Ich fasse wieder zusanunen: Wir haben gesehen, daß die Kreativität, weil sie kompromißfähig rmd damit auch kompromißbereit macht, eine essen tielle Grundlage der Demokratie darstellt und daß die Demokratie wiederum die Freiheits räume bietet, die zur Entwicklung der Kreativität nötig sind. Kreativität ist also, bildhaft gespro chen, der Boden, auf dem der Baum „Demo kratie" gedeiht, unter dessen breiter Krone der wohltuende Schatten „Freiheit" liegt und unter dessen Blättern, die Kompromisse, durch ihr na türliches, im jahreszeitlichen Wechsel erfolgen des Abfallen dem Boden der Kreativität wieder neue Nahrung zuführen. Diesem ersten Schritt in meinen Ausführungen, der die Verbindung hergestellt hat zwischen der Demokratie und der Kreativität, soll nun ein zweiter folgen, der vom Musischen zur Kreativi tät führt. Vielfach wird das Musische gesehen als etwas, das die Freizeit des Menschen erfüllt und zu verschönern imstande ist, als etwas Schönes, Liebenswertes, das zwar angenehm, aber nicht zwingend nötig sei, für das man Zeit haben sollte, aber leider habe man sie nicht. Diese Ansicht über das Musische ist historisch begründet*. Sie wird verständlich, wenn man die Herkimft der „Musischen Bewegung" aus der Jugendbewegung und der Kultursituation um 1900 bedenkt. Die Hauptschwierigkeit des Musi schen liegt auch in der andauernden Identifika tion des Musischen mit dieser Herkunft. Da durch hat es weithin den Anschluß an die Reali tät verloren. Die zur Zeit der Entstehung viel leicht fruchtbare Ausgangssituation wurde von den Kräften des gegenwärtigen Lebens nicht weiterentwickelt, denn die aus der Jugendbewe gung hervorgegangene musische Bewegung in Deutschland weicht dem Spannungsverhältnis mit der Realität bewußt aus um ihrer selbst wil len; sie flieht gleichsam in die Wälder, um sich dort vor den Unbillen des Lebens in eine heile Scheinwelt zurückzuziehen. Es gilt also, dem Musischen eine neue, realitätsbezogene Basis zu geben. Unsere Thematik erfordert die Darstellung der Funktion des Musischen in der Demokratie. Die Ansicht, das Musische sei eben lebensverschö nernde Freizeiterfüllung, stimmt ebensowenig wie die sich anbietende und vielfach auch auf gestellte Gleichung musisch = kreativ. Nein, so einfach ist die Frage nach dem Stellen wert des Musischen in der Demokratie nicht zu lösen. Wenn auch sicher ein Zusammenhang zwi schen dem Musischen und der Kreativität be steht. Ich setze daher auch wieder bei der Krea tivität an. Der Beginn der Kreativitätsforschung wird über wiegend mit Guilfords Vortrag „Creativity" vor der American Psychological Association im Jahr 1950 angesetzt. Die hervorragende Stellung Guilfords in der Kreativitätsforschung beruht aber nicht nur darauf, daß er ihr Auslöser war, sondern besonders darauf, daß er um eine Systematisierimg der intellektuellen Fähigkeiten be müht war, die die kreativen Fähigkeiten beson ders herausstellte. Die Kreativität stand also vom Beginn der Kreativitätsforschung an in engem Zusammengang mit der Intelligenz. Gisela Ul mann®, die eine Fülle von verschiedenen ameri kanischen Arbeiten zur Kreativitätsforschung re feriert, sagt in bezug auf verschiedene Intelli genz- und Kreativitätstests, „daß die Definitio nen der Intelligenz und der Kreativität weit gehend übereinstimmen, daß aber die Tests zur Messung der Intelligenz und der Kreativität ganz verschiedene Faktoren zu erfassen scheinen". Sie vermerkt dann auch noch, daß die Beziehung zwischen Kreativität und Intelligenz von den ver wendeten Tests abhängt. Man hat Vergleiche zwischen dem Intelligenzquotienten und den Er gebnissen von Kreativitätstests angestellt und kam dabei zu den widersprüchlichsten Ergebnis sen. So konnte man erkennen, daß jede Kom bination zwischen Intelligenz und Kreativität möglich ist: sehr intelligent und sehr kreativ sehr intelligent und nicht kreativ * Vgl. Gunter, Otto: Die Theorie der musischen Bildung und ihr Verhältnis zur Realität, in: Norbert Kluge (Hrsg.), Vom Geist musischer Erziehung, Darmstadt 1973, S. 232—246. 5 Ulmann, a.a.O., S. 108.
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