meiner Jugendzeit konnte ich in meinem Hei matort Amreit im Mühlviertel - ein kleines Dorf mit elf Häusern (Nr. 11 war die zweiklassige Schule) - die ungebrochene Überlieferung noch miterleben. Verfremdende Einflüsse auf das ge wachsene Volksgut gab es damals noch wenige und die kamen etwa aus der Großstadt Wien, vorerst in Liedern und wohl auch in Tänzen. Da malige Modetänze, auch aus Nachbarstaaten und den übrigen Ländern Europas, wurden von der städtischen ,,Gesellschaft" aufgenommen und verbreiteten sich von dort in die Provinzen. Als Beispiel mag die ,,Mazurka" - ein polnischer Ge sellschaftstanz - dienen, die in kurzer Zeit in allen Gebieten Österreichs bekannt, zum Teil umge formt und den heimischen Formen und Weisen angepaßt wurde. Sie gilt heute allgemein als hei mischer Tanz. Teile der Mazurka sind auch in an dere Tänze eingegliedert oder als selbständige Rundtanzformen umgebildet worden, wie z. B. die 1973 von mir im oberen Mühlviertel aufge zeichnete „Flohbeutler-Mazurka". Wienerischer Einfluß ist auch anzunehmen, wenn in einem Mühlviertler Landler- dem ,,Arnreiter" - in einer Art Nach tanz mit Singen das Gsetzl vorkommt: Die Donau is ins Wasser gfalln, der Rheinstrom [auch Eisstoß] is verbrennt, da is da Wiener Stephansdom mit Stroh ins Loschen grennt. Zur Verbreitung und ,,Wanderung" von musi schem Volksgut hat auch das altösterreichische kaiserliche Heer bedeutend beigetragen. Waren doch die Wehrmänner aus allen Teilen Öster reichs in einer dreijährigen (früher sogar zwölf jährigen) Dienstzeit beisammen. Das ermöglichte einen regen Austausch. Alte Gewährsleute ha ben oft mitgeteilt, daß sie ,,bei den Kaiserlichen" - also in ihrer Soldatenzeit - Lieder und Tänze ge lernt hätten. Eine einfache Landlerform — im geraden Takt - aus dem oberen Mühl viertel, der ,,Kaiserlandler" (Rohrbach), hat seinen Namen nach Angabe des Musikanten Alois Krieg, vulgo „Irei", aus Hinteranger daher, „weil die Melodie kaiserlich sei" (einem militärischen Trompetensignal ähn lich, mit etwas veränderter Weise, aber gleichem Rhythmus). Das Volksgut in seinen verschiedenen Ausfor mungen entwickelte sich bis zum Ersten Welt krieg vorwiegend aus dem Volksleben selbst. Eine bewußte Pflege - von oben her - oder ge wollte Förderung gab es kaum, Einzelfälle ausge nommen. Wohl aber gab es Anlässe, die durch Lob und Anerkennung sängerischer, musikanti scher und tänzerischer Leistung durch hochge stellte Persönlichkeiten fördernd wirkten. Ein solcher war unter anderem auch das große Linzer Volksfest im Jahre 1833 anläßlich des Besuches und zu Ehren des Kaiserpaares. Es wurde von den oberösterreichischen Ständen veranstaltet. Man wollte dem Kaiser das heimische Volksleben zeigen: heimische Volkskunst, Tracht und die Vergnügungen des Volkes. Angeregt und geistig geleitet wurde das Fest von Anton Ritter von Spaun, einem der frühesten Volkstumsforscher unseres Landes. Er hat auch einen eingehenden Bericht über dieses Fest ge schrieben. Eine bemerkenswerte Tatsache sei hier angeführt; Spaun berichtete nämlich u. a., daß unter den Tänzern neun Tanzpaare aus Steinhaus bei Wels besonderen Gefallen fanden, sowohl in der Tracht, als auch durch ihre beson ders reiche und lebhafte Tanzform. Fast hundert Jahre später zeichnete ich den ,,Steinhauser Landler" auf, der ins Almtal,,eingewandert" war (1936) und der Beschreibung Spauns völlig ent spricht. Er ist überhaupt eine der bedeutendsten Formen des Landlers auch in seiner heutigen Form. Aus etwas späterer Zeit wird berichtet, daß eine ,,Rud" aus Sierning, die berühmte „Bachin ger", vor Kaiser Franz Joseph in Wien getanzt hat, vermutlich über Anregung des Steyrer Waf fenfabrikanten Josef Wemdl. Er war selber Land lertänzer und soll in Sierning beim ,,Landlerkirta" mitgetanzt haben. Es wird erzählt, daß Werndl die Bachinger-Rud zum Sierninger Landlerkirta im Landauer festlich abholen ließ. Solche Anerkennungen tragen wohl zum Festhalten al ter Überlieferungen bei. Die bedeutendste Hilfe am Festhalten überliefer ter Formen war (und ist) aber das Brauchtum. Musik, Tanz, Lied waren immer feste Bestand teile bei Festlichkeiten aUer Art. Bei grünen, silbernen und goldenen Hochzeiten waren die „Ehrentänze" mit dem Brautpaar und der Familie der Anfang des weltlichen Teiles der Hochzeitsfeier. Mit dem Tanz erfolgte die Verab schiedung von Eltern, Verwandten und Freun-
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