OÖ. Heimatblätter 1981, 35. Jahrgang, Heft 1/2

Begriffe, Ideen und Initiativen Kritische Überlegungen zur Bildungs- und Kulturarbeit Von Karl DiIIinger Kultur hat Konjunktur lautet der erste Satz in Hilmar Hoffmanns Buch ,,Kultur für alle"^. Und in der Tat: Noch nie wurde so viel über Kul tur geschrieben und diskutiert. In der theoreti schen Diskussion erhitzen sich die Gemüter über Bedeutung und Wert traditioneller und alternati ver, affirmativer und progressiver, bürgerlicher und proletarischer Kultur, man spricht von Volkskultur und Hochkultur, elitärer und Mas senkultur und fordert die,,Demokratisierung der Kultur", um den unterprivilegierten Schichten den Zugang zu den Kulturgütern zu ebnen, und zugleich auch eine ,,kulturelle Demokratie", in der Kultur nicht mehr durch die Vertreter einer elitären Hochkultur von oben her definiert und ok troyiert, sondern die Inhalte der Kultur selbst be stimmt und von unten her wachsen sollen. Noch vor wenigen Jahren aber wurde zumindest in der Bundesrepublik Deutschland weniger über Kultur, sondern mehr über die ,,realistische Wende" gesprochen. Schon der Wechsel in der Terminologie von der Erwachsenenbildung zur Weiterbildung hat diese ,,kopernikanische Wen de", wie sie von einzelnen Bildungseuphoiikern enthusiastisch begrüßt wurde, signalisiert. Ge meint war damit eine inhaltliche Schwerpunkt verlagerung von der allgemeinen zu einer berufsorientierten und abschlußbezogenen Wei terbildung. Die gewaltigen Veränderungen in al len Bereichen des Lebens, bedingt durch den ständigen Fortschritt in den einzelnen Wissen schaften, der ein erworbenes Wissen in kürzester Zeit unbrauchbar macht, verlange vom Men schen zur Bewältigung verschiedener Lebenssi tuationen in Faiiülie, Beruf und Freizeit neue Fä higkeiten und Fertigkeiten. Die bürgerliche oder christlich geprägte Berufsauffassung, die Beruf als Berufung versteht, müsse abgelöst werden durch die Bereitschaft zum Berufswechsel, durch die Fähigkeit zu Flexibilität und beruflicher Mobi lität, zum ,,team work" und zur Kommunikation. Demnach werden der Beruf, die Berufsfortbil dung und die berufsbegleitende Bildung, wie sie auch schon bisher in Sprach-, Stenographie-, Maschinschreibkursen usw. vermittelt wurde, und damitdfls Lernen, in den Mittelpunkt gerückt. Folgerichtig wandte man sich mehr den systema tisierten Lernprozessen zu, entwickelte Techni ken zur Seminarplanung und für Bildungsinhalte verschiedener Lernfelder Curricula. Man sprach - für einzelne verdiente Frwachsenenbildner der Pioniergeneration in Österreich recht ungewohnt - von Baukastensystemen, Transformationspro zessen, FffizienzkontroUe und Evaluation. Mit der realistischen Wende, so meinten manche Bildungstheoretiker, sei in der Erwachsenenbil dung der europäischen Industrienationen der längst fällige Umschwung ,,von der Bildungs idylle zum Ernstfall", vom Unverbindlichen zum Verbindlichen, vom Unsystematischen zum Sy stematischen, von der Improvisation zur Planung und von nebuloser Bildung zum Lernen vollzo gen worden. Auch die österreichischen Frwachsenenbildungs-Organisationen haben im Sog dieser Wende zweifellos profitiert, denn teilweise wurde eine stärkere Qualifizierung der gesamten Bildungsarbeit spürbar. Man hat mancherorts er kannt, daß zu einer gediegenen Praxis auch eine solide Theorie gehört und hat die Bildungspraxis mehr als vorher auf ihre theoretischen Grundla gen hin überprüft. Unbestrittene Fortschritte und Erfolge sind die Erstellung von Arbeitsplänen und längerfristigen Kursangeboten mit klaren Lernzielbestimmungen, die Anwendung und Erprobung neuer Arbeitsweisen und teilnehmer orientierter Methoden und Konzepte für die Ausund Weiterbildung der Mitarbeiter. Arbeiten, die in den letzten Jahren für die Verleihung eines Förderungspreises eingereicht wurden, befassen sich vermehrt mit Fragen der Motivationsfor schung, der abschlußbezogenen Weiterbildung, der Curriculumsentwicklung oder einer handlungsorientierten Weiterbildung. In dieser Ent wicklung sahen manche, insbesondere ältere Mitarbeiter, eine drohende Verschulung und Professionalisierung auf Kosten von Spontanei tät und Flexibilität, eine nicht ungefährliche An näherung an das Schulsystem. So hielten sich in Österreich die Erfolge und Fortschritte in Rich tung auf stärkere Systematisierung und Planung in Grenzen. In der bildungstheoretischen Diskussion rund ' Hilmar Hoffmann, Kultur für alle, Frankfurt/Main 1979.

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