OÖ. Heimatblätter 1977, 31. Jahrgang, Heft 3/4

rung der Shawschen Definition, Demokratie als Verfahren, das die Regierung dem Willen des Volkes anpaßt, so ist das Recht der freien Mei nungsäußerung zwar nötig, um den Willen des Volkes zu artikulieren und daher wichtigstes Attribut der Demokratie, aber nicht das Wesent liche schlechthin. Das Wesentliche ist aber wohl, daß der Wille des Volkes geschieht. Dieser Wille des Volkes aber zeigt sich erst einmal in einer Fülle von verschiedenen, einander überschnei denden rmd überlappenden, vielleicht sogar ent gegenstehenden Meinungen, aus denen erst in einem längeren Prozeß ein Wille des Volkes herausdestilliert wird, der im Konsens möglichst vieler, ideal wäre aller, besteht. Der so gewon nene Wille des Volkes wird in der Regel immer ein Kompromiß sein. Ich bin daher der Ansicht, daß das Wesen der Demokratie der Kompromiß ist. Das klingt vielleicht überraschend, erschrekkend aber nur für den, der an faule Kompro misse denkt. Was ist derm ein Kompromiß? In der Brockhaus-Enzyklopädie von 1970 ist zu lesen: Kompromiß (lat.), der oder das, Übereinkunft, Aus gleich, Vergleich. Im Leben der einzelnen und der Völker dienen Kompromisse zum friedlichen Ausgleich von Ge gensätzen. Gegenüber von Fanatismus und Interessen wahrung versuchen Kompromisse einen „modus vivendi" zu schaffen. Während faule Kompromisse die fort dauernde Spannung überdecken und Entscheidungen nur verschieben, schaffen echte Kompromisse durch beider seitiges Nachgeben eine Befriedung. Die meisten Grup penbildungen beruhen auf Kompromißbereitschaft, die auch bei starken Spannungen noch die Grundlage für einen Interessenausgleich zu gewinnen weiß. Kompromiß ist also keineswegs ein negativer Begriff, auch kein wertfreier. Kompromiß ist, bezogen auf das Zusammenleben der Menschen, zweifellos ein Wert. Wenn man den Kompro miß als ihr Wesen bezeichnet, so ist das für man che Demokratie und für manche demokratische Entscheidung geradezu ein Kompliment. Jeden falls muß aber in diesem Zusammenhang etwas klar herausgestellt werden: eine Entscheidung, der nicht die eifrige Suche nach einem Kompro miß vorausgegangen ist und die nicht auf einem Konsens beruht, der wenigstens über die eigene Interessengruppe hinausgeht, verdient in meinen Augen nicht das Attribut „demokratisch". Damit eine Demokratie bestehen kann, bedarf sie also kompromißfähiger und kompromißberei ter Bürger. Je kompromißfähiger und kompro mißbereiter die Bürger eines demokratischen Gemeinwesens sind, umso gesicherter ist dessen Bestand von innen her. (Angriffe von außen wollen wir aus unseren Überlegungen ausklam mern, denn Streit oder Krieg gehören schließ lich nicht zum Normalfall.) Die Frage, die sich nun stellt, heißt: Was macht kompromißfähig und kompromißbereit? Was be fähigt dazu, Kompromisse zu finden und gleich zeitig zu akzeptieren? Dazu muß festgestellt werden, daß die Fähigkeit, Kompromisse zu fin den, Kompromißbereitschaft impliziert, derm die Suche nach einem Kompromiß setzt ja schon voraus, daß man auch selbst zur Nachgiebigkeit bereit ist. Was also macht kompromißfähig? Dazu ist aber vorher noch wichtig zu klären: Wie kommt es zu einem Kompromiß, wie ent steht er? Man kann dabei vier Schritte unterscheiden. Im ersten Schritt werden die verschiedenen Stand punkte klargelegt, in einem zweiten Schritt wer den Lösungen gesucht, ein dritter Schritt bringt eine Lösung, die in einem vierten Schritt auf ihre Brauchbarkeit überprüft wird. Bringt dieser vierte Schritt ein negatives Urteil, so beginnt der Prozeß wieder bei Schritt zwei. Die genarmten Schritte gleichen aber den vier Phasen eines kreativen Prozesses, die Erika Landau in ihrer Psychologie der Kreativität anführt^: Vorbereitungs-, Inkubations-, Illuminations- rmd Verifi kationsphase. Das ist ja auch gar nicht weiter verwunderlich, denn der Prozeß der Kompromißfindung ist ein kreativer Akt, imd die Phasen eines kreativen Aktes müssen daher in der Kompromißfindung aufzuspüren sein. Und da Kompromisse das Wesen der Demokratie aus machen, bedarf die Demokratie der Kreativität ihrer Bürger, um überhaupt auf die Dauer be stehen zu köimen. 1 Landau, Erika: Psychologie der Kreativität, 2. Aufl., München-Basel 1971, S. 61.

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