Das Werk des bekannten englischen Historikers F. L. Carsten, „Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler"' zeigt hinter einem verallgemeinernden Titel eine ebenso differenzierte wie sorgsam abwägende Darstellung der Heimwehrbewegung, des „völkischen Lagers", des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes und des österreichischen Nationalsozialismus und ihrer Vorläu fer. Die Arbeit leidet natürlich darunter, daß der Links radikalismus der Jahre nach 1918 nicht behandelt und nur gelegentlich angedeutet wird und daß auch der Widerstand wesentlicher Teile der Christlichsozialen Partei gegen Heimwehr und autoritäre Entwicklung nur sehr gelegentlich vermerkt wird. Die große Stärke des Werkes liegt darin, daß nicht nur die Entwicklung in Wien, sondern in allen österreichischen Bundesländern sorgfältig berücksichtigt und damit ein seltenes Beispiel vergleichender Landesgeschichte gegeben wird. So bringt der Band auch für die jüngere Geschichte Oberöster reichs eine Fülle von Hinweisen. Aus der Frühzeit der Heimwehr wird zitiert, daß die Zustände „am verworrensten" in Oberösterreich seien wegen der Passivität oder negativen Haltung der Christ lichsozialen. Während Carsten nichts über die „ProporzHeimwehr" (Christlichsoziale, Großdeutsche, Landbund) der Jahre 1925 bis 1929 berichtet, informiert er ausführ lich über die nicht einfache Wahl Starhembergs zum Heimwehrführer Oberösterreichs. Im Zusammenhang mit dem „Korneuburger Eid" und den Versuchen des Heim wehrführers Steidle, die Abgeordneten der zwei „bürger lichen Parteien" dafür zu gewinnen, zitiert er vor allem die ablehnende Haltung des Oberösterreichers Dr. Salz mann. Die Auswirkungen des Pfrimer Putsches auf Ober österreich werden allerdings kaum gestreift, obwohl sie für die Landespolitik sehr bedeutsam waren. Dem Autor geht es scheinbar gar nicht um gewisse Schwerpunktbil dungen der Darstellung, dafür ist er meisterlich bei der Erfassung aller nur möglichen Details. Bei den Anfängen des Nationalsozialismus befaßt er sich außerordentlich ausführlich mit Alfred Proksch, dem in Linz wirkenden Landesleiter, und der heftigen Kritik an Proksch. Inter essant ist die Kampfansage der Heimwehr und Reverteras vom Jahre 1935 „gegen den Klerikalismus". Beson ders plastisch wird Carstens Darstellung über die schrittund stufenweise Auflösung des nationalen Lagers, der Großdeutschen und des Landbundes und den Übergang zum Nationalsozialismus, der vor allem bei den Turn vereinen reibungslos vor sich ging. Nicht ganz über zeugend ist die Darstellung der Spätphase, also des Wirkens der illegalen NSDAP, wo etwa der Ausschluß des nachmaligen Ministers Ing. Reinthaler aus der NSDAP vermerkt wird. Hauptunterlagen für Carsten sind neben den Bestän den der Landesarchive die Akten der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit in Wien, die natürlich deshalb so bedeutsam sind, weil etwa für Oberösterreich die Akten der Sicherheitsdirektion vernichtet wurden. Auch wenn der Autor die dortigen Angaben gelegentlich be zweifelt und Hinweise über Stärke der Heimwehr als übertrieben oder zu klein charakterisiert, so unterliegt er vermutlich doch ein wenig der Faszination dieses umfangreichen und interessanten Aktenbestanides. Und so wie etwa dieser Bestand für die Jahre vor 1938 den illegalen und späteren legalen Gauleiter Eigruber gar nicht erwähnt, so tut es auch Carsten nicht, ebenso wie er den für diese Zeit schon sehr bedeutenden Dr. Kal tenbrunner — parallel zu den Berichten der Sicherheits direktion — nur gelegentlich erwähnt. Schon vor 1938 wurden die verschiedenen „Entdeckungen" der Sicher heitsdirektionen bezweifelt und belächelt, so daß man heute die Frühgeschichte der NSDAP in Oberösterreich nicht allein auf Grund dieser Berichte rekonstruieren kann. Alles in allem ist die klug wertende, abgewogene und inhaltsreiche Darstellung, die kein Pauschalurteil ent hält, auch für die jüngste Geschichte Oberösterreichs wichtig und wertvoll. Nachdem das von Erika Weinziel und Kurt Skalnik her ausgegebene zweibändige Sammelwerk „Osterreich — Die Zweite Republik" infolge seines Umfangs (35 Bei träge, 1370 Seiten) für einen größeren Leserkreis nicht ganz geeignet war, faßte man das „wesentliche Drittel der Beiträge" in dem von denselben Autoren heraus gegebenen Einzelband „Das neue Osterreich — Ge schichte der Zweiten Republik"^ zusammen. Mit die sen Werken, dazu weiteren über wesentliche Details, wie Staatsvertrag, Neutralität, Südtirol u. a. erscheint die Geschichte der Zweiten Republik besser durchforscht und systematischer dargestellt als die der Ersten Republik. Mag auch der Band eine gesamtösterreichische Darstel lung mit Beiträgen sein, die vom Widerstand über den Neubau des Partei- und Pressewesens, die Außenpolitik und Landesverteidigung, Sozial- und Bildungspolitik, bis zum Verhältnis von Staat und Kirche führt und den ganzen musischen Bereich erfaßt, so findet man speziell für Oberösterreich manches Wichtige. So wird gleich im einleitenden Kapitel über den österreichischen Wider stand die Rolle des Linzer Oberstleutnant Bernardis dargestellt (wenn auch im Buch nur auf seine Tiroler Abstammung verwiesen wird). Natürlich sind auch die Gruppe „Müller-Thanner" und der Kriegsgegner Jägerstätter berücksichtigt. Im Parteien-Kapitel werden natur gemäß alle Oberösterreicher erwähnt, die ihre Hand in der Bundespolitik hatten bzw. das Bundesland reprä sentieren, von Maleta zu Gleißner, Wenzl und Kirch schläger, wobei besonders das „große Wagnis" beim „Unternehmen Kirchschläger" herausgestellt wird. Im Ka pitel Innenpolitik wird fast bedauernd bemerkt, daß es das Jahr 1945 nicht ratsam erscheinen ließ, zugleich mit der NS-Frage die Frage des Austrofaschismus zu klären, weshalb ein Teil der österreichischen Vergangenheit unbewältigt blieb. Die Themen Konkordat, Habsburger frage, aber auch die Starhembergfrage hätten die große Koalition mehr belastet als die Streitfragen des politi schen Alltags. Auch das geistige Oberösterreich wird in seiner ganzen Spannweite von Bruckner, Stifter und Kubin zu Bahr und David und schließlich zu Fussenegger und Eisenreich, Bernhard und Brandstetter erfaßt.
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