Der Stellenwert des Musischen in einer demokratischen Gesellschaft Von Helmut Z ö p f I Dieses Referat soll dem Spielgruppentreffen mit seinen Aufführungen, seinen Diskussionen, Fachreferaten und seinem Erfahrungsaustausch einen weiten ideellen Rahmen geben und auch bei der Beantwortung der Frage helfen, ob denn eine Beschäftigung mit angeblich so nutzlosen Dingen wie dem Amateurtheater heute über haupt noch zulässig sei, wo man doch dem Berufstheater ohnehin Millionen zuwende. Ich habe dieses Thema aus einigen Gründen gerne übernommen: Einerseits fühle ich mich durch eine langjährige künstlerische Ausbildung und durch eine fast ebensolange Tätigkeit im Amateurtheater dem Musischen eng verbunden, andererseits bin ich Demokrat aus Überzeugxmg. Die Bindung zum Musischen wurde durch eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Theater nur noch verstärkt, während mein Beruf als Rhetoriker mich wieder besonders zur demokra tischen Gesellschaftsform hin orientiert hat, stellt doch die Rhetorik das wesentlichste Arbeits instrument in einer Demokratie dar. Sowohl dem Musischen als auch der Demokratie bin ich daher persönlich, beruflich und wissen schaftlich aufs engste verbunden. Darüber hinaus ist mir dieses Thema zum Her zensanliegen geworden. Ich glaube nämlich, daß die Beziehung, die zwischen der Demokratie und dem Musischen besteht, wenn überhaupt, dann nicht richtig und sicher nicht mit dem nötigen Gewicht gesehen wird. Meine Ausführungen haben das Ziel, diese Be ziehung zwischen der Demokratie und dem Mu sischen in ihrer Wertigkeit aufzuzeigen und zu begründen. Von der Demokratie hat Winston Churchill zwar gesagt, sie sei die schlechteste Staatsform... ausgenommen alle übrigen. Dem steht aber ein sehr bemerkenswerter Ausspruch des genialen Spötters Bernard Shaw gegenüber, der einmal sagte: „Die Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, daß wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen." Trotz allem innewohnen den Spott scheint mir dieser Ausspruch eine der besten Definitionen des Begriffes „Demokratie" zu sein. Filtriert man die in der Negation lie gende Ironie heraus, so könnte man etwa über setzen: Demokratie ist das Verfahren, das die Regierung dem Willen des Volkes anpaßt. Und damit entspricht das demokratische Gesell schaftssystem auch dem, was es wörtlich heißt, nämlich Volksherrschaft. Nach meiner Meinrmg ist die Demokratie die einzige menschenwürdige Gesellschaftsform, weil sie vom System her die Freiheit des Menschen garantiert. Diese Freiheit ist das signifikante Merkmal des Menschen, das ihn von allen übri gen Geschöpfen der Welt unterscheidet und ihn zum Ebenbild des Schöpfers macht. Alle übrigen Geschöpfe, Pflanzen und Tierg, sie sind pro grammiert und ihr Tun erfolgt instinktiv, der Mensch aber ist, wie Herder es in seiner Preis schrift „Über den Ursprung der Sprache" aus drückt, der erste „Freigelassene der Schöpfung". Ein menschenwürdiges Leben kann daher nur in Freiheit erfolgen; nur ein Gesellschaftssystem, das dem Menschen die ihm gemäße Freiheit ge währt, ist menschenwürdig. Und ich weiß derzeit kein anderes Gesellschaftssystem, das dieser Grundvoraussetzung besser entspräche als eben die Demokratie. Ich halte daher fest: Die Demokratie ist die ein zige Gesellschaftsform, die dem Menschen als freies Geschöpf — als Ebenbild des Schöpfers — gemäß ist. Sie ist daher auch für die Existenz des Menschen in Gemeinschaft als bewußtes freies Wesen unentbehrlich. Darum ist auch jede ehrliche Anstrengung, die der Sicherung und Vervollkommnung der Demokratie in Wahrheit dient, verdienstvoll. Fragt man heute jcmge Leute, was sie als das Wesentlichste in der Demokratie ansehen, so bekommt man häufig zur Antwort: „Daß man alles frei sagen kann!" Es ist für den Rhetoriker interessant, daß der Mensch sich dann offenbar frei fühlt, wenn er seine Sprache frei einsetzen darf. Der Mensch identifiziert sich also mit der Sprache und setzt freie Meinungsäußerimg gleich mit Freiheit. Mir scheint es aber doch noch zu oberflächlich, das Recht der freien Meinungsäußerung als das Wesentliche der Demokratie zu bezeichnen. Er innern wir uns zurück an die positive Umkeh- * Festreferat anläßlich der Eröffnung des Spielgruppen treffens „Amateurtheater im ländlichen Raum" am 18. Mai 1977 im Festsaal des Landeskulturzentrums Ursulinenhof.
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