aller Beteiligten voraussetzt, besonders auf der Seite der Bestohlenen, sich schlagartig über das ganze bekannte Gebiet ausgebreitet haben sollte. Selbst wenn wir voraussetzen, daß durch Mili tärdienst und Presse Nachrichten der verschie densten Art von ,,Mann zu Mann" oder über die Zeitungen sich verhältnismäßig schnell ausbrei ten konnten, muß man hiervon wohl den Brauch des Saukopfstehlens ausnehmen. Selbst heute, wo die Presse alle mit Brauchtum oder Folklore (wie man gerne schreibt) zusammenhängenden Meldungen ausführlich behandelt, wird übers Saukopfstehlen kaum etwas gebracht. Wahr scheinlich deswegen, weil auch für die Mitarbei ter der Ffeimatzeitungen der Brauch selbstver ständlich ist und nicht den Wert einer zu veröf fentlichenden Nachricht hat. Eine der wenigen Ausnahmen bildete die Fernsehsendung des österreichischen Rundfunks^® über das „No vemberwetter", in welcher der Bauer Peer aus Putzleinsdorf als jahreszeitlichen Brauch das Saukopfstehlen erwähnte. Wenn wir von der weiten Verbreitung um die Jahrhundertwende ausgehen und daraus schlie ßen, daß der Brauch mindestens weitere 50 bis 100 Jahre benötigt haben muß, um sich über das bekannte Gebiet auszubreiten, kommen wir be reits in eine Zeit, in der die Nachrichtenübermitt lung für die ländliche Bevölkerung fast nur von selten der Standespersonen, also Pfarrer, Lehrer, vielleicht noch vom Bürgermeister her erfolgte. Wir können aber darauf verzichten, über diese Personen die Ausbreitung eines Brauches anzu nehmen, der den seinerzeitigen Obrigkeitsvor stellungen keineswegs entsprach. Diebstahl, der durch überliefertes Brauchtum und stillschweigendes Einverständnis des Be stohlenen gedeckt war, mußte keine rechtlichen Folgen haben und weder erlaubt noch verboten werden. Man kann mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, daß der Brauch schon seit mindestens zwei- bis drei Jahrhunderten besteht, denn so wohl die Art seiner Ausübung als auch die weite räumliche Verbreitung lassen kaum einen ande ren Schluß zu. Zu gegensätzhchen Schlüssen über das vermutli che Alter des Brauches können die Verbotslisten und Vorschriften für das tägliche Leben von Bür gern und Bauern führen, die in der Zeit von Maria Theresia bis in die ersten Regierungsjahre von Franz II. erlassen wurden. Eine ausführliche Darstellung von Gilbert Trathnigg über Josef Kropatschecks ,,Buch für Kreisämter oder Leitfa den zur Landes- und Kreisbereisung etc."^® von 1789 erwähnt viele volkskundliche Bräuche bis in alle Einzelheiten; Schlachtbräuche werden nir gends erwähnt. Mit gleicher Berechtigung könnte man nun behaupten, daß das Nichterwähnen Nichtvorhandensein bedeute, oder aber daß der Brauch so selbstverständliches nie miß brauchtes Burschenschaftsrecht war, daß man ihn deswegen nicht verbieten mußte. Zeitliche Folgerungen für sein Entstehen auf grund belegbarer Tatsachen können wir nicht ziehen. Wollen wir tiefer in das Problem eindrin gen, wie ein weit verbreiteter und heute noch le bendiger Brauch entstanden sein kann, müssen wir uns mit der Hauptperson, dem Schwein, gründlicher gelassen. Welche Rolle spielte es in der Vergangenheit? Warum verdrängen wir so vieles, was mit diesem Tier zusammenhängt? Warum bedeutet,,Schwein haben" immer noch Glück zu haben? Ganz deutlich wird die Frage an einem kleinen Beispiel: Jemand stolpert, fällt in eine Pfütze und bespritzt seine saubere Kleidung. Er sieht aus „wie ein Schwein". Er hat sich aber nicht ver letzt, sondern kann seinen Weg ohne die kleinste Schramme fortsetzen - er ,,hat Schwein" gehabt. Wie ist es möglich, daß innerhalb eines einzigen kurzen Vorganges das gleiche Tier unter völlig verschiedenen Gesichtspunkten angerufen wird? Es ist heute vielfach übhch, ,,mythologische" Brauchdeutungen ebenso abzulehnen, wie in den ersten vier Jahrzehnten unseres Jahrhun derts fast jeglicher Volksbrauch,,uralt" sein und von den ,,Germanen", den ,,nordischen Ah nen", abstammen sollte. Frei von diesen Belastungen wollen wir versu chen, ob sich eine Deutung für den Brauch finden ^ ORF - Fernsehsendung ,,Novemberwetter" der Reihe „Wir" am 2. November 1979; Manuskript von Dr. Peter Sterzinger. Trathnigg, Gilbert: Volkskundliches in Edikten, Circularen und Patenten des 18. Jahrhunderts; Oö. Heimatblätter, 25. Jg. (1971), Heft 1/2, S. 25-37.
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