. Severin). ^ Vgl. die Ausgabe von R. Noll, Eugippius - Das Leben des heili gen Severin (Schriften und Quellen der alten Welt Bd. 11), Ber lin 1963; 2. Auflage Passau 1981. Eine deutsche Übersetzung ist jetzt zugänglich in der von der St. Severin-Bruderschaft WienHeiligenstadt besorgten Ausgabe: Eugippius—Vita Sancti Severini. Das Leben des heiligen Severin, Wien 1981. ^ Vgl. meinen Beitrag „Zum gegenwärtigen Stand der SeverinForschung" in diesem Heft, besonders aber ¥. Letter, Severinus von Noricum. Legende und historische Wirklichkeit (Monogra phien zur Geschichte des Mittelalters Bd. 12), Stuttgart 1976; ders.. Die historischen Daten zur Endphase römischer Präsenz in Ufemorikum, in: Von der Spätantike zum frühen Mittelalter, hg. v.J. Werner anä E.Ew/g (Vorträge und Forschungen Bd. 25), Sigmaringen 1979, S. 27 - 90. " Hierzu jetzt K.Zinnhobler, St.Severin in Lorch, in: Lorch in der Geschichte (Linzer Phil.-theol. Reihe Bd. 15). Yig.v.R.Zinnhob ler, Linz 1981. S. 128 - 144.

Zum gegenwärtigen Stand der Severin-Forschung Von Rudolf Zinrvhobler Es ist nicht die Absicht der folgenden Ausfüh rungen, einen Literaturbericht zu geben. Das ist in jüngster Zeit schon mehrmals geschehen.^ Ich möch te vielmehr über neuere Erträgnisse und Ergebnisse der Forschung berichten, durch die unsere Kenntnis über die Hauptquelle zum Leben Severins (die 511 verfaßte „Vita Severini" des Abtes Eugippius von Lucullanum bei Neapel), über die Person des Heili gen und sein Wirken und schließlich über seine Ver ehrung wesentlich erweitert worden ist. Auch das soll nur exemplarisch geschehen. Ich gliedere meine Darlegungen in vier Abschnitte und füge schließlich einige Hinweise auf noch offene Fragen an. 1. Der Umgang mit der Hauptquelle Die Vita Severini" liegt in einer von R. Noll be sorgten und von E. Vetter textkritisch bearbeiteten Ausgabe samt Ubersetzung leicht zugänglich vor.^ Die Zahl der Benützer und Kommentatoren der „Vita" ist bereits unübersehbar geworden, eine Se verin-Bibliographie oder Sammelstelle des einschlä gigen Schrifttums wäre ein dringendes Desiderat. Schon die schlichte Lektüre des Buches von Eu gippius vermittelt das unverwechselbare Bild eines großen Menschen und Heiligen, der sich vor allem auch als „homo politicus" erweist. Freilich kann man sich gleichzeitig eines gewissen Unbehagens an den vielen Wunderberichten kaum erwehren. Seit kurzem ist der Umgang mit der „Vita" schwieriger, aber auch erfolgversprechender gewor den, seit nämlich F. Lotter die in der biblischen Exe gese und in der Literaturgeschichte längst übliche formgeschichtliche Methode in die Severin-For schung eingebracht hat.^ Demnach sind bei der Lek türe der „Vita" das „genus literarium" (die literari sche Gattung) und die die Kompositionsgesetze, nach denen das Werk verfaßt wurde, ständig im Auge zu behalten. Eugippius wollte nicht primär Geschichte schreiben, sondern //e//sgeschichte, und er wollte seinen Mönchen, auch denen der folgenden Genera tionen, ein beispielhaftes „Leben" schildern. Er griff hierfür, wie er selber sagt, auf „die uns wohlbekann ten täglichen Erzählungen der älteren Generation" zurück." Die erstaunlichen Leistungen des Severin, die sich schon den Gewährsleuten des Eugippius viel fach unter dem Aspekt des Wunderbaren dargestellt hatten, hatten bei ihrer Aufzeichnung längst den 'hu V Olwunder des hl. Severin. Hinterglashild von H. Mackin ger, 1979. Foto: Dr. Widder, Linz ' Vgl. etwa R. Noll, Die Vita Sancti Severini des Eugippius im Lichte derneueren Forschung, in: Anzeiger der phil.-hist. Klas se der österr. Akademie d. Wissenschaften 112(1975)61 -75; ders., Literatur zur Vita Sancti Severini aus den Jahren 1975 - 1980, ebd. 118 (1981) 196- 221. F. Loller, Die historischen Da ten zur Endphase römischer Präsenz in Ufernorikum, in: Von der Spätantike zum frühen Mittelalter (Vorträge und For schungen Bd.25). hg.v.J.Werneru.E.Ewig, Sigmaringen 1979. S. 27 - 90; B. Rajko, Novejsa Literatura o Svetem Severine (1975 - 1977). in: Arheoloski Vestnik. Acta Archaeologica 30 (1979) 577 - 587. ^ Eugippius, Das Leben des heiligen Severin. Lateinisch-deut sche Ausgabe, hg. v. R. Noll, Passau^ 1981. 3 F. Loller, Severinus von Noricum. Legende und historische Wirklichkeit (Monographien zur Geschichte des Mittelalters Bd. 12), Stuttgart 1976; ders.. Methodisches zur Gewinnung hi storischer Erkenntnisse aus hagiographischen Quellen, in: Füstorische Zeitschrift 229 (1979) 298 — 356. * Brief des Eugippius an Paschasius, der „Vita Severini" voran gestellt.

Prozeß einer „Umformung und Stilisierung nach bi blischen und hagiographischen Mustern" (Lotter) durchgemacht. Unter heilsgeschichtlicher Perspekti ve wurden die Taten Severins unter Überspringung der Primärursachen unmittelbar mit Gott in Bezie hung gebracht. So schildert Eugippius z. B. als Prophetie, was wohl Ergebnis eines gut ausgebauten Nachrichtennetzes war und als Wunder, was Fleiß, Umsicht und gute Organisation zuwege gebracht hatten, wie etwa die Beschaffung von Olivenöl aus Italien für die hungernde Bevölkerung von Lauriacum/Lorch.® Verweilen wir etwas näher bei diesem Ereignis. Damals war, wie Eugippius ausdrücklich be merkt, „die Anlieferung von Öl den Kaufleuten nur mehr unter größten Schwierigkeiten möglich", und „diese nahrhafte Flüssigkeit war recht kostbar". Daß Severin trotzdem noch ein Kontingent aufbringen konnte, grenzte an ein Wunder. Die Hilfsbedürfti gen versammelten sich in „una basilica". Die Zahl der Erschienenen war sehr groß. Severin segnete das eingelangte Öl und teilte aus. Man wunderte sich, daß es für so viele reichte. Erst als einer der Anwe senden seiner Verwunderung in Worten Ausdruck verlieh, versiegte das Öl. Mit dieser mirakulösen Erklärung wird zum Aus druck gebracht, daß trotz guter Organisation und kluger Rationierung das Öl eben doch nicht für alle langte. Diese Stelle läßt die Eigenart einer „Heiligenvi ta", die nicht bloße Faktengeschichte sein will, recht gut erkennen. Um die Allursächlichkeit Gottes zu betonen, werden tatsächliche Ereignisse „hagiologisch verfremdet". Der in der damaligen Lage an sich schon ans Wunderbare grenzende Vorgang der Ölbeschaffung wird von Eugippius nach biblischen Mu stern tradiert, auf die er übrigens selber verweist. Er erinnert an das Vorbild Christi (Brotvermehrung) und an dasjenige des Propheten Elisäus (Ölwunder bei der Witwe von Sarepta). Was Severin getan hat, wird also in neu- bzw.alttestamentlichem Kleide berichtet. Was zugrundeliegt, das ist die große Lei stung des Heiligen, der in karitativer Hinsicht so sehr für seine Bevölkerung da war, daß er ihr auch in fast ausweglosen Situationen immer wieder neue Quel len erschloß, so daß man den Eindruck hatte, sie würden nie versiegen. Der Vorgang dieser „Verfremdung" muß dem Erzähler oder Schreiber des Heiligenlebens übrigens nicht immer bewußt sein, sondern kann aufgrund ei ner von seiner Frömmigkeit gesteuerten Automatik erfolgen. Die formgeschichtliche Methode ist zwar nicht immer so leicht anwendbar wie beim Lorcher Ölwunder. Aber schon wenn sie ein entsprechendes Problembewußtsein schafft, wird man die „Vita" an ders als bisher lesen und auswerten können. 2. Zur Person Severins War Severin zur Zeit seines Auftretens wirklich der „homo ignotus" als den ihn Eugippius ausgeben will? Auch das Schweigen, ja bewußte Verschleiern der Herkunft und Abstammung des Heiligen, scheint Stilmittel zu sein. In einem der „Vita" voran gestellten Brief bittet Eugippius den Paschasius, sei ne Aufzeichnungen über das Leben des Heiligen für die geplante Veröffentlichung zu überarbeiten. In diesem Schreiben wird nun auch die Frage nach der Herkunft des Heiligen®, „mit der man üblicherweise eine Biographie beginnt", gestellt. Eugippius sagt, daß er hierfür „keine sicheren Zeugnisse habe". Man habe schon oft darüber gerätselt, „welcher Nation Severin angehöre", aber schon zu Lebzeiten Seve rins habe niemand gewagt, ihn direkt zu fragen. Ei nes Tages aber sei „ein gewisser Primenius, ein Pres byter aus Italien, ein Mann edler Herkunft und gro ßen Ansehens" gekommen. Dieser habe die ent scheidende Frage gestellt. Der Heilige antwortete ihm, wie Eugippius bemerkt, „verschmitzt", er solle sich doch um Lösegeld bemühen, um ihn, Severin, freizukaufen, wenn er ihn für einen „entlaufenen Sklaven" halte. Dann aber fügte er „ernsthaft" hin zu, es sei für einen Diener Gottes, dessen Streben darauf gerichtet sei, ein Bürger des himmlischen Va terlandes zu werden, doch völlig ohne Bedeutung, „seine Heimat und seine Abstammung" zu offenba ren; durch sein Schweigen entgehe er leichter der Versuchung der Prahlerei. Freilich, so fügt Eugip pius aufgrund eigener Beobachtungen hinzu: „Loquela tamen ipsius manifestabat hominem omnino Latinum", d.h.seine Sprache verriet Severin „als ei nen ganz und gar lateinischen Menschen". Schon dieser Befund läßt die Tendenz, die Eu gippius verfolgte, deutlich erkennen. Er will den de mütigen Diener Gottes schildern. Ein Bericht über sein „weltliches Vorleben" wäre aber in diesem Kon text ohne Belang, ja würde eher störend wirken. Wenn man aber diese Absicht des Autors einmal erkannt hat, wird dessen Aussage über das „Nicht wissen" um Severins Herkunft und Abstammung fragwürdig. Daß Primenius bei Severin Zuflucht suchte, beweist ja eigentlich schon, daß ihn dieser, der angeblich nichts von ihm wußte, schon vorher ge- ® Vita Severini Kap. 28. ® Hierzu ist neben den Anm. 1 u. 3 genannten Arbeiten von F. Lotter einzusehen: K. Zinnhobler, Woher stammte der hl. Seve rin?. in: Jb. Koli.Petrinum 76 (1979/80) 29-36.

Der hl. Severin. Au.ssdmitt aus dem Altarretahe! des Meisters von S.Severino, um 1470 (Museum Capodimonte. Neapel). Foto: Dr. Widder. Linz kannt und für mächtig genug gehalten haben muß, ihm Schutz zu gewähren. Damit wird die Frage des Primenius als eine bloß rhetorische qualifiziert. Wer aber war Severin wirklich? Auch wenn wir hierauf keine völlig eindeutige Antwort geben kön nen, so verrät doch schon der erwähnte Brief an Paschasius eine Zugehörigkeit zu den vornehmsten Kreisen. Schon die wohl unter Anspielung auf seine ärmliche Mönchskleidung erfolgte „verschmitzte" Äußerung Severins, er sei kein „fugitivus" (entflohe ner Sklave), läßt vermuten, daß er ganz im Gegenteil von hohem Rang gewesen sein wird. Dieser Ein druck wird noch verstärkt, wenn Eugippius erklärt, daß Severin durch das Verschweigen seines Standes

„übler Prahlsucht" entgehen wollte. Das heißt doch im Klartext, daß er eigentlich mit seiner Abstam mung hätte „angeben" können. Wenn Severin kein Unbekannter war, als den ihn Eugippius ausgeben möchte, wer war er dann? Ob der Heilige, wie F. Lotter zur Diskussion gestellt hat, einmal römischer Konsul war, sei dahingestellt; sei ner Schlußfolgerung, daß die Bezeichnung des Seve rin als „vir inlustrissimus" durch Ennodius (in dessen Vita des Antonius von Lerins)^ auf einen (ehemali gen) Inhaber eines hohen Reichs- und Hofamtes hinweist, weil dieser Terminus seit der Mitte des S.Jahrhunderts nur mehr als offizieller Rangtitel im genannten Sinne Verwendung fand, ist jedoch mei nes Wissens nicht ernsthaft bezweifelt worden. In die gleiche Richtung weist m. E. die enge Be ziehung Severins zum weströmischen Kaiserhaus, die nunmehr ebenfalls stärkere Beachtung gefunden hat.® Hierzu seien einige Bemerkungen gestattet. Mehrere Spuren, die letztlich alle über Orestes gehen, führen zu Romulus Augustus, den letzten weströmischen Kaiser. Orestes, einst Sekretär des Hunnenkönigs Attila und seit 475 oberster Heer meister im weströmischen Reich, wurde von Odoaker, als dieser nach dem Throne strebte, erschlagen. Romulus Augustulus wurde abgesetzt und nach Lucullanum bei Neapel verbannt. Über diesen Ruhesitz des letzten weströmischen Kaisers kann aber später eine Witwe Barbaria verfügen, die nach dem Tode Severins dessen Reliquien dorthin erbittet, in einem Mausoleum beisetzen läßt und den Severin-Mön chen Heimstatt gewährt. Von dieser Barbaria erfah ren wir außerdem aus der „Vita", daß sie und ihr ver storbener Mann Severin nicht nur wegen seines Ru fes „bestens" gekannt, sondern mit ihm auch briefli chen Kontakt gehabt hatten. Am einfachsten schließt sich der Kreis, wenn man annimmt, daß Barbaria die Frau des Orestes und die Mutter des Romulus Augu stulus war. Aber selbst wer diesen Schluß für zu ge wagt findet, kommt nicht über die Beziehungen Se verins zu Orestes und damit zum Kaiserhaus hinweg. Der schon genannte Primenius, der angesehene und wohlgeborene väterliche Freund des Orestes, suchte nach der Ermordung des Orestes bei Severin (!) Zu flucht. Und ein Ambrosius, den Odoaker in die Ver bannung geschickt hatte, offenbar weil er ebenfalls zu den Kreisen des Rivalen Orestes zählte, wurde von Severin freigebeten.® Severin und Orestes stan den also in einem Nahverhältnis zueinander, auch wenn Severin, wie es seine Art war, Odoaker offen und wohlwollend begegnete. Zusammenfassend darf festgestellt werden, daß der Heilige mit dem weströmischen Kaiserhaus al- ' Magnus Felix Ennodius, Opera, hg. v. F. Vogel. MG AA VII, 1895. Daß Ennodius „unseren" Severin meint, ergibt die Be zeichnung „beatus vir" und die Beziehung zum Lorcher Bischof Constantius. ® Vgl. meinen Anm. 6 genannten Aufsatz. ® Vita Severini Kap. 32, 1. t'k \ J Odoaker besucht Severin in seiner Zelle in Favianis. Stich von A.Simon nach einem Gemälde von L. Kiipelwie.ser (1847). Foto: Gangl. D.O. Landesmuseum

lern Anschein nach gut bekannt war, was seine eige ne Abstammung aus vornehmsten Kreisen als so gut wie sicher und eine ehemalige politische Karriere vor seiner Bekehrung, seiner Hinwendung zum Mönchtum und seinem Wirken als Mann Gottes als nicht unwahrscheinlich erscheinen läßt, zumal er sich ja offenbar auch in der neuen Funktion als einer er weist, der von politischen Geschäften (militärisch, diplomatisch, organisatorisch) etwas versteht. 3. Die Archäologie und die „Vita" Es ist ein glückhafter Umstand, daß die Archäo logie in unseren Tagen so viele Beiträge zur Verifi zierung von Berichten der Vita Severini geliefert hat. Ohne näher darauf einzugehen, erwähne ich Cucullis/Kuchl, Juvao/Salzburg, Batavis/Fassau (Nie dernburg), Boiotro/Passau-Innstadt, Lauriacum/ Lorch, Favianis/Mautern(?) und neuerdings Comagenis/Tulln. Wie sehr die Ergebnisse der Archäologie und der Bericht des Eugippius ineinanderspielen können, sei an einem Beispiel aufgezeigt. In der Vita kommt ein „Ort Boiotro jenseits des Inn"^° vor, wo Severin ein kleines Klösterchen (cellula) für ein paar Mönche errichtet hatte. Auch eine „basilica" wird erwähnt, für die damals Reliquien Jo hannes des Täufers besorgt werden sollten. Nun kannte schon die bisherige Forschung ein Kastell „Boiodurum" bei Passau^L und es lag nahe, dieses mit dem oben genannten „Boiotro" zu identifizieren. Außerdem brachte die Tradition die Friedhofskirche St. Severin in Passau-Innstadt schon wegen ihres Patroziniums mit der in der Vita erwähnten Basilika in Verbindung. Doch diese Rechnung ging nicht recht auf, denn einerseits war Boiodurum zur Zeit Seve rins bereits aufgegeben, andererseits war die Seve rinkirche zu weit von diesem Kastell entfernt, um der Berichterstattung des Eugippius zu entsprechen. Außerdem hatten die in dem Gotteshaus 1928/29 durchgeführten sorgfältigen Grabungen von H. Hör mann ein negatives Resultat erbracht und das älteste Mauerwerk erst dem 10./11. Jh. zuweisen können. Vor wenigen Jahren konnte nun das Rätsel gelöst werden, Vita und Tradition wurden glänzend bestä tigt! Durch Zufall stieß man 1974 bei Bauarbeiten nur 150 m von der Severinkirche entfernt auf die Fundamente eines Kastells, das hier — nach der Auf gabe von Boiodurum um die Mitte des 3. JahrhunVita Severini Kap. 22, 1; 36, 1. Zusammenfassend R.Noll, Römische Siedlungen und Straßen im Limesgebiet zwischen Inn und Enns (Oberösterreich) (= Der römische Limes in Österreich, Heft 21), Wien 1958, S. 28. H.Hörmann, St. Severin zu Passau, Passau 1935. '' • '-«.l A «liMtllilhSPBP tiJwppHH 'Ä||Ä Si Rekonstruktion des Legionslagers Boiotro und der vom hl. Severin erbauten Kirche. Entwurf Rainer Christlein. Ausfüh rung Franz Högner. Aus: Hans Bleibrunner: Niederbayern. Bd. I. Landshut 1982.

derts — errichtet wurde; dieses aber war nachweislich noch zur Zeit Severins in Verwendung, kann also ohne Bedenken mit dem Boiotro der Vita gleichge setzt werden. 13 Fast zur selben Zeit konnte auch die Severinkirche nochmals archäologisch untersucht werden, wozu der Einbau einer Kirchenheizung Ge legenheit bot. Diesmal gelang die Sondierung römi schen Mauerwerks, was sogar eine relativ verläßliche Rekonstruierung des Grundrisses ermöglichte. Ge nau dort, wo sich der Mittelpunkt der neuentdeckten Kirchenapsis befindet, ist ein Reliquiar aus Kalk stein zu situieren, das Hörmann 1928/29 fand, aber für relativ jung hielt. Auch wenn der Behälter inzwi- /i ■ V Antiker (jetzt verschollener) Reliquienbehälter aus der Se verinskirche von Boiotro. Archivaufnahme 4. Die Verehrung Bisher herrschte vielfach die Meinung, daß es ei gentlich kaum eine echte und nachhaltige Severin verehrung gegeben habe, sondern daß der Heilige „immer eher eine Angelegenheit der Geschichtsfor scher und Akademiker" geblieben sei.i® Das trifft nicht zu. Ich hoffe, durch die Severin-Ausstellung 1982 in Enns sowie meine in Vorbereitung befindli che Severinmonographiei® den Nachweis liefern zu können, daß der Strom der Verehrung, mag er zeit weilig auch ziemlich schmal gewesen und mit ande ren Heiligen, etwa St. Wolfgang, nicht vergleichbar sein, doch nie wirklich versiegte. An dieser Stelle kann hierzu nur ein kurzer Aufriß geboten werden: Aufgrund seines exemplarischen Lebens als Christ wurde Severin unmittelbar nach seinem Tode als Heiliger verehrt. Das beweist schon der Um stand, daß man seinen Leichnam beim Abzug nicht zurückließ, sondern ihn als kostbare Reliquie mit nach dem Süden nahm. Die genaue Lokalisierung der bei Montefeltre in Norditalien erfolgten Beiset zung ist bisher nicht geglückt. M. E. kommt am ehe sten der nach Severin bekannte Monte di S. Severine unweit von S. Leo in Frage. Ein besonders starkes Indiz für die kultische Ver ehrung Severins ist die wenige Jahre darnach erfolg te Überführung nach Lucullanum, geschah sie doch auf Bitten der „Vidua Barbaria"'^, die nach unserer Auffassung die Mutter des letzten weströmischen Kaisers war. Auch Lucullanum ist nicht eindeutig identifiziert, muß jedoch unmittelbar bei Neapel ge legen sein, wie dies u. a. eine Stelle in einem Brief Gregors d. Gr.erkennen läßt.i® Antike Überreste auf dem Hügel Pizzofalcone machen es wahrscheinlich, daß dieser in das antike Lucullanum einbezogen war. 13 Die nächste Translation in das (später) nach Se verin benannte Kloster in Neapel bald nach dem Jahr 900^0 setzt voraus, daß der Kult des Heiligen leben dig geblieben war. Erst mit der Auflösung des Kloschen verschollen ist, muß man ihn aufgrund seiner Lage mit dem Altar der ersten Kirche in Beziehung bringen und darf sich in diesem Zusammenhang nochmals an die Stelle der Vita, die von den Johan nesreliquien handelt, erinnern.i^ Die Kette der Beweise ist damit geschlossen. Für die Interpretation der Vita darf man daraus einen methodischen Grundsatz ableiten. Man wird dem Werk des Eugippius überall dort, wo es tendenzneu trale Mitteilungen, die nicht der Verherrlichung Se verins dienen wollen, bringt, ohne Bedenken folgen dürfen, sofern nicht ein direkter Gegenbeweis vor liegt. B.. Christlein. Das spätrömischc Kastell Boiotro zu Passau-Innstadt, in: Vorträge und Forschungen Bd. 25 (wie Anm. 1) 9] — 123. i"* W. Sage, Die Ausgrabungen in der Severinskirche zu PassauInnstadt 1976, in: Ostbairische Grenzmarken 21 (1979) 5-48. 1® F. Schragl, Auf den Spuren des heiligen Severin, in: Jahrbuch der Diözese St. Pölten 1982, S.37 —45, hier 45. Erscheint im OÖ. Landesverlag mit Aufnahmen von Prof. Dr. E. Widder. 1' Vita Severini Kap. 46, 2. '8 Vgl. Anm. 24. " Aus den genannten Gründen scheidet wohl Puteoli/Pozzuoli aus den Identifikationsversuchen aus. Hierzu vorläufig S. Brunner, Das Leben des Noriker-Apostels St. Severin, Wien 1879, S. 163 - 166.

-• V».- X -- ■■ES.Jf Monte di S. Severino hei S. Leo. wohl der vorübergehende Ort der Beisetzung Severins vor der Überführung nach Luculla >'•» .djk Mauerreste des antiken Lucullanutn auf dem Pizzofalcone in Neapel (im Hintergrund eine italienische Kaserne). Fotos: Dr. Widder, Linz

sters am Beginn des 19. Jahrhunderts und der Trans ferierung der Severinreliquien nach Frattamaggiore hörte in der Gegend um Neapel die Verehrung des Heiligen so ziemlich auf.^^ wm Kirche S. Costanzo auf Capri im späthy.zantinischen Stil, ehemals dem hl. Severin geweiht. Zeugnisse der bildenden Kunst haben sich für das frühe Mittelalter nicht erhalten. Solche müssen aber in den Severinkirchen in Rom, Neapel, Capri und Si zilien vorhanden gewesen sein.21 Ein Höhepunkt der Verehrung war das späte Mittelalter. Der Flügelaltar von NeapeF^, ein Holz schnitt Dürers22 und die wunderschönen Plastiken der Spätgotik in Passau^a seien hierfür exemplarisch genannt. Auch die Barockzeit, die Epoche der katholi schen Erneuerung, besann sich auf Severin. Ich er wähne als Beispiele ein großes barockes Bild in Pas sau und ein ebensolches in Wien-Heiligenstadt.23 Den bisherigen absoluten Höhepunkt der Ver ehrung bilden jedoch das 19. und 20. Jahrhundert, d. h. die Zeit der Romantik und des Historismus so wie unsere jüngste Vergangenheit, und hier wieder besonders die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.^3 Wenn wir nach den frühen Gestalten der Seve rinverehrung fragen - auch sie sind bisher nur unzu- # Hl. Severin, Holzplastik des 15. Jahrhunderts im Dom zu Passau. Fotos: Dr. Widder, Linz länglich registriert, so ist mit Eugippius zu beginnen. Es folgen die „vidua Barbaria", Papst Gregor d. Gr., Willibald von Eichstätt u. 3.24 2' K.Zinnhobler, Severin und Italien, in: Amtliche Linzer Zeitung 350 (1980) 219 f. 22 Holzschnitt „Die Schutzheiligen des Hauses Österreichs", 2 Fassungen 1515 und 1517. 22 Ich verweise auf den Katalog zur OÖ. Landesausstellung 1982 „Severin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung". 2'* Zu diesem Thema bereite ich einen Aufsatz für die Zeitschrift für Kirchengeschichte vor.

Zentren der Verehrung waren vor allem die Be nediktinerklöster von Neapel und Monte Cassino. Aber auch Bobbio u.a.wären zu nennen. Von diesen Klöstern aus nahm sicherlich auch die liturgisch-kul tische Verehrung, die vor allem in den Meß- und Breviertexten ihren Niederschlag fand, ihre Verbrei tung. Dieses Gebiet ist jedoch noch völlig uner forscht. Die Vita Severini fand nachweislich auch in unserer Heimat frühe Verbreitung.993 gj^e solche im Besitz des Passauer Chorbischofs Madalvin erwähnt.26 In Passau, ebenfalls einem wichtigen Brenn punkt des Severinkultes, scheint um 1073 eine regel rechte Wallfahrt zur Kirche des Heiligen in der Inn stadt bestanden zu haben. Die Leute, die „causa orationis" von St. Nikola über den Inn fuhren, waren so gar von der Zahlung der Maut befreit.22 Das Ziel dieser Pilgerfahrten kann eigentlich nur die am an deren Ufer des Flusses gelegene Severinkirche, de ren Anfänge, wie gesagt, mit dem Heiligen in direk ter Beziehung stehen, gewesen sein.^s .SFVf-R'NVS NORICORVM Apoliofus, At /' ^ 'k ua - I Tf M ? i , \ / m Ii'- mmm Aus dem Altarmosaik der Kirche St. Leopold in WienSteinhof (ton 1907), links der hl. Severin. Fotos: Dr. Widder, Linz In Wien-Heiligenstadt dürfte die Verehrung des Heiligen eine Folge des babenbergischen Patriotis mus gewesen sein.^s Ob das auch der Ausgangspunkt für die spätere Identifikation mit Favianis war? In ei nem barocken Lied wird Heiligenstadt jedenfalls als erster Begräbnisort Severins bezeichnet. Es heißt darin; Eben hier zu Heil'genstadt Ward Dein Leib zur Erd' bestatt'; Viele Wunder wirkte Gott Bei dem Leichnam nach dem Tod. Miiiiu.'i Ä))üffofic-iim Meiis er pi'irlaga fufuri / Mira Seiieriiii lactapati is taciiiar „ Ptrit Urnfliiit-trOr trnil jDuiiJiei«lint'fiflintwltoli((tirrÄiBPftiatr örrfvilig Unltn- ecBfrm'ÖDnune Didicij Jiuin t'ortiCfirtti^ . Severin als Helfer in der Not. Barockes Ölbild in Passau (Diözesansammhingen). Zur Handschriftenlage vgl. den Aufsatz von K. Rehberger, Die Handschriften der Vita S. Severini. in: Ausstellungskatalog: Se verin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung, Linz 1982. Monumenta Boica 28/1, S. 201. Monumenta Boica 4, S. 287 - 289. 2® R. Christlein (wie Anm. 13), 122. So A. Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (MIÖG, Erg.Bd. 19), Wien 1963, S. 139. Das Lied zeigt Anklänge an das von l.Querck 1728 überlieferte Lied von Passau-Innstadt, ist also wohl erst nach dem genann ten Jahr entstanden. Vgl. I. Querck, Lebens-Beschreibung des Heiligen Abbtens und Apostels derer Nortgeyer Severini, I.Auflage Passau 1728, 2. Auflage Wien 1744.

Leergrah des 5. Jahrhunderts in der Kirche St. Jakob-Heiligenstadl, das als erste Grahlege des hl. Severin in Diskussion steht. Foto: Dr. Widder, Linz Ein 1952 in Heiligenstadt ergrabenes römisches Leergrab^^ hat eine heftige, bis zur Stunde andauern de Diskussion, ob es sich dabei um die erste Grable ge St. Severins handeln könne, ausgelöst. Vielleicht hat schon dieser sehr sporadische Überblick gezeigt, daß trotz der geographischen Be schränkung auf ein verhältnismäßig kleines Gebiet und trotz der zeitweilig geringen Dichte des SeverinKultes die Gestalt des großen Heiligen nie ganz ver gessen wurde. Den Umstand, daß die Intensität seines Herein wirkens in spätere Epochen nicht an derjenigen an derer Heiliger gemessen werden kann, erklärt 1728 der Jesuit Ignaz Querck mit den Worten: „. . . Wann man aber bißhero nicht so vil Gnaden von disem Heiligen, als von anderen Land-Patronen erhalten, kan die Ursach seyn, nicht als ob in disem GnadenBrunnen weniger Wasser, als in anderen wäre, son dern, weilen man disen Brunnen nicht etwann, wie andere besuchet, und Wasser darauß geschöpffet oder begehret hat. . ." (I. Querck, Des heiligen Abbtens und Apostels der Nortgeyer Severini LebensBeschreibung, Passau, gedruckt bey Gab. Mangold 1728, S.54). Desiderata Trotz der intensiven Severinforschung unserer Zeit lassen schon die vielen relevanten Entdeckun gen der Archäologie erwarten, daß wir auch weiter hin mit neuen Ergebnissen rechnen dürfen und noch längst nicht am Ziel angelangt sind. Ein dringliches Anliegen wurde schon genannt: die Erstellung einer umfassenden Severinbibliogra phie, die ja im Zeitalter der EDV möglich sein müß te. Eine Vorstufe wäre eine Sammelstelle (ein Insti tut?), wo alle Severin betreffenden Nachrichten und Schriften sorgfältig registriert werden.^2 Wichtig wäre auch eine re-lecture der Vita auf grund der neuesten Erkenntnisse, und zwar in vielfa cher Hinsicht. Als Beispiel nenne ich die erneute Vornahme des Werkes zum Zwecke der DifferenzieHierüber K. Kramen - E. K. Winter, St. Severin. Der Heilige zwischen Ost und West, Klostemeuburg, 19.S8; E. K. Winter, Studien zum Severinsproblem, Klosterneuburg 1959; jetzt J. Haberl, Wien ist älter. Der Heilige Severin und die Frühge schichte Wiens, Wien 1981. 32 Eine erste Sammelarbeitwill die Severin-Bruderschaftin Wien-Heiligenstadt leisten.

rung der Ansichten des Eugippius von dem, was der hl. Severin sagt und tut. M. E. dürfte sich dabei u. a. eine grundsätzlich andere Einstellung der beiden Gestalten gegenüber den Germanen abzeichnen, die für jenen „Barbaren" waren, für diesen aber gleich wertige Menschen. Die Erkenntnisse über das frühe Mönchtum sind bisher trotz brauchbarer Hinweise^^ noch zu wenig mit der Vita Severini konfrontiert worden. Auch hier tut sich ein weites Forschungsgebiet auf. Praktisch nichts ist bis heute geschehen, um den Spuren der liturgischen Verehrung des hl. Severin in Brevier und Gottesdienst nachzugehen. Obwohl hier keine sensationellen Ergebnisse zu erwarten sein dürften, handelt es sich bestimmt um eine lohnende Aufgabe. Eine Ikonographie des hl. Severin hoffe ich in Ansätzen selbst vorlegen zu können^"; sie wird aber nur Ausgangspunkt für eine intensivere Beschäfti gung mit dem Thema durch die Kunsthistoriker sein können. Ganz dringend wäre auch eine sorgfältige Unter suchung der dort und da vorhandenen Reliquien im Vergleich zu den in Frattamaggiore beigesetzten Überresten des Heiligen. Ich habe nur einige Beispiele genannt. Die Liste ließe sich fast beliebig vermehren. Sie wollte nur zur weiteren Beschäftigung mit Severin anregen und hierfür einige mögliche Forschungsrichtungen auf zeigen. * Reliquie des hl. Severin in einer barocken Monstranz IMitte IS. Jh.) in der St. Jakobskirche von Wien-Heiligenstadt. Foto: Dr. Widder, Linz Vor allem nenne ich hier H. Koller, Die Klöster Severins von Norikum, in: Festschrift Modrijan (Schild vonSteierBd. 15/16). Graz 1978/79, S. 201 - 207. Zunächst durch den schon Anm. 23 genannten Severin-Katalog sowie die Anm. 16 angekündigte Monographie.

Die Vita Severini im Lichte der Archäologie Von Peter Stockmeier Wer den Versuch unternimmt, die Vita Severini im Licht der Archäologie zu betrachten, läuft Ge fahr, das großartige Dokument vom Leben und Wir ken Severins während der ausgehenden Antike ein seitig ins Licht zu rücken, indem er von den Ergeb nissen der Bodenfunde aus ihre Aussageabsicht be urteilt. Immer wieder ging man das Problem Severin an, sei es vom Standort der Philologie, der Hagiographie oder der Historie, und erfuhr alsbald die Gren zen eines Zugangs zu seiner Gestalt.^ Alle diese Ver suche lieferten wichtige Beiträge zur Lösung der Se verinsfrage, deren Beantwortung auszugehen hat von dem eigentümlichen literarischen Charakter des Commonitoriums.2 Eugipp wollte mit seinem Werk die Gestalt und das Wirken Severins nach Art einer Vita ins Bewußt sein heben und er beabsichtigte demgemäß nicht, in erster Linie Auskünfte über die konkreten Verhält nisse im Wirkungsbereich seines „Heiligen" zu ge ben. Dennoch finden sich in seinem Werk zahlreiche Hinweise auf die geographischen, politischen und kirchlichen Gegebenheiten im Alpen-Donau-Raum, so daß Severins Wirken eingebettet erscheint in ei nen geschichtlichen Rahmen. Dabei ist es in den letz ten Jahrzehnten vor allem der Archäologie gelun gen, das Bild von den Lebensverhältnissen in den Provinzen Noricum und Rätien während der Spätantik'e zu erhellen, und gleichzeitig wurde die Möglich keit gegeben, ihre Ergebnisse mit den Angaben der literarischen Quelle zu vergleichen. Vor allem haben Einzelgrabungen und Funde Licht in die Vergangen heit gebracht und dazu beigetragen, über allgemeine Einsichten hinaus, Kenntnisse von der Situation des Christentums in diesem Raum zu gewinnen. Nicht nur um dem genius loci zu huldigen, sind hier zu nächst die Arbeiten von Hermann Vetters und Lo thar Eckhart zu nennen, die mit ihren Grabungen in Lorch bzw. Sankt Laurenz einen wichtigen Beitrag zur Veranschaulichung der kirchlichen Verhältnisse im Zeitalter Severins geleistet haben.^ Kaum weniger bemerkenswert sind die Ergebnisse der Spatenfor schung (= Ausgrabungen) im Bereich von Passau, die nun über Vermutungen zur Frühgeschichte des Christentums an diesem Platz hinausführten.Es zeigt sich, daß gerade die Archäologie unsere litera rische Überlieferung, wie sie beispielsweise in der Vita Severini vorliegt, in großartiger Weise zu illu strieren und vielfach zu ergänzen vermag. Gewiß bleiben trotzdem noch viele Fragen offen; aber es besteht kein Zweifel, daß nach der weitgehenden Aufarbeitung der literarischen Quellen® weitere Er kenntnisse zur Geschichte des frühen Christentums, und zwar auch ah der mittleren Donau, am ehesten von der Archäologie zu erwarten sind. „Es ist oft der Fall, daß der Nutzen der Archäologie für die Ge schichte mit dem Anwachsen des archäologischen Quellenmaterials wächst und es gibt andererseits auch den Fall, daß gewisse Quellengruppen die Ar chäologie mehr oder weniger unnötig machen".® In unserem Zusammenhang demonstriert diese Schwierigkeit gut der Streit um die Lokalisierung von Favianis, der aufgrund der bisherigen archäolo gischen Ergebnisse nicht zu entscheiden ist.^ Auch ' Neben der Ausgabe der Vita mit vorzüglichen Informationen im Anmerkungsteil von R. Noll, Eugippius. Das Leben des heiligen Severin. Lateinisch und Deutsch: Schriften und Quel len der Alten Welt II (Berlin 1963) ist zu nennen: Th.Som merlad, Die Lebensbeschreibung Severins als kulturgeschicht liche Quelle (Leipzig 1903); A. Bauärillart, Saint Severin. Apötre du Norique (Paris 1908); W. Bulst, Eugippius und die Legende des heiligen Severin. Hagiographie und Historie, in: Die Welt als Geschichte 10(1950) lH-27-,E.M.Ruprechlsherger, Beobachtungen zum Stil und zur Sprache des Eugippius, in: Rom. Österreich 4 (1976) 227 - 299; R. Noll, Die Vita Sancti Severini des Eugippius im Lichte der neueren For schung, in: Anz. d. Österr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 112 (1975) 61 — 75; F. Lotter, Severinus von Noricum. Legende und historische Wirklichkeit. Untersuchungen zur Phase des Übergangs von spätantiken zu mittelalterlichen Denk- und Lebensformen: Monogr.z, Gesch. d. Mittelalters 12 (Stuttgart 1976). 2 Zur Literaturform des Commonitoriums siehe S. Prete, 11 ,Commemoratorium' nella letteratura cristiana antica (Bolo gna 1962). ^ L. Eckhart, Die Grabungsergebnisse 1960-63 in St. Laurenz zu Lorch-Enns, in: Jb.d. Q. Ö. Mus. Vereins 109 (1964) 172 - 189; H. Vetters, Lauriacum und seine Grabungsgeschichte, in: Enns. Lorch. Lauriacum. Festschrift zur 750-Jahr-Feier des Stadtrechts von Enns (Linz 1962) 90- 100; ders., Lauriacum, in: ANRW11 6 (Berlin-New York 1977) 355-379. ^ Vgl. R. Christlein, Romanische und germanische Funde des fünften Jahrhunderts aus den Passauer Kastellen Batavis und Boiotro, in: Qstbairische Grenzmarken 22 (Passau 1980) 106 - 118. ® Es sei erinnert an die neu ins Spiel gebrachte Vita B. Antonii des Ennodius (CSEL 6, 384, 25 f). Vgl. F. Lotter, Severinus 227 ff. ® M. 1. Finley, Archäologie und Geschichte, in: Antike Welt 7,1 (1976) 39-47, 45. ' Zur umstrittenen Frage siehe J. Haberl, Favianis, Vindobona und Wien. Eine archäologisch-historische Illustration zur Vita S. Severini des Eugippius (Leiden 1976).

wenn der Sache Severin nicht die kirchenhistorische oder gar dogmatische Bedeutung zukommt, wie etwa der Frage nach dem Petrusgrab unter der Vati kanischen Basilika in Rom, so ist ihre Klärung doch ein wichtiger Beitrag zur Erhellung des frühen Chri stentums im Alpen-Donau-Raum. Die Spatenfor schung hat hierzu in den letzten Jahrzehnten außer ordentlich viel beigetragen und ihre Ergebnisse be leuchten das Umfeld der Wirksamkeit Severins höchst eindrucksvoll, auch wenn sich die Gestalt des Eleiligen selbst kaum dem Dunkel entreissen läßt.® 1. Die Topographie Die Vita Severini bietet eine Fülle topographi scher Angaben, die das Wirken Severins im AlpenDonau-Raum mit den konkreten Verhältnissen die ser Region koppeln.® Selbstverständlich zielen diese Hinweise primär nicht auf eine Beschreibung des geographisch-politischen Rahmens; sie fallen viel mehr beiläufig, um andere Aussagen, z. B. Wunder berichte, zu lokalisieren^®, oder das Außergewöhnli che einer Leistung zu demonstrieren.^^ Immerhin zeigen diese Nachrichten, daß Eugipp mit seiner Vita keine übergeschichtliche Darstellung eines Heiligen liefern wollte, sondern ihn einordnete in die raum zeitlichen Koordinaten der spätantiken Epoche an der mittleren Donau. I. 1. Für die Topographie des Alpen-DonauRaumes in der Spätantike ist zunächst die geographi sche Gliederung bedeutsam, die in einem hohen Ma ße vom Flußlauf der Donau bestimmtwird.'^Sgjt^jer Kaiserzeit einbezogen in den Limes, also die Grenz befestigung^®, stellte die Wasserstraße immer auch einen wichtigen Verkehrsweg dar, eine Möglichkeit, die durch den römischen Einfluß auf das Land nörd lich des Flusses gegeben war. Tatsächlich bildete die Donau^" aber keine hermetische Trennungslinie, da man sie nach Auskunft der Vita ungehindert über queren konnte. Die Verbindung zwischen den Ufern war natürlich kaum durch Brücken ermöglicht, son dern durch Boote; in der Vita Severini 9,1 ist vom „Durchwaten" (transvadare) der Donau die Rede, so daß man auch an Furten denken könnte. Es ist verständlich, daß durch die Flußbewegun gen — im Zusammenhang von Quintanis spricht der Verfasser selbst von häufigen Überschwemmun gen^® — ein archäologischer Nachweis von Übergän gen und Anlegestellen schwierig ist; man darf sie in erster Linie an jenen Plätzen vermuten, die auf der südlichen Seite durch Kastelle geschützt waren. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung der Flüsse als Verkehrsader erwähnenswert. Eugipp be richtet, daß Severin selbst einmal von Passau „zu Schiff die Donau hinab in sein altes Kloster (fuhr), welches das größte von allen war und über hundert Meilen entfernt vor den Mauern der Stadt Favianis lag".^® Der Autor erwähnt ferner Schiffe, die mit Hilfsgütern aus Rätien beladen in Favianis anlegten, nachdem sie im zugefrorenen Inn steckengeblieben waren.Trotz aller Gefährdung, wobei die politi schen Unsicherheiten schwerer wogen als natürliche Faktoren, erwies sich die Schiffahrt auf den Flüssen als Bindeglied zwischen den Provinzen; wie im Nor den Inn und Donau, so ermöglichten in Binnennoricum Save und Drau den schiffbaren Anschluß zum Südosten. Neben dem Gütertransport^® dienten die Wasserstraßen auch dem Personenverkehr, ganz ab gesehen von ihrer militärisch-strategischen Bedeu tung. Eine Sicherheitsflotille hatte an mehreren Plät zen, so z. B. in Favianis und Joviacum ihre Anlege stellen.^® Ausgrabungen in Seebruck am Chiemsee, dem antiken Bedaium, zeigen deutlich, welche Rolle die Binnenschiffahrt in den Provinzen spielte®®, von der uns die Vita Severini aus der Spätphase der römi schen Herrschaft zwischen Alpen und Donau noch Kunde gibt. 1.2. Die rege Aktivität Severins schloß eine Rei setätigkeit ein, die ihn nach Angaben der Vita von Asturis — Klosterneuburg®^ bis Quintanis-Künzing®® führte und sogar das Salzachtal hinauf bis Cucullis — ® Zusammenfassungen der Grabungsergebnisse liegen vor bei R. Noll, Frühes Christentum in Österreich von den Anfängen bis um 600 nach Chr. (Wien 1954); G.Alföldy, Noricum (Lon don - Boston 1974); P. F. Burton, Die Frühzeit des Christen tums In Österreich und Südostmitteleuropa bis 788: Studien u. Texte z. Kirchengeschichte und Geschichte I 1 (Wien-KölnGraz 1975); H.-J. Kellner. Die Römer in Bayern (München "1978). ^ Vgl. F. Ertl, Topographia Norici. Die römischen Siedlungen. Straßen und Kastelle im Ostalpenraum (Kremsmünster 1965). Vgl. den Bericht vom Kerzenwunder in Cucullis (VS 11,2 f) und in Juvao (VS 13, 1 f). " Z.B. die Angabe von 200 Meilen, die ein Bär als Tragtier trab te (VS 29,2 [Noll 94]). e.G. Brandis, Art, Danuvius. in: RE 4,2. 2103-2133. Vgl. H. Stiglitz, Militär und Befestigungen am Österr. Limes, in; Die Römer an der Donau (Wien 1973) 45 ff. VS 10,2 unter der griechischen Bezeichnung Hister genannt (Noll 72). '=VS 15,1 (NoinS). '6 VS 22,4 {Noll 88). VS 3,2 f {Noll 60); dazu ebd. 122. Es ist bemerkenswert, daß bereits Amöroittisep. 18,20 von der Fruchtbarkeit des zweiten Rätiens sprach, das deshalb Neid zu spüren bekam: „et secunda Raetia fertibilitatis suae novit invidiam" (Klein 146 f). Vgl. F. Ertl. Topographia 102 f; FI.D.L. Viereck, Die römische Flotte. Classis Romana (Herford 1975); A.Göttlicher, Naves onerariae. Bau und Einsatz römischer Handelsschiffe, in: An tike Welt 8,3 (1977) 47 - 54. Vgl. H.-J. Kellner — G. Ulbert, Das römische Seebruck, in: Bayer. Voraeschichtsblätter 23 (1958) 48 - 82. 2' VS 1,1 {Noll 58). 22 VS 15,1 {NoinS).

KuchF^. Eugipp bringt diese Reisen mit dem hohen Ansehen des Heiligen in Zusammenhang; die einzel nen Kastelle luden ihn wetteifernd ein in dem Glau ben, daß ihnen in seiner, Gegenwart kein Unglück widerfahre.Trotz dieser Angaben ist es nicht mög lich, etwa ein Itinerar anzufertigen, wie es beispiels weise von Augustinus vorliegt^®, ganz abgesehen von seiner früheren Tätigkeit und seinem Weg durch das Morgenland.2® Zwar scheint von der Ankunft Seve rins an der Grenze Noricum-Pannonien über Asturis und Comagenis nach Favianis - die entsprechenden Lokalisierungen vorausgesetzt - eine donau-aufwärts orientierte Zielsetzung gegeben zu sein; aber von hier aus, wo der Heilige „haud procul a civitate" ein Kloster errichtetet^, erfolgten offensichtlich die weiteren Reisen ohne Plan, eben auf Einladung der jeweiligen Stadtgemeinden. Wir können nicht ein mal sagen, ob er sich dabei des Wasserweges oder der durchaus gut ausgebauten Straßen bediente.ts Eine Bezugnahme auf das Straßensystem liegt in der Vita Severins dort vor, wo Meilensteine erwähnt werden, so beispielsweise bei der Lokalisierung der Gefangennahme räuberischer Germanen „in secundo miliario super rivum, qui vocatur Tiguntia".t9 Eine genaue Entfernungsangabe, nämlich eine Mei le von Favianis entfernt, bestimmt auch den Platz je nes „Burgum", in das sich Severin zur Meditation zu rückzog.®® Der Überfall auf den Pförtner Maurus er eignete sich zwei Meilen außerhalb der Stadt.An dererseits erfolgt das Treffen mit dem Rugierkönig Feletheus (Tewa) nach einem Nachtmarsch „beim 23 VS 11,2 (Noll 74). ^'•VS 11,1 (Noll 11). 23 Siehe O. Perler, Las voyages de saint Augustin (Paris 1969). 23 VS 1,1 (Noll 58). 2' VS 4,6 (Noll 64). 2® Vgl.die Literaturangaben von G. Winkler, Noricum und Rom, in: ANRW 11 6 (Berlin - New York 1977) 183 - 262; 247 f; ferner G. Pascher, Römische Siedlungen und Straßen im Li mesgebiet zwischen Enns und Leitha: Der römische Limes in Österreich XIX (Wien 1949); R. Noll, Römische Siedlungen und Straßen im Limesgebiet zwischen Inn und Enns (Ober österreich): Der römische Limes in Österreich X.Xl (Wien 1958). 2® VS 4,4 (Noll 62). Vgl. F.Erll, Topographia 102 f. 30 VS 4,7 (Noll 64). 31 VS 10,1 (Nollll). Regensburg i Batavis ^ )} lOVIACO LAURIACUM^ ^ (l ^ ! luvADiCvr GiCUCULUS tif ^ COMAGENIS/ oVinROBONaJ^ CETIUM / r CARNUNTUMl / a f / ot RodstäiJterTaiiernpass ^ o ip SCARABANTIA o ^ SAVARIA E N - N OKI INTIIM ' -C' A6LNTUM O .^TIBURNIA FLAVIA SOLVA VIRUINUM O / Noricum ZurZeit SEVERINS ® —Provinzgrenzen • Aufenthaltsorte P0ET0V10\2^_^^ Severins J o andere Orte Aus: Eugipphis. Das Leben des hl. Severin (Bearb. v. R. Noll). Berlin 1963.

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