Burschenschafts- und Zechenbrauch wird Nachbarschaftsbrauch Die Brauchwandlung des Saukopfstehlens, die wir seit dem letzten Weltkrieg beobachten kön nen, ist erstaunlich. Aus dem Burschenschafts und Zechenbrauchtum entwickelte sich das Saukopfstehlen als Nachbarschaftsbrauch, der im südösterreichischen Verbreitungsgebiet als Fa schingsbrauch weiterlebt. Aus diesem Blick punkt wird das ,, Saukopfstehlen" beispielhaft. Wir sehen, daß der Brauch Ausdruck einer Ge meinschaft ist, die sich wandelt und damit einem lebendigen Brauch neue Züge verleiht. Und wir erkennen, daß es keinen ,,uralten" Brauch gibt, der unverändert über die Jahrhunderte erhalten bliebe. Ein Brauch, der in seinen letzten ältesten Wurzeln aus Urinstinkten des Menschen lebt, wandelt sich mit der Zeit. Wenn das nicht mehr möglich ist, stirbt er. Zu den besonderen Erscheinungen bei der Be trachtung des ,,Saukopfstehlens" gehört der Mangel an Zeugnissen und Quellen. Bisher wa ren schriftliche Belege aus der Zeit vor dem Zwei ten Weltkrieg nicht auffindbar. Sicher werden in den Heimatbeilagen der Regionalzeitungen und im allgemeinen Schrifttum noch verstreute Hin weise auftauchen, aber das müßte eher zufällig sein. Selbst das großartige Werk von Franz Lipp über die Volksbräuche in Oberösterreich^^ er wähnt nicht einmal das Saukopf stehlen. Woran liegt das? War dieser Brauch etwas, das man ohne viel Aufhebens ausübte, weil er so gar nichts christlich-religiöses an sich hat? Sicher nicht, denn Pferdeweihen, Feldumgänge und andere in die Zeit des Vorchristentums reichende Bräuche werden von der Kirche liebevoll ge pflegt. Oder ist es eher so, daß sich die Brauch übung auf der Ebene der Kartenpartien im Gast haus bewegte, deren volkskundliche Darstellung ebenfalls auf sich warten läßt? Hier kommen wir der Klärung vielleicht schon näher. Es scheint, daß das Saukopfstehlen zu den als unwichtig be trachteten Bräuchen zählte, die einfach der Er wähnung nicht wert waren. Das wirft ein ganz besonderes Licht auf diesen in Österreich so weit verbreiteten Brauch. Er vollzog sich nicht in der Öffentlichkeit. Der kleine Kreis der Burschenschaft oder der Nach barschaft übte und genoß den Brauch unter sich. In diesem Zusammenhang ist aufschlußreich, daß bei den Antworten auf die Frage nach der weiteren Verbreitung des Brauches stets die Fest stellung getroffen wurde, daß dieser nur in der nächsten Umgebung üblich sei. Ursprung und Alter Welche Möglichkeiten bieten sich, ohne Quellen und Sachzeugnisse den Ursprung des Brauches einzukreisen? Wir können 1. nur den bekannten Sachverhalt untersuchen, ihn also ausschließlich vordergründig als ,,Scherzsitte" wie Friess oder als „Scherzhaftes Entwenden" wie der österreichische Volkskun deatlas betrachten, 2. dem Hinweis von Fochler folgen, der im Brauch ,,den deutlich erkennbaren Griff der To ten und Dämonen nach Gut und Leben der Ge genwärtigen" sieht^®, oder 3. versuchen, aufgrund des Gedankens von Leopold Schmidt in der ,,Volkskunde von Niederösterreich"^'' eine Verbindung zum Germani schen Juleber zu finden. Aus den Befragungen ergab sich mit hoher Si cherheit, daß der Brauch in der heute noch in Oberösterreich üblichen Form um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zumindest in dem Umfang bestand, wie ihn der österreichische Volkskundeatlas für 1955/56 ausweist. Denkbar wäre aufgrund der Kartenhinweise auf Orte, in denen das Brauchtum abgekommen ist, eine noch weitere Verbreitung. Hier müssen aber Rückschlüsse sehr vorsichtig gezogen werden, denn andererseits sagt die Karte nichts aus über Orte, in denen der Brauch vielleicht erst in den zwanziger und dreißiger Jah ren, also zwischen den Weltkriegen übernom men wurde. Trotzdem erscheint es schwer vorstellbar, daß ein Brauch, der so weitgehende Übereinstimmung Lipp, Franz: Art und Brauch im Land ob der Erms, Salzburg 1952. Fochler, Rudolf: Von Neujahr bis Silvester. VolkstürrUiche Termine in Oberösterreich, Linz 1971, S. 142 f. " Vgl. Anm.l.
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