Testamentes.5 Wenn man die Grabsteine in den Städten Oberösterreichs® ansieht, wird man aus dem späten 16. Jahrhundert und aus der Zeit um 1600 eine Reihe solcher Beispiele finden. Was lag näher, als daß die protestantische Stadtverwaltung von Steyr in den Jahren, als der neue Speicher gebaut wurde (man nimmt nach den zitierten Quellen eine Bauzeit von 1611 bis 1613 an), ein Bild auf diesem Speicher anbringen ließ, das ebenso auf eine Stelle des Alten Testamentes Bezug nahm. Und so ist über dem Portal des jetzigen Steyrer Museums auf einem Fresko dargestellt, wie die Brüder zu Joseph nach Ägypten kamen. Joseph sitzt auf einem erhöhten Stuhl - in den Alten Testament heißt es, der Pharao habe zu Joseph gesagt, „allein um den königlichen Stuhl will ich höher sein als Du". In der Ikono graphie^ hat man aber Joseph als den Regenten auf ei ner Art Richterstuhl dargestellt. Vor dieser, wie ein Herrscher wirkenden Persönlichkeit, versammeln sich daher einige Personen, nämlich die Brüder Jo sephs. Und was konnte auch sinnvoller auf einem Getreidespeicher angebracht werden, als diese Sze ne aus dem Alten Testament? Im Jahre 1615 war bis weit in den April hinein, also bis zum St. Georgstage, große Kälte und eine Menge Schnee, weshalb der Mißwachs eine bedeutende Teuerung verursachte. Der Magistrat Steyr kaufte damals viel Getreide in Ungarn und in Niederöster reich und gab es den Armen um einen niedrigen Preis ab. Selbst Fremde kamen nach Steyr und kauf ten in den Magazinen.® Diese Erklärung wird hier deshalb so ausführlich ge bracht, weil erst jüngst in einer Übersicht über die Sgraffitoarbeiten in Steyr beschrieben wurde, daß über dem Hauptportal ein Fresko mit der Darstel lung „Jesus vor Pilatus" angebracht wäre.® Dieses Thema würde nun zur Baugeschichte und zur Zweckbestimmung des Stadels wirklich gar nicht passen. Das Bauwerk war für die Renaissancearchitektur Oberösterreichs von besonderer Bedeutung. Nicht umsonst hat man es in Modellform sogar in der Ma ria Theresia-Ausstellung in Wien-Schönbrunn im Jahre 1980 gezeigt. Zwei Fragen ergeben sich aus der Geschichte dieses Bauwerks und seiner Ausschmückung. Ist die An bringung von Fresken an den Fassaden in Ober- und Niederösterreich üblich? Wie verhält es sich sonst mit „Traidkästen", Getreidespeichern, Schüttkästen oder wie man die Bauten ehedem und heute be nannte? Der Schmuck der Außenfront von Gebäuden durch Malereien war seit dem Mittelalter auch in unseren Gegenden durchaus üblich. Zuerst sei hiebei an Fresken an Kirchenbauten erinnert, z. B. an die rie senhaften Christophorusdarstellungen, wie sie bei spielsweise an der Kirche von Buchenau weit über das Donautal hinüberblickten. Nach dem Glauben des Spätmittelalters sollte ja der Anblick eines Christophorusbildes verhindern, daß man am gleichen Tag plötzlich, also ohne Empfang der Sterbesakra mente, sterben müsse. Auf dem engeren Stadtgebiet von Linz befand sich auch ein derartiges Denkmal: An der Kirche von St. Peter, die 1938 zur Errichtung der Industrieanlagen abgetragen wurde, war auch ein Christophorusfresko zu sehen. Vom Fassadenschmuck von Profanbauten ist wenig bekannt. Hier wird man annehmen müssen, daß wohl auch am Linzer Schloß zur Zeit Friedrichs III. Wappen, Inschriften oder sogar Verzierungen ange bracht waren. Vom Linzer Rathaus hatte man früher keine Kenntnis von bildlichem Schmuck. Nach dem Auftauchen einer Darstellung des Linzer Hauptplat zes aus dem Jahr 1636, gezeichnet vom berühmten Grafiker Wenzel Hollar, konnte man feststellen, daß an der Fassade des Rathauses verschiedene Darstel lungen zu finden waren: Die Ansicht gibt zwar nur grobe Umrisse wieder, doch läßt sich wohl eine Justitia mit den beiden allegorischen Figuren von Spes und Caritas erkennen. Die Anbringung der Gerech tigkeit ist für ein Rathaus durchaus üblich, auch die zwei anderen Tugenden sind gerne als Hinweise auf die Funktion des Gebäudes wiedergegeben worden. Über das Alter dieser Darstellungen lassen sich keine genaueren Angaben machen. Man wird an nehmen müssen, daß die Fassade des Linzer Rathau ses im Jahre 1510 umgestaltet wurde, als es nach ei nem größeren Brand zum Aufbau des polygonalen Eckturmes und zum Neubau des Rathauses selbst kam. Der Fassadenschmuck ging bei dem Umbau 1656 zugrunde, als man das gotische Rathaus mit dem Nachbargebäude vereinigte und eine gemeinsa me Barockfassade vorblendete. Im Lauf des 16. Jahrhunderts ist das Interesse an reli giösen Darstellungen an den Fassaden geschwun den. Die Renaissance hat sich hier viel eher der klas sischen Mythologie zugewendet und auf den Sgraffi- ^ Wilhelm Steinbock: Kunstwerke der Reformationszeit in der Steiermark. In: Johannes Kepler 1.S71 - 1971. Gedenkschrift der Universität Graz. Graz 1975. S. 407 ff (hier besonders über den Josephs-Zyklus, den Ernst Guldan 1956 veröffentlicht. S. 455 f). ® Wilhelm Steinböck: Protestantische Epitaphien des 16. Jahr hunderts im Stadtmuseum Wels. In: 18. Jahrbuch des Museal vereines Wels. 1972. S. 87 ff. ^ U. Nilgen: Joseph von Ägypten. In: Lexikon der christlichen Ikonographie 2. 1970. Sp. 423 ff. - Hilgart L. Keller: Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. Stuttgart 1968. S. 268 f. ® Fritz: Steyr. S. 242. ' OÖ. Kulturzeitschrift. 30. Jg. Heft 2. Linz 1980. S. 60.
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