OÖ. Heimatblätter 1979, 33. Jahrgang, Heft 1/2

Zur Deutung der „Roten Kreuze' VonAlois Topitz Viele alte Wegkreuze heißen noch heute „Rotes Kreuz", nicht wenige „weißes Kreuz". Diese Erscheinung war lange viel zu wenig beachtet worden, bis der Steirer Dr. Hubert Stolla in nachdrücklicher Weise darauf aufmerksam ge macht hat'. Er zeigte nicht nur eine große Zahl Roter Kreuze in Österreich auf, er konnte auf solche Rote Kreuze bis in den Schwarzwald und den Taunus hinweisen, im Sudetenland, in Süd tirol, auch noch im Gebiet der Drau und in Ungarn. Doch erwiesen sich die daran geknüpf ten Sagen derart vielfältig, daß eine sinngemäße, gemeinsame Deutung nicht erkennbar war. Zum Geheimnis der Roten Kreuze konnte schon ein Jahr später, das ist 1978, ein Oberösterreicher, Dipl.-Ing. Ernst Pietz, eine ausführliche Ergän zung bringen^. Es hat nun den Anschein, daß eine Durchsicht der vier Bände „Weistümer Niederösterreichs"^ die Möglichkeit aufzeigt, es könnte sich bei der Benennung „Rotes Kreuz" um einen in früher Zeit allgemeinen Rechtsbrauch handeln. In den Weistümern erscheinen die Roten Kreuze immer wieder als die Orte an den Grenzen zum zustän digen Landgericht, wo die Übergabe jener Ver brecher stattfand, für deren Verurteilung wegen der Schwere (Mord, Diebstahl, Brandstiftung, Notzucht) der Landrichter zuständig war. Als Beispiel diene ein kleiner Auszug aus dem Banntaiding zu Klein Engersdorf und Hagen brunn von 1629. Da heißt es im Punkt 19; Ob ain todtschläger oder dieb in dem burgfridt . . . auf wahrer that alda betreten wirdt, so sei jeder ridrter auf seiner Herrschaft grünt . . . nadi dem schädlichen mann zu greifen fueg haben und . . . dem dorfrichter in seiner Verwahrung über antworten, wellicher den thäter wegen seines Verbrechens dem lantgericht Pisenberg . . . ankünden und entbieten, daß es sich desselben schädlichen mans gegen Erlegung von 72 pf. wegen des fürfangs nach dem dritten tag an dem altgewohnten ort bei dem rothen creutz underwinde. Ob das [gemeint ist das Landgericht, also der Landrichter] nun umb die bestimbte stunt nit käm, so soll man die malleflzperson über den dritten tag nit halten, sondern mit gürtel umbfangen an das bestimbte Orth bringen und sol der dorf richter dem lantgericht dreimal ruefen. Käm es über die drei ruef nit, soll der richter aldort ainen stocken in die ert schlagen lassen und den thäter mit einem zwiernsfaden daran hinten und mit seinen nachbarn wider nach haus gehen. Da sich nun derselbe abriß und darvon käm, so seint richter und nachbarschaft weder dem lantgericht noch iemants anderen darumb nichts schuldig. Da aber das lantgericht sich bei rechter weil imd zeit an dem gewöhnlichen ort finden ließ, so sol ime der dorfrichter gemelten thäter gegen erlegung von 72 pf. fürfang guetwillig erfolgen lassen. Im weiteren Text wird versichert, daß es seit Menschengedenken so gehandhabt worden sei und daß außerdem der Gerichtsdiener als seinen Teil 6 Schilling 2 Pfennig zu erhalten habe. Das Rote Kreuz wird also als der „altgewohnte Ort" der Übergabe bezeichnet. In vielen Weis tümern gibt es xücht nur ähnliche Schilderungen des Fürfangs, der dreitägigen Aufbewahrung und der weiteren Prozedur, es stimmen oft sogar die Wortlaute vollkommen überein. Kleinere Ab weichungen sind ganz unwesentlich. Manchmal wird angegeben, daß die Übergabe „zu der nonzeit" erfolgt- Im Weistum von Weidling (heute Klosterneuburg-Weidling) heißt es, der Dorfrichter soll dem Gericht zu Neimburg drei mal rufen. Der Richter von Neunburg soll dem Dorfrichter für den Fürfang 72 Pf. geben. Kommt er nicht, soll man den Verbrecher mit einem ruchhalm an den Stecken binden. In Kritzendorf sollte man dem Verbrecher mit einem ruchhalm beide Hände übereinander binden xmd ihn so stehen lassen. Im Banntaiding von Währing macht sich an scheinend die Nähe Wiens bemerkbar. Da heißt es: Wenn ein Verbrecher in das Aigen flüchtet, so soll man den Richter zu Wien verständigen, daß er kommt. Wenn aber der Richter nach der üblichen dreitägigen Verwahrung nicht kommt, soll man den Verbrecher mit einem Zwimfaden oder einem Halm von einem Schaub beim Kreuz auf dem Michelbeurn Grund an einen Stecken binden. Sowohl der Halm von einem Schaub wie der ruckhalm kehren immer wieder. Das Schaubstroh diente zum Dachdecken und bestand aus ausgesucht langen Halmen. Eine eindeutige Er klärung für den ruckhalm oder ruchhalm war ^ Hubert Stolla: Das Phänomen der „Roten Kreuze"; Blätter für Heimatkunde, 51. Jg., Graz 1977, Heft 3. * Ernst Pietz: Das Geheimnis der „Roten Kreuze"; Oö. Heimatblätter, 32. Jg. (1978), S. 38—45. ' Gustav Winter: Niederösterreichische Weisthümer, 4 Bde., 1896—1913. — In Oö. Weistümern war kein diesbezüglicher Hinweis zu finden; siehe: Oö. Weis tümer, 5. Teil, Registerband, Wien 1978.

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