OÖ. Heimatblätter 1981, 35. Jahrgang, Heft 1/2

die man als Mundraub an den Wissenschaften bezeichnen könnte. Wer schon erspart sich und anderen, vom ,,Un bewußten" so zu reden, als sei dies eine Realität, der hinreichend geschickte Anatomen auf die Spur kommen könnten, wenn sie nur - endlich - wollten? Wer genehmigt nicht sich selbst wie den anderen diesen oder jenen kleinen ,,Komplex", ob nun der ödipus oder wer immer Pate stehen mag? Wem geht nicht als geläufig, als plausibel dies und jenes ein, das Konrad Lorenz und die Seinen anthropomorphisierend sich ausdenken? Wer vermag heute noch aus der Überproduktion von sogenannten ,, Sachbüchern" in den längst unüberschaubar gewordenen Taschenbuch-Rei hen, orientiert an Wissenschafts-Standards, die Spreu vom Weizen zu sondern? Wer geniert sich, im Blick auf die Gesellschaft von Schichten und Klassen oder auch. Umkehrung und gerade darum dasselbe, von der ,,nivellier ten" Gesellschaft oder von der ,,klassenlosen" Gesellschaft so zu sprechen, als könnte man alledem und ebendem bei einem Spaziergang be gegnen, als wären die Abstracta handgreiflich? Alltägliches Bewußtsein heute, alltägliches Den ken in unserer Zeit ist zugleich heruntergekom men und heraufgekommen. Von jenem ,,um gänglichen" Denken, das zwar schon Herbart auf den Begriff zu bringen versuchte, das aber erst zwei unterschiedliche Geister wie Martin Buber und Theodor Litt vor wenigen Jahrzehnten so be schrieben, daß es für pädagogisches und andragogisches Denken kategorial werden konnte, ist nur der Schatten geblieben. Es ist herunterge kommen, weil es bar ist - nicht: ,,befreit", wie Leithäuser sagt - ,,der schönen Täuschungen, Il lusionen und Hoffnungen"; und es ist heraufge kommen in die Sprechweisen der Wissenschaft lichkeit. Fragt sich nur: Ob dieses Heraufkom men nicht auch ein Herunterkommen ist. Vom ,,vernünftigen Reden" über PoHtik, Politi sches und Politiker kann weithin keine Rede sein. Dies ist der Befund. Dies ist die Gefahr. Und dies ist auch der Ansatz Politischer Bildung heute in der Schule wie in der Volksbildung, der ,,education permanent", für ,,life-long-leaming". Was aber ist zu tun? Dem engagierten Betrachter der Szene, Öffent lichkeit genannt, fällt manches auf, das nach denklich stimmen kann und sollte: Nach einer Phase großspuriger makrosoziologischer Auslas sungen, in der oft Sozialphilosophisches als die bare Münze der Gesellschaftsanalyse genommen wurde, hat sich Bescheidenheit eingestellt: Mi krosoziologisches ist wieder gefragt, ist ,,in". Auf eine Literaturwelle, die von den hohen An sprüchen etwa des „Systemvergleichs" zwi schen „kapitalistischen" und ,,sozialistischen" Gesellschaften getragen wurde und es in kleine rer Münze nicht zu schaffen meinte, ist eine eher literarisch bestimmte oder eingefärbte Welle ge folgt, die uns Auskunft gibt über den Alltag der Menschen in der DDR, in Polen, in der Tsche choslowakei, in jenen anderen Ländern also, die zwar anders aber doch nicht fremd sind. Den großen Versuchen, Faschismustheorie zu produzieren und diese didaktisch zu reduzieren und in die Köpfe derer zu transponieren, die nach jenen Jahren fragen, nach Ursachen, nach den Menschen, die mitmachten, mitjubelten, mit mordeten, ist doppeltes Erschrecken gefolgt. Eine durchaus problematische Fernsehserie - „Holocaust", aus den USA importiert - hat das Erschrecken ausgelöst: einmal jenes, daß junge wie erwachsene Menschen vielleicht zum ersten Male aus sich heraus nach dem Nazismus, nach Holocaust fragten, die teils dabei waren und die andernteils Namen, Zahlen, Daten schulisch ge lernt hatten, ohne sich aber an den Fakten, am Grauen abzuarbeiten; zum anderen das Er schrecken, daß sich hinter nüchternen Zahlen - Millionen wurden vergast; Millionen starben den sogenannten Heldentod; Millionen wurden Op fer des Bombenterrors beider Seiten; Millionen verloren ihre Wohnung, ihr Habe, ihre Heimat - menschliches Schicksal, je ein Einzelschicksal verbirgt, Schmerz, Leiden, Tränen, Demütigung, Beleidigung, Trauer, Verzweiflung. Auch im Bereich des sozialen Tuns hat sich eine Wende - und das heißt auch immer: eine Abwen dung- ereignet: Subsidiarität statt Verwaltung ist wieder gefragt, mag sie sich heute auch mit dem neuen Wort,,Initiative" schmücken. Bürger-In itiativen im weitesten Wortsinn, zu denen durch aus auch ,,Alten-Initiativen" gehören, die an die Stelle der Bevormundung die Solidarität stellen, sind nicht nur und vermutlich nicht einmal in er ster Linie Antwort auf das Versagen derer, die alle vom Volke ausgehende Gewalt partikularistisch und in Schemata der Bürokratisierung be fangen gebrauchten und gebrauchen, sondern die Wiederentdeckung eigener Möglichkeiten, das Bedürfnis, an die Stelle sozialistisch kaschier ter Gängelung das Ego zu setzen. An solchen Feststellungen könnte Politische Bil-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2