OÖ. Heimatblätter 1978, 32. Jahrgang, Heft 1/2

Das Euthanasieproblem im Dritten Reich am Beispiel Schloß Hartheim (1938-1945)* Von Florian Zehethofer Mit 2 Textbildern Das Schloß Hartheim bei Alkoven und der Oberöster reichische Landeswohltätigkeitsverein — Der National sozialismus und das sogenannte „lebensunwerte" Leben — Das Schloß Hartheim als Euthanasie-Vollzugsanstalt — Das Schloß Hartheim als Massenvernidhtungsstätte im Rahmen der Aktion „14 f 13" DAS SCHLOSS HARTHEIM UND DER OBERÖSTER REICHISCHE LANDESWOHLTÄTIGKEITSVEREIN Das Schloß Hartheim ist ein „einheitlidier be merkenswerter Renaissancebau, Ende des 16. Jhs"^; nach der Gemeindechronik von Alko ven „das bedeutendste profane Baudenkmal der Renaissance in Oberösterreich". 1130 wurde es zum ersten Male urkxmdlich erwähnt, wechselte mehrmals den Besitzer (Hartheimer, Steinpecken, Kuefsteiner Thürheimer) und war ab 1793 im Besitz der Grafen bzw. Fürsten von Starhem berg. 1898: Camillo Fürst v. Starhemberg übergibt das Schloß anläßlich des Kaiserjubiläums an den Lan deswohltätigkeitsverein. Die Barmherzigen Schwestern übernehmen die Betreuimg Schwerst behinderter. Der Oö. Landeswohltätigkeitsverein wurde 1893 gegründet und war ab 1898 der Träger der Ein richtungen zur Betreuung Schwerstbehinderter im Schloß Hartheim. 1939 wurde der Verein auf gelöst und enteignet; das Schloß wurde 1940 „zu Fürsorgezwecken" dem Gau Oberdonau zur Ver waltung übergeben. Von Ostern 1940 bis Dezember 1944 war das Schloß Euthanasie-Vernichtungsstätte der SS. Im Mai 1948 konnte es dem reaktivierten Ober österreichischen Landeswohltätigkeitsverein zu rückgegeben werden. Seit 1951 dient es als Wohnobjekt. In seiner Nähe errichtete der Landeswohltätig keitsverein seit 1964 ein modernes Institut, in dem derzeit 200 schwerstbehinderte Kinder um fassend heilpädagogisch betreut werden. DER NATIONALSOZIALISMUS UND DAS SOGE NANNTE „LEBENSUNWERTE" LEBEN Die Vorgänge im Schloß Hartheim sind letztes Glied und Auswirkung einer Ideologie, die „in Fortführung sozialdarwinistischer Theorien das soziale, ja letztlich das nationale Nützlichkeits prinzip zum Wertmaßstab des Menschen er hebt .. ."2 Die Pflege eines mystischen Deutschtums, ja die Züchtimg einer Elite, „eines Ordens guten Blu tes" (Reichsführer SS Himmler) gehörte zum zentralen Gedankengut des Nationalsozialismus. Gruppen, die nicht diesen Zielvorstellungen ent sprachen, mußten damit rechnen, von den Machthabern als minderwertig abgestempelt und ver nichtet zu werden. Im „Lehrplan des SS-Hauptamtes für die welt anschauliche Erziehung in der SS und in der Polizei''^ heißt es: „Es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn in einem Staate das Verhältnis zwischen den Schaffenden tmd den Kran ken ungesunde Formen annimmt. Für Schwachsinnige, Sittlichkeitsverbrecher, Gemeinschaftsunfähige (Asoziale) muß das Volk an Kräften und Mitteln viel aufwenden. Durch die Ausschaltung dieser Träger faulen Erbgutes können gewaltige Stunmen erspart und anderen Zwecken nutzbar gemacht werden . . . Jedes Naturvolk merzt in richtiger Erkenntnis das Minderwertige aus. Bei den sogenannten ,Kulturvölkern' hat eine falsche Nächsten liebe, vor allem von kirchlichen Kreisen in die breite Masse getragen, eine Gegenauslese geradezu geför dert . . ." Ähnliche Gedanken wurden schon 1920 von Pro fessor Karl Binding und dem Psychiater Alfred Hoche in ihrer Schrift „Die Freigabe der Vernich tung lebensunwerten Lebens — ihr Maß und ihre Form" vertreten. Mit der Übernahme der Macht im Jänner 1933 setzte Hitler bald die ersten gesetzlichen Schritte, um diese Ideen zu verwirklichen. Am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkran ken Nachwuchses''^ verkündet. Dieses Gesetz war der Ausgangspunkt für eine Entwicklung, die später zum zwangsweisen „Gnadentod" zehntausender Behinderter in ganz Europa führte. *) Verfaßt im Rahmen der 2. Diplomprüfung aus Sozio logie am Institut für Neuere Geschichte und Zeit geschichte (Vorstand: o. Univ.-Prof. Dr. Karl R. Stad ler) an der Universität Linz. — Zur Veröffentlichung gekürzt. 1 Dehio, Handbuch Oberösterreich, Erwin Hainisch, drit te Aufl., Wien 1958. — Norbert Grabherr: Burgen und Schlösser in Oberösterreich, 3. Aufl., Linz 1976, S. 35 f. 2 Helmut Krausnick, Anatomie des SS-Staates, 2. Bd., Deutscher Taschenbuchverlag, München, 1967, S. 252. ^ Ebenda, S. 252. * Alexander Mitscherlich und Fred Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärztepro zesses, Fischer-Bücherei, Frankfurt/M. 1962, S. 183. 46

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