Hitler war nadi dem Reichsparteitag 1935 fest entschlossen, die Euthanasiefrage im Falle eines Krieges durchzuführen, weil er der Meintmg war, „daß ein solches Problem im Krieg zunächst glat ter und leichter durchzuführen ist, da offenbare Widerstände, die von kirchlicher Seite zu erwar ten waren, in dem allgemeinen Kriegsgeschehen nicht diese Rolle spielen würden wie sonst''®. Vorerst hatten daher die Behinderten noch eine Gnadenfrist. Außerdem befürchtete Hitler von der Kirche noch zu viele Widerstände und Wir kung. Das Rundschreiben des Papstes „Mit bren nender Sorge..vom 4. 3. 1937 richtete sich daher auch mehr gegen die Machtansprüche des totalitären Staates, unterwarf aber auch seine Ideologie der mystischen Rassenverherrlichung einer scharfen Kritik. Nach den Ereignissen des März 1938 unterstand auch Österreich den Machthabern und Trägern dieser Ideologie. Immer klarer zeichnete sich der Beginn eines Krieges ab, der es Hitler ermög lichte, sein Vernichtungsprogramm durchzufüh ren. Es sollte vor der Öffentlichkeit möglichst verborgen bleiben. Nach dem Scheitern einiger Versuche, die ein geleitete Euthanasie-Aktion durch entsprechende gesetzliche Entwürfe in legale Bahnen zu lenken, verzichtete Hitler bewußt auf jede gesetzliche Re gelung. Die Euthanasie blieb daher nach den gel tenden Gesetzen bis zum Ende der NS-Herrschaft strafbar. Auf diese Tatsache stützten sich eine Reihe von Protesten gegen die Aktion in den Jahren 1940 und 1941; sie war aber auch wich tige Basis für die Verurteilung der Ärzte und Helfer nach 1945. Die Durchführung eines Programmes, das einer seits keine gesetzliche Grundlage hatte, anderer seits im Verborgenen realisiert werden sollte, konnte Hitler aber nicht einem normativ arbei tenden Staatsapparat überlassen. Es mußte von der außernormativ arbeitenden Exekutive durch geführt werden. Mit der Durchführung wurde die „Kanzlei des Führers der NSDAP" beauftragt. (Leiter: Ph. Bouhler). Dies war ein Parteiamt, dessen sich Hitler zur Erledigung seiner Privat angelegenheiten tmd der an ihn persönlich ge richteten Eingaben und Gesuche bediente. Bereits im Juli 1939 fand zum ersten Male eine Unterrichtung von Professoren, Psychiatern und anderen Fachleuten in der „Kanzlei des Führers" in Berlin statt, in welcher der SS-Führer Viktor Brack die Versammelten damit bekannt machte, daß die Absicht bestehe, tmter der Bezeichnung „Euthanasie" ein Programm durchzuführen, nach dem in ganz Deutschland Geisteskranke getötet werden sollten. Die Anwesenden wurden auf gefordert, an der Verwirklichung des Program mes mitzuarbeiten. Sie erklärten ihre Bereitschaft dazu, mit Ausnahme von Prof. Ewald aus Göt tingen, der ausdrücklich seine Ablehnung kxmdtat®. Ende Oktober 1939 unterzeichnete Hitler einen Erlaß (zurückdatiert auf den 1. September 1939), der nicht einmal der Form entsprach, wie sie für Führererlässe sonst üblich war. Dieser Erlaß wurde nur einem beschränkten Personenkreis zur Kenntnis gebracht und hatte daher keinen Ge setzescharakter. Er war daher nicht rechtsver bindlich, war auch vom geltenden positiven Recht her nicht gedeckt, doch unter den damaligen Be dingungen formell bindend. Erst im August 1940 wurde er unter erheblichen Erschwerungen dem Reichsministerium für Justiz als Fotokopie über mittelt. Dieser „Erlaß" hatte folgenden Wortlaut"^: „Reichsleiter Bouhler [Philipp Bouhler, Chef der Kanzlei des Führers, Anm. d. Verf.] und Dr. med. Br2indt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse nament lich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbaren Kranken bei kri tischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gna dentod gewährt werden kann." Zur Durchfühnmg dieses Euthanasieprogrammes, das die Tarnbezeichnimg „T 4" (nach der Zentrale in Berlin, „Tiergartenstraße 4") erhielt, gründeten Bouhler und sein Stellvertreter im Amte, Viktor Brack, drei Organisationen: 1. Die „Reichsarheitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten" zur Ermittlung der Kranken. Sie verschaffte durch Versendung und Bearbeitung ® Mitsdierlidi-Nlielke, a. a. O., S. 184. ® Mitsdierlidi-Mielke, a. a. O., S. 287; zitiert aus der Urteilsbegründung des Landesgerichtes Koblenz vom 29. Juli 1948 in der Strafsache gegen die Ärzte der Heilanstalt Andernach. ^ Mitsdierlidi-Mielke, a. a. O., S. 184. 47
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