dieser Quelle aucii die Bevölkerungsentwicklung von Siedlungen abgeleitet werden. In den hochentwickelten Industrieländern der Erde ist im Laufe des vergangenen Jahrhunderts, vorwiegend aber in den letzten Jahrzehnten ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandlungspro zeß abgelaufen, der alle sozialen Schichten erfaßt hat und durch den Verhaltens-, Lebens- und Wirtschaftsweise der Bevölkerung grundlegend verändert wurden. Dieser Wandlungsprozeß mit seinen weitreichenden Folgen ergab sich aus dem Übergang von der Agrar- zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. In der Sozialgeogra phie wird dieser Prozeß, der sich in menschlichen Siedlungen raumwirksam ausprägt, als „Urbani sierung" bezeichnet (vgl. z. B. R. Paesler, 1976 oder 7. Maier et al., 1977, S. 101—103). Der Prozeß der Urbanisierung ist ein äußerst komplexer Vorgang, der sehr schwierig zu erfas sen oder zu „messen" ist. Er äußert sich etwa in einer immer differenzierter werdenden, ar beitsteiligen Wirtschaftsweise mit Marktorientie rung, in der Trennung von Wohn- und Arbeits platz, in einer starken beruflichen Spezialisie rung, in einer ausgeprägten sozialen Schichtung, hoher sozialer und räumlicher Mobilität oder in der wachsenden Bedeutung der Freizeit (J. Maier et al., 1977, S. 103). Man hat versucht, Ausmaß und Entwicklungsgang der Urbanisierung durch verschiedene Indikatoren zu erfassen. Unter einem Indikator wird in diesem Zusammenhang ein relativ einfach meßbarer oder bestimmbarer sozialer Parameter verstanden, mit dessen Hilfe man komplexere oder nicht unmittelbar und di rekt erfaßbare Aspekte der Raum- oder Sozial struktur ermitteln und interpretieren kann. Ein Indikator wird also gleichsam als „Stellvertreter" eines komplizierteren Prozesses oder Zustandes angesehen. Als Indikatoren für Urbanisierungs vorgänge werden zum Beispiel die Größe der Haushalte, die Anteile der Einpersonenhaushalte an Privathaushalten, die Geburtenquoten, der Stand der Infrastrukturausstattung von Woh nungen, der Anteil von Zweitwohnsitzen oder die räumliche Ausweitung von Aktionsreichwei ten angesehen. Selbstverständlich können ein zelne Indikatoren allein den sehr komplexen Ur banisierungsprozeß nicht hinreichend erfassen. Neuere Untersuchungen zu diesem Problem ver wenden zur Bestiirunung des Urbanisierungsgra des daher meist einen mehrdimensionalen Kom plex von Indikatoren (vgl. z. B. R. Paesler, 1976). Unter den verschiedenen Indikatoren für Urba nisierungsvorgänge nimmt der Faktor „Bevölke rungsentwicklung" eine besonders bedeutsame Stellung ein. Uberdurchschnittliche Bevölke rungszunahme einer Raumeinheit kann als Hin weis dafür angesehen werden, daß diese Einheit vom Urbanisierungsprozeß erfaßt wurde. Natür lich besitzt auch dieser Indikator für sidi allein genommen nur eine sehr beschränkte Aussage fähigkeit. Er bietet aber aus den bereits angedeu teten Gründen der Datenverfügbarkeit Interpretations- und Analysemöglichkeiten, die für an dere Indikatoren aufgrund der Datenlage nicht realisierbar sind. Da Bevölkerungszahlen und da mit Daten über die Bevölkerungsentwicklung für einen vergleichsweise sehr langen Zeitraum vor liegen, erlaubt dieser Parameter Rückschlüsse auf weiter zurückliegende Phasen des Urbanisie rungsprozesses. Da mit Hilfe der Ortsverzeich nisse auch die Bevölkerungsentwicklung von Siedlungen rekonstruiert werden kann, ermög licht dieser Indikator eine sehr feine regionale Differenzierung von Aussagen über den Urbani sierungsprozeß. Damit wird es möglich, Fragen des siedlungsspezifischen Ablaufes der Urbani sierung zu verfolgen. In den folgenden Überlegungen soll nun der Ver such unternommen werden, die Bevölkerungsent wicklung im Politischen Bezirk Kirchdorf an der Krems von 1869 bis 1971 in einer siedlungsdifferenzierten Betrachtungsweise darzustellen und zu analysieren. Dabei soll überprüft wer den, ob in unterschiedlichen Siedlungstypen si gnifikante Unterschiede der Bevölkerungsent wicklung festzustellen sind. Unter der Annahme, daß die Bevölkerungsentwicklung als aussage fähiger Indikator für Aspekte des Urbanisie rungsprozesses angesehen werden kann, soll da bei auch die Frage verfolgt werden, in welchem Ausmaß und in welcher zeitlichen Streuung auch kleinere Mittelpunktsiedlungen des Untersu chungsgebietes von diesem Prozeß erfaßt wurden. Abschließend soll versucht werden, eine Typisie rung der erfaßten Siedlungen nach dem Krite rium der Bevölkerungsentwicklung zu erstellen.
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