OÖ. Heimatblätter 1980, 34. Jahrgang, Heft 3/4

Der Wittenberger Kalender des Johann Püchler aus Linz Von Heinrich Kühne Mit 2 Abbildungen Im Melanchthonhaus in der Lutherstadt Witten berg können die zahlreichen Touristen aus fern und nah ein unter Glas angebrachtes vergilbtes Pergament betrachten. Es handelt sich um ein einmaliges Original, das der zu seiner Zeit be rühmte Mikrograph Johannes Püchler aus Linz angefertigt hat. Nach der Fertigstellung übergab es der Künstler dem Rat der Stadt Wittenberg. In den Kämmereirechnungen befindet sich fol gende Eintragung dazu unterm 26. August 1665: „3 Schock 12 Groschen = 8 Thaler seindt Johann Püchlern von Linz aus Österreich für ein dem Rath alhier dedicirtes Kunststücke auf Pergament mit der Feder gerißen verehret." Dazu gehört eine weitere Eintragung: 15. November 1665 wurden 1 Schock 4 Groschen = 2 Thaler 16 Gro schen an den Tischler Paul Zeidler gezahlt für ei nen Rahmen um ,,Johann Püchlers Kunststück lein, so mit der Feder gerißen". Diese Art der Kleinschreibung mit ganz spitzer Feder oder wie in diesem Falle der Kleinzeich nung kam im 16. Jahrhundert auf und war eine Modeerscheinung der damaligen Schreibkünst ler. Zeichnungen und Schrift sind mitunter so klein gewesen, daß sie mit bloßem Auge nicht zu betrachten bzw. zu lesen waren^. Püchler be schränkte sich aber nicht auf das Kleinschreiben, sondern errang eine hohe künstlerische Fertig keit bei der Herstellung von,,Ewigen Kalendern" (Calendarium perpetuum). Um einen solchen handelt es sich auch bei dem Wittenberger Per gament. Es hat die Größe von 81 cm Höhe und 55 cm Breite. Dabei verzettelte sich der Künstler nicht in irgendwelche Verspielereien, sondern gab der Darstellung eine gute harmonische Glie derung. Die bisher bekannten Kalender solcher Art von Wimpfen vom Jahre 1658 und von Mem mingen vom Jahre 1665 geben zwar den Charak ter der Püchlerschen Zeichnungen wieder, doch gibt es zwischen ihnen erhebliche Unterschiede. Man kann also dabei nicht von einer Massenan fertigung sprechen. Jeder Kalender hat seine spe zifische Eigenart und enthält eine Fülle von Ge dankengut, das der Genannte in seine Arbeit mit großem künstlerischen Einfühlungsvermögen einfließen ließ. Betrachten wir nun das Wittenberger Bild, so fällt sofort auf, daß die obere Hälfte fast ganz von dem österreichischen Doppeladler ausgefüllt ist. In der Mitte ganz oben steht, flankiert von den bei den Adlerköpfen mit Kronen, die Krone des rö misch-deutschen Kaisers. Die ausgebreiteten Schwingen enthalten auf jeder Seite vier WappenbUder, während die Schwanzfedern kurz an einandergereiht das Stadtwappen von Witten berg umschließen. Da das Wappen im Laufe der Jahrhunderte zwar unwesentlich, jedoch zu ver schiedenen Zeiten mit einigen Änderungen dar gestellt wurde, muß man annehmen, daß Püchler eingehende Studien betrieben hatte, bevor er die Zeichnung anfertigte. Das Wappen ist zeitgenös sisch einwandfrei wiedergegeben mit ganz be stimmten Eigenarten. Es stellt die beiden Türme der Stadtkirche zu St. Marien dar. Zwischen den Türmen erscheint ein W. Die Bauten erheben sich aus einer Stadtmauer, die die Wehrhaftigkeit Wittenbergs aufzeigt. (Die Stadt war deutsche Festung bis 1873.) Das Mauerwerk ist belehnt mit den Wappen der einst beherrschten Geschlech ter, der Askanier mit dem sächsischen Rauten kranz und der Wettiner mit den gekreuzten Kurschwertern. Unter dem Stadtwappen steht unmittelbar die Widmung des Künstlers an den Rat der Stadt Wittenberg: ,,Dennen Wol Edlen Vesten Hoch- Vnd Wolweisen Hochgelehrten Groß- Vnd Vorachtbaren Auch Ehrbaren Vnd Vorsichtigen Herrn / Herrn Bürgermeistern Vnd Rath der Löblichen Chur/Sächsischen Statt Wit tenberg ec. Meinen Großgönstigen Hochge Ehr ten Herren Vnderthenig Dediciert vnd Ver Eh ret." Zwischen den Adlerköpfen befindet sich ein künstlerisch gestalteter Kreis, der in der Mitte ein großes L zeigt. Diese Initiale bezieht sich sicher lich auf den habsburgischen und römisch-deut schen Kaiser Leopold 1. (1640-1705). Doch alle aufgezeigten Figuren treten zurück und machen einem großen Mittelfeld Platz, mit dem der Dop peladler belegt ist. In der Mitte des Kreises, farbig mit Punkten und Verschnörkelungen ausgestat tet, befindet sich ein kleiner Kreis, der ebenfalls von Punkten umgeben ist. In seiner Mitte wird deutlich ein Kelch sichtbar. Hier spielt Püchler wohl absichtlich auf die wesentlichen Unter schiede der beiden Glaubensbekenntnisse an. ' Brockhaus Conversations Lexikon, 11. Band, Leipzig 1885, S. 710.

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