Des ersten Linzer Bischofs erster Hirtenbrief (1785) Von Manfred Brandl Peter Hersche hat in jüngster Zeit der Tatsache Rechnung getragen, daß die josephinische Zeit, insbesondere die Zeit der vehementesten Re formmaßnahmen des Kaisers Joseph II. mit 1782 als Höhepunkt, den bischöflichen Hirtenschreiben besondere Bedeutung beimaßt. Da gab es ja auf der einen Seite Bischöfe nach der alten Fasson, die den vielfältigen Reformmaßnahmen des Wie ner Hofes offeneren oder versteckteren Wider stand entgegensetzten; da gab es auf der anderen Seite jene „aufgeklärten" Bischöfe, die sich als Sprachrohr der staatlichen Maßnahmen bereit willig in den Dienst des Staatskirchentums stell ten. Die schriftstellernde Öffentlichkeit, welche in Zeitungen und gelehrten Organen einzelne Hir tenbriefe rezensierte, reagierte auf sie mit Lob und Tadel. Einige Hirtenbriefe sind regelrecht berühmt geworden: der von Johann Michael Bönike verfaßte Salzburger Hirtenbrief Hiero nymus' von Colloredo von 1782, der von Johann Leopold von Hay, dem Königgrätzer Bischof, über die Toleranz (1782), und jener vom Lai bacher Bischof Karl Johann Graf von Herberstein aus dem selben Jahr, welcher weite Verbreitung fand^. Als der erste Linzer Bischof, Ernest Johann Nepomuk Graf von Herberstein (1731—1788), bald nach Antritt der Regierung der Diözese, und zwar unter dem 1. September 1785, einen Hir tenbrief veröffentlichte®, geriet er ebenfalls ins Schußfeld der Kritik. Mathias Hiptmair hat ge nau hundert Jahre später in seiner „Geschichte des Bisthums Linz"^ den Hirtenbrief kurz be rührt und ihn für gänzlich josephinisch erklärt; er war ihm deutlich unsympathisch. Auch Josef Felderer® sieht ihn einfach als josephinisches Geistesprodukt. Aber einige Josephiner sahen ihn anders. Das Hirtenwort, lediglich an den Klerus seiner neuen Diözese gerichtet, sucht diesem seine Stan despflichten einzuschärfen. Behutsam staatskirch lich gefärbt, ist eigentlich nichts Anstößiges aus der Sicht des damaligen Josephiners drin, aber auch der Konservative konnte damit zufrieden sein. Weiterbildung in wissenschaftlicher Sicht, frommer, erbaulicher Lebenswandel, peinliche Einhaltung der Berufspflichten, auch, wie üblich, Berücksichtigung der sozialen Stellung, Gehor sam dem Bischof und den landesfürstlichen Ge setzen gegenüber, das macht den Hauptinhalt des Schreibens aus, dem der Josephiner höch stens eines vorwerfen koimte, daß es nicht ir gendeines der aktuellen Themen — besonders die Toleranz — aufgegriffen und propagandistisch ' Peter Hersche (Hg.), Der aufgeklärte Reformkatholi zismus in Österreich. Hirtenbriefe 1752—82. Bern 1976 (= Quellen zur neueren Geschichte 33). ^ Auf Belege zu den genannten Bischöfen wird hier ver zichtet. Wichtig für die behandelte Zeit Peter Hersche, Der Spätjansenismus in Österreich. Wien 1977 (= Ver öffentlichungen der Kommission für Geschichte Öster reichs, Bd. 7). — In Bälde erscheint Manfred Brandl, Die deutsche katholische Theologie der Neuzeit (vor mals Hugo Hurter, Nomenciator litterarius theologiae catholicae), Bd. II: Aufklärungszeit. Salzburg 1978. (Der Umfang des genannten Hurterschen Werkes — die gesamte Geschichte christlicher bzw. katholischer Theologie — wird sich nach dem gegenwärtigen Stand der Arbeit nicht einhalten lassen; deshalb die Be schränkung auf die deutsche Neuzeit). ® Hirtenbrief des Ersten Bischofs zu Linz . . . Vom 1. September 1785. (Wien:) Trattner 1785, 47 pp. — Expl. Wien Stadtbibl. A 88964; Linz Bibl. der Philos.- Theol. Hochschule VII 910 (dzt. nicht auffindbar); Titel bei Ferdinand Wernigg, Bibliographie österreichischer Drucke 1781—1795, Wien-München 1973 (= Veröffent lichungen aus der Wiener Stadtbibl. 4. Folge) Nr. 3015, dort fälschlich dem zweiten Bischof J. A. Gall zu geschrieben. — „Die merkwürdigste Neuigkeit in Linz beym Abgange unsrer jüngsten Briefe aus jener Hauptstadt war der Hirtenbrief des dortigen H. Bi schofs (datirt vom 1. Herbstm. 1785, und 47 SS in 8 stark) wovon wir schon Nro. 31 S. 269 eine Vormuthung hatten, und nächstens ausführlicher handeln werden. Aber noch merkwürdiger ist es, daß sogleich, wie der Hirtenbrief in Wien bekannt zu werden anfieng, sich auch in der nämlichen Zeit das Gerücht allgemein verbreitet habe, daß er ohne vorläufigem landesfürstlichen Placet in Druck gegeben worden sey. Es wäre doch auch viel, wenn man bischöflicher Seite dasselbe anzusuchen unterlassen hätte ... Und endlich ist der H. Bischof zu Linz nicht von einer solchen Seite bekannt, daß man von ihm glauben könnte, er habe sich bedächtlich über Gesetze hinwegsetzen, und mit eigenmächtiger Bekanntmachung seines Hirten briefes den ersten Versuch zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit vom Staate machen sollen. — Den eigentlichen Hergang dieser Sache muß die Zeit bald aufdecken." In: Wienerische Kirchenzeitung Nr. 1 V. 7. 1. 1786, S. 12. * Mathias Hiptmair, Geschichte des Bisthums Linz, Linz 1885, S. 56 f. ^ Josef Felderer, Der Kirchenbegriff in den Flugschriften des josefinischen Jahrzehnts, in: Zeitschrift f. kathol. Theologie, 75. Bd., Innsbruck 1953, S. 261, 273 f.
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