OÖ. Heimatblätter 1981, 35. Jahrgang, Heft 3/4

„Kinder- und Hausmärchen" in einer Zeit schwerster Heimsu chungen (1812) erschienen sind, so mag dies ein Ausdruck der Be obachtung sein, daß sich in den letzten Jahrhunderten das Volk immer wieder in Notzeiten, bewußt oder unbewußt, seiner alten Überlieferungen als einer unversiegbaren Quelle seiner Kraft und Hoffnung erinnerte. So war es während und nach dem Dreißigjäh rigen Krieg, so während der Franzosenkriege zu Anfang des 19. Jahrhunderts, so auch nach dem Ersten Weltkrieg: man erinnere sich nur der hervorragenden Tätigkeit des Verlages Eugen Diederichs mit seinen Buchreihen über die Sagen der deutschen Land schaften („Deutsche Stammeskunde"), der nordischen Volks dichtung („Thüle") und vor allem auch seiner großen Märchen sammlung („Märchen der Weltliteratur"). Und so zeichnet sich die Lage auch nach 1945 wieder ab, indem v.Geramb sich sofort an die Vorbereitung einer 2. Autlage seiner „Kinder- und Haus märchen aus der Steiermark" machte, die inzwischen die 5. Edi tion erlebt hat. Seit der 4. Auflage betreut Karl Haiding diese Pub likation. Seine eigene Ausgabe „Österreichs Märchenschatz" wurde bereits zweimal aufgelegt. Natürlich wird es niemandem einfallen, die bemerkenswerte Auflagcnhöhe und Beliebtheit dieser beiden Märchensammlungen, die man mit vollem Recht als die schönsten und besten bezeichnen kann, die es in Österreich je gegeben hat, allein auf eine gewisse nostalgische Modeströmung zurückzuführen, wie sie sich in ande ren Sparten der angewandten Volkskunde beobachten läßt, denn sie verdanken darüber hinaus ihre Verbreitung vor allem auch ih rer besonderen Qualität. Hier ist zunächst die meisterhafte Sprachkunst von Karl Haiding anzuführen, dem es gelang, die aus dem Volksmund aufgezeich neten Texte bei Wahrung jeglichen Lokalkolorits in ein schlichtes und dabei unerhört plastisches Schriftdeutsch zu übertragen, in das immer wieder besonders charakteristische Ausdrücke aus der Mundart einfließen, die die Farbigkeit und Kraft der gesproche nen Überlieferung ebenso überzeugend erkennen lassen wie die häufigen Proben von Qriginalaufnahmen. Wie nicht anders zu erwarten, begegnet man dabei zahlreichen der altbekannten Märchenmotive, wie dem „Tapferen Schnei derlein", dem „Rumpelstilzchen", dem „Aschenbrödel", dem „Dornröschen" usw. Immer aber werden dabei die regionalen Ausprägungen deutlich, durch die das Volk diese weltberühmten Gestalten in seine eigene Umwelt, in den heimischen Bauernhof, in das Almicben, in die ländliche Schmiedewerkstatt usw. versetzt und die dort hantieren, wie es eben für diesen Lebensraum üblich ist, indem z. B. im „Schlafenden Hof", dem steirischen Dornrös chen, der unbezwingbare Schlaf die hartherzige Bäurin in dem Augenblick überfällt, als die beim Krapfenbacken gerade ein Tcigstück in das heiße Fett der Pfanne legen will. Aber auch das Leben im Königshof gleicht nur dem Treiben in einem besonders großen Bauerngut, in dem der König wie in alten Zeiten sich noch selber um die Wirtschaft kümmert, im Roßstall nachschaut und persönlich Schafhirt und Roßknecht anstellt. Und wie in allen Märchen verwebt sich auch in den österreichi schen die reale Welt nahezu nahtlos mit der „anderen", äußeren, in die die Helden (und Unhelden) plötzlich geraten und mit freundlichen oder gefährlichen Mächten, helfenden Tieren, dank baren Toten, Hexen und personifizierten Gestirnen zusammen treffen, schwere Prüfungen zu bestehen haben und aus der Wir kung ihres Tuns letztlich erleben, daß jede Untat und Grausam keit gegenüber Tier und Mensch über kurz oder lang bestraft und jede Hilfsbereitschaft und Güte bestens belohnt wird. Können die Märchen solcher Art in dem reich bewegten Auf und Ab der Handlungen in den Herzen der jungen Leser allmählich das anständige und richtige Verhältnis zu ihrer Umwelt erwecken, -ein Umstand, den unsere Pädagogen in den immer wieder anfal lenden Diskussionen um Wert und Unwert der Märchen in der Kindererziehung doch endlich beachten sollten, so wird auch der wissenschaftlich interessierte aus der Lektüre der von Karl Hai ding redigierten Märchenausgaben reichen Gewinn ziehen. Denn im Anhang zu jeder der beiden Sammlungen findet sich eine um fangreiche und präzise ausgeführte Geschichte der Märchenfor schung in Österreich seit dem 19. Jahrhundert, aus der man u. a. mit Bewunderung erfährt, daß rund ein Drittel der in diesen Bän den wiedergegebenen Märchen erst von Haiding selbst in sicher oft recht mühsamer Feldforschung erstmals aufgezeichnet und da durch manche österreichische Landschaft, die bisher als märchen leer gegolten hat, als ein in Wirklichkeit sehr ergiebiges For schungsgebiet erwiesen wurde. In einem zweiten Kapitel erfährt man Näheres über die literarische Form des Märchens und erhält schließlich in einem umfangreichen Anmerkungsapparat Aus kunft über die oft weltweite Verbreitung der einzelnen Märchen typen, Erwächst dem Leser schon aus diesem wissenschaftlichen Appa rat ein entsprechender Respekt vor der enormen Belesenheit die ses Gelehrten, so wird man seiner erst ganz gerecht, wenn man sich auch mit seinen soziopsychologischen Untersuchungen über die Persönlichkeit der div. Märchenerzähler beschäftigt, nämlich seinen sehr lesenswerten Abhandlungen „Träger der Volkserzäh lung in unseren Tagen" (Österr. Zeitschrift f. Volkskunde 1953). „Die Gebärdensprache der Märchenerzähler" (Helsinki 1955) und „Ländliche Erzählertypen" (Zeitschrift des hist. Ver. für Steiermark, Graz 1966), in denen der Volkskunde wie der Psy chologie bedeutende neue Erkenntnisse erschlossen wurden. Man kann den Bericht über die beiden zur selben Zeit erschiene nen österreichischen Märchenbücher nicht schließen, ohne auch die bemerkenswerte Form der Illustrationen in den „Kinder- und Hausmärchen aus der Steiermark" durch die feinsinnige Graphi kerin Emmy Singer-Hießleitner zu würdigen, die ganz anders als dies in Kinderbüchern, vor allem den Sagen- und Märchenbü chern, sonst üblich ist, nicht die in den Geschichten erzählten Handlungen veranschaulicht, sondern in einer großen Anzahl von feinsten Federzeichnungen die örte darstellt, in denen sich die verschiedenen Erzählungen in der Steiermark zugetragen haben könnten: so etwa, wenn eine Handlung auf einem Almboden spielt; das Bild einer wirklichen Almhütte, oder wenn in einem Bauernhof: das eines tatsächlich vorhandenen für die betreffende Landschaft charakteristischen Gehöftes, oder wenn in einer Schmiede: dann das Bild einer alten Schmiede, und wenn in einem Grafenschloß oder einem Könighof: dann das Bild einer der alten stattlichen Burgen oder Ruinen. Ein wunderschöner Illustrations gedanke, durch den das Märchenwerk über seinen Hauptzweck hinaus, auch zu einer in künstlerischer Form abgerundeten Hei mat- und Landschaftskunde wird. Ernst Burgstaller Florian Trenner: Der heilige Florian. Regensburg: Pustet 1981. 144 Seiten mit 32 Abb. S 150,50. Der hl. Florian, Diözesanpatron des Bistums Linz, ist in manchen Gegenden bestenfalls als Feuerwehrpatron bekannt, wenngleich festzustellen ist, daß seine Verehrung in den letzten Jahren wieder zugenommen hat, was nicht nur in einer vermehrten Verwendung von Florian als Taufname zum Ausdruck kommt. Der Autor hat mit diesem Büchlein in gefälliger Form und Weise seinem Namenspatron ein hübsches Denkmal gesetzt, das ur sprünglich als Seminararbeit am Institut für Bayerische Kirchen geschichte an der Universität München bei Prof. Hubensteiner er arbeitet wurde. Die Auseinandersetzung mit den nicht gerade einfachen Überlie ferungen seiner Vita und den daraus entstandenen Legendenauf zeichnungen basiert im Wesentlichen auf den Vorarbeiten von 1. Zibermayr, W.Neumüller und K.Rehberger und ist klar und deut lich dargestellt. Der Hauptteil dieser Arbeit, und das ist das be sondere Verdienst des Autors, ist der Verehrung des Heiligen ge widmet. Frühe Schenkungen an den Heiligen, literarische Zeug nisse, das Stift St. Florian als Zentrum der Verehrung, liturgische Texte, Hymnen und Predigten, Stätten der Reliquienverehrung,

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