OÖ. Heimatblätter 1978, 32. Jahrgang, Heft 1/2

er eines Tages nichts erlegt hatte und zum Roten Kreuz kam, schoß er in seiner Wut einen Pfeil auf den Gekreuzigten und schrie: „Du Hund, deinetwegen habe ich heute nichts erlegt. Ich will doch sehen, ob ich dich nicht treffe!'' Der Pfeil des Ritters verfehlte sein Ziel nicht. So gleich ging ein fürchterlicher Sturm über den Forst und die Burg. Als der Ritter in den Burg hof ritt, wurde ihm die Nachricht übermittelt, seine Frau sei soeben von einem Mädchen ent bunden worden, das einen Hundekopf und Hundepfoten habe. Der Ritter verließ die Burg und niemand sah ihn jemals wieder. Das un glückliche Mädchen wurde an einer silbernen Kette gehalten und durfte nur in einem nach Siditenberg führenden unterirdischen Gang spa zieren gehen. In der Schallaburg erinnert heute noch eine Terrakottafigur, ein Mädchen mit Hun degesicht und Hundepfoten, an die schaurige Be gebenheit^®. Auf dem Hühnerberg nordwestlich Baden bei Wien steht ein Rotes Kreuz, von dem die Sage berichtet, daß in dem von wilden Tieren, Bären, Wölfen und Füchsen wimmelnden Wald auch ein greulicher Totenbaum stand, dessen knorrige Äste statt der Eicheln Totenschädel trugen. Der Stamm hatte die Gestalt eines Riesen, der mit seinen großen Augen alle Menschenkinder in Schrecken versetzte. Als nun Kaiser Karl der Große auf seinem Zug gegen die Awaren audi nadi Baden kam tmd seine Krieger die wilden Bestien vertrieben, ließ er die Menschenschädel abnehmen und ehrlich begraben. Seine Krieger aber schlugen aus Zorn über die Gottlosen, die bei diesem Baum Menschen geopfert hatten, der Göttergestalt die roten Glasaugen aus. Zum An denken an die Heidenmorde ließ der Kaiser in dem Stamm ein großes Kreuz ausschlagen, und der Baum grünte wieder. Die Krieger bemalten das in den Stamm geschlagene Kreuz mit roter Farbe^®. Das Rote Kreuz am Rohrberg, südöstlich von Sulz im Wienerwald, soll daran erinnern, daß die Türken dort einen Ritter zu Tode geschleift haben^®. * Was besagen mm all diese Geschichten? Vor allem ist zu entnehmen, daß die Gründungs zeit der Roten Kreuze endgültig vorüber ist. Es werden nur noch alte, baufällig gewordene Kreu ze erneuert und durch wetterbeständiges Mate rial ersetzt. Eine exakte Zeitbestimmung aller Roten Kreuze ist nach den Sagen nicht möglich, aber da weder Fruchtbarkeitszauber noch Abwehrzauber noch die Wilde Jagd noch die blutigen Opfer Glau benselemente der christlichen Lehre sind, kann gefolgert werden, daß bestimmte farbige Kreuze bereits vor der Bekehrungszeit bestanden haben müssen, allerdings nicht gekennzeichnet durch das Kreuzsymbol, sondern durch das alte Mal zeichen. Den interessantesten Beweis dürfte der Steinpfahl in der Aspacher Rote-Kreuz-Kapelle liefern. Bei der Suche nach dem Sinn der Roten Kreuze tauchte nämlich der Gedanke auf, daß die rote Farbe bei den Roten Kreuzen keine primäre Begründung haben dürfte. Die Etymologin und Heimatforscherin Frau SR. Berta Runge in Irdning hat in einer englischen Abhandlung über Carnac und Stonehenge festgestellt, daß die dortigen Vermessungen in „rods" erfolgten. Nun ist „rod" ein in England noch heute gültiges Längenmaß. 1 Rod = 5,5 Yards = 198 Zoll = 16,5 Fuß = 5,029 Meter. Dieser Umstand brach te Frau Runge auf den Gedanken, daß man in der Christianisierungszeit wohl mit Bedacht auf kultische Gründe für das Kreuz Christi — das Kruzifix — nicht das allgemeine Wort „cross", sondern das mythologisch bedeutsame indoger manische Wort „rood" wählte, was Rute, Meß pfahl und Kultpfahl bedeutet-^. Im Kult der Nordleute, der Atlanter, fand die uralte Vorstellung von der Weltsäule um 1200 V. Chr. ihren vorbildlichen Ausdruck in der Irminsul. Diese Säule aus Bernstein stand in der Mitte der Insel Basilea, der Hauptstadt der Atlanter. Dort wurde alle fünf, abwechselnd sechs Jahre ein Stier geschlachtet, so daß sein Blut die Säule überströmte^^. Ein ähnlicher Vor gang vollzog sich auch beim Raumberger Roten Kreuz. Ebenda, S. 77. Callianö Gustav, Gesdiidite Badens, 1921, S. 177 £f. 20 Wie Anm. 12, S. 80. 21 Ebenda, S. 87 £f. 22 Spannuth Jürgen, Atlantis, Tübingen 1965, S. 446 bis 452. 43

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