bar. Nur enthalten die Grazer Rezepte kein Mehl, was auf die damals noch gelegentlich geübte Verschleierungstechnik der Kochbuchautoren hin weisen könnte oder aber auf barocke Usancen von Großmannssucht, nach denen möglichst Teu res und Ausländisches, nicht aber Billiges und Heimisches, wie etwa Mehl, verwendet wurde. Die Grazer Torten weisen zum Unterschied von der heutigen Linzer Torte eine Zuckerglasur auf, die auch im ersten veröffentlichten Linzer Tor tenrezept im Kochbuch Conrad Haggers auf scheint. Dieses Rezept enthält auffällig wenig Mandeln: auf 70 dkg Mehl nur 14 dkg Mandeln. Auch Zucker ist nicht im Überfluß, nämlich 28 dkg. Es könnte sein, daß gerade darin ein Hinweis auf eine bürgerliche, ökonomische Küche der am Handel verdienenden Stadt Linz zu sehen ist, auf eine gute Speise, die aber doch den sünd teuren Preisen für Zucker und Mandeln Rech nung trug. War doch damals Zucker achtzehnmal teurer als Rindfleisch. Mandeln neunmal so teuerL so daß nur die allerhöchsten Kreise sie sich leisten konnten. Die barocke Geschmacksdominante von Zimt, Zucker, Nelke, Muskat, Ingwer herrschte nicht nur bei Gebäcken, sie war selbst bei Fleisch- und Fischspeisen — freilich in anderen Dosierungen — üblich. Auch die Vorliebe für Säuerliches war für die Barockzeit signifikant. Denn während sü ßes Obst kaum eingesetzt wurde, galten Zitro nen, Weichsein, Ribisel und unreife Orangen als beliebte Beigaben. Diese Vorliebe für „Gschmakkiges" und Würziges mag auch im Bestreben an einer gewissen Diät zur besseren Bekömm lichkeit der stark fetthältigen Speisen begründet gewesen sein. In diesem Streben nach einem har monischen Abstimmen der Ingredienzien zeich nen sich uralte Gesundheitsregeln ab. Sie gehen noch auf den römischen Arzt und Philosophen Galenus und sein Werk „Die Kräfte der Nah rungsmittel" (182 n. Chr.) zurück, ja auf die Säfte lehre des Polybos, Schwiegersohn des berühmten Hypokrates (5. Jh. v. Chr.)®. Von der Antike bis in die Barockzeit wurden sie noch beherzigt. Erst als im Rokoko der Maßstab für natürliches Empfinden verlorenging — man denke an die un natürliche Mode —, gerieten auch in einer unna türlichen Sucht nach Raffinesse und Geschmacks verfeinerung die alten Diätvorschriften in Ver gessenheit. Die Linzer Torte besitzt sie noch, ja sie unterliegt darüber hinaus durch ihre Berei tungsart der Selbstkontrolle. Bekanntlich gibt es nicht „das" Rezept der Linzer Torte, sondern mehrere Varianten des sogenann ten Linzerteiges. Auch in den Kochbüchern schei nen Varianten des „braunen" (mit Zimt, Gewür zen und ungeschälten Mandeln) gebröselten und des „gerührten" Teiges auf. Manche Anleitungen verlangen hartgekochte Eier, andere rohe. Das Gelingen hängt auch vom langsamen Backen ab und der Art, wie die Mandeln aufbereitet sind. Käme unverhältnismäßig viel Fettstoff in den Teig, würde er beim Backen ausrinnen. Als Ge genbeispiel seien Schlagobers- und Buttercreme füllungen erwähnt, die so üppig als man wollte eingestrichen werden können. Im folgenden seien einige Rezepte aus dem be rühmten Linzer Kochbuch® (siehe Textbild: Titel blatt der 18. Auflage aus dem Jahre 1855) ver raten sowie das Originalrezept des Konditormei sters Joseph Reisinger aus Vöcklabruck. Alles, was er über Rezepte verriet, war, daß er stets nur Butter, nie Margarine, und frische Eier sowie trocken gelagertes Mehl verwendete. Ansonsten gab er nie ein Rezept preis, das er in seinem ge heimnisvoll verschlüsselten Rezeptbuch eingetra gen hatte. Leider wurde es nach seinem Tode weggeworfen, da der Entschlüsselungscode nir gends gefunden wurde. Sein Sohn Norbert, eben falls Konditor, der bei ihm gelernt hatte, merkte sich die Rezepte jedoch auswendig. Zum Dank für lange gewährte Gastfreundschaft während seiner arbeitslosen Zeit, schrieb er meiner Mutter das folgende Rezept in ihr Kochbuch und berei tete ihr eine köstliche Linzer Torte. Nicht lange darauf verunglückte er tödlich (1938). Seit der Gründerzeit wurde der Linzer Torte auch noch geriebene Schokolade beigemengt. In den Krisen- und Kriegsjahren sollte die Beimischung von Backpulver die Einsparung von Fettstoff kompensieren. Anstelle der Mandeln gab man ' Fritz Popelka, Geschichte der Stadt Graz, II. Bd. S. 382. ® H. Wiswe, a. a. O., S. 59. ' Maria ElisabethaMeizner, geb. Niederederin: Das neue, große, geprüfte und bewährte Linzer Kochbuch in zehn Abschnitten, Linz 1804 und viele weitere Auflagen.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2