OÖ. Heimatblätter 1981, 35. Jahrgang, Heft 1/2

Klischees, Ideologisches. Das eine ist die Kehr seite der Medaille des anderen. Anders gesagt; Hier handelt es sich nicht um einen Widerspruch, der ins Individuum eingenistet werden könnte, sondern um einen Zusammenhang, der seine Er klärungen primär aus dem kollektiven politi schen ,,Schicksal" erfährt. Mit wenigen Strichen soU versucht werden, die ses Syndrom wenig begreiflichen politischen Verhaltens aufzuhellen: Erstens: Wir leiden noch immer unter unserer ,,unbewältigten Vergangenheit". Dies gilt nicht nur für Menschen jener Generationen, die mehr oder minder politisch bewußt, gar politisch aktiv - auf der einen oder auf der anderen Seite - die Jahre zwischen 1933 und 1945 beziehungsweise zwischen 1938 und 1944 miterlebten, sondern auch für die nachgewachsenen Generationen. Was in unserem, im ,,großdeutschen" Namen seinerzeit geschah, ist und bleibt untilgbar nicht nur in der Menschheitsgeschichte, sondern in uns selbst. Die psychischen Deformationen sind verhaltensprägend und wurden und werden als Verhaltensprägung von einer zur nächsten Ge neration weitergegeben. Zweitens: Österreich und die beiden deutschen Staaten, und das heißt: Millionen Menschen ei ner gemeinsamen historischen Vergangenheit und gemeinsamer Sprache leben Tag für Tag an der Nahtstelle der beiden Supermächte. Nur wohlfunktionierende, aber permanent überla stete Verdrängungsmechanismen ermöglichen uns den Schein von Gelassenheit, von Fröhlich keit, von Glück. In Wirklichkeit aber sind wir umgeben von und besetzt mit der ängstefreiset zenden Bedrohung. Verdrängung jedoch ist nicht ,,Verarbeitung", sondern ihr negativer Sonderfall. Wie soll ,,vernünftiges Reden" zustande kom men, wenn die Psyche des homo poHticus austriacus und teutonicus derart strapaziert ist? Welcher Mühselige und Beladene greift nicht zu Strohhalmen, deren Tauglichkeit zu prüfen ihm keine Zeit bleibt? Strohhalme dieser Unqualität sind Ideologien wie politische Charismatiker, ist die politische Polarisierung in der Bundesrepu blik Deutschland nicht minder als die Konfor mität und Uniformität des geduckten DDR-Bür gers. Strohhalm-Angebote sind gleichermaßen die Diskriminierung der Demokratie zugunsten einer neuen führergesteuerten ,,Völkischkeit" wie das Denken in aufgewärmten FreundFeind-Schemata oder die höchst unpolitische, weil eschatologische Verkündigung, sei es des Unterganges des Abendlandes, sei es einer Wahl als ,,letzter Chance". Nimmt man diese - analytischen - Elemente zu sammen, so ergibt sich ein Denkverhalten in Sa chen der Politik, das sich mit dem derzeit gängi gen Begriff des ,,Alltagsbewußtseins" einfangen läßt. Im Sinne Eeithäusers ist Alltagsbewußtsein ,,das notwendig falsche Bewußtsein, das sich im pauperisierten Alltagsleben herstellt und das dort zugleich konditioniert und verstärkt wird. Es ist befreit vom Reichtum der schönen Täuschungen, Illusionen und Hoffnungen, die die großen Ideo logien, die verschiedenen Religionen, aber auch den Rationalismus der bürgerlichen Aufklärung charakterisieren. Solche Ideologien als große (kohärente oder konsistente) Gedankensysteme, die die Welt interpretierten und, wie verstellt und verfärbt auch immer, ein Abbild der Gesellschaft gaben, sind nicht länger notwendig für die Kon stitution und zur Orientierung des Lebenssinnes der Individuen". Es kann dahingestellt bleiben, ob die Denkkom ponente der Politischen Ökonomie, die Leithäu ser hier einführt, so viel Erklärungskraft besitzt, wie er seinen Lesern weismachen möchte. Ein sozialpsychologischer Erklärungsversuch, der an die unbewältigte Vergangenheit anknüpft und die psychischen Auswirkungen des ,,Grenzerle bens" der Österreicher und Deutschen an der Nahtstelle zwischen den beiden Supermächten einbezieht, dürfte im Hinblick auf die Diskrepanz zwischen der Grundeinstellung zur Politik - als ,,schmutzigem Geschäft", als etwas Dunklem, Undurchschaubarem, negativ Besetztem - und dem Informationsniveau eher erklären oder doch jedenfalls nicht ausgeklammert werden. Hier geht es um die Erscheinungsweisen von all täglichem Bewußtsein heute und um die Frage nach Aufgaben und Möglichkeiten Politischer Bildung, die mit ihm rechnet. Alltägliches Bewußtsein ist aber - vielleicht soUte man ergänzen: auch - banales Mißverstehen von Theorie-Begriffen als Spiegelungen der Wirk lichkeit, von Denkmodellen als Beschreibungen der Realität, ist, verallgemeinert gesprochen, die Verwirklichung des Hiatus zwischen,,umgängli chem Denken" und ,,wissenschaftlichem Den ken" in einer Zeit, in der Illustrierte, Regenbo genpresse, Funk und Fernsehen mit schöner Selbstverständlichkeit und permanent vom gei stigen Diebstahl in jenen kleinen Dosen leben.

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