Die ..Hirschauer Stückeln' Wenn jemand in aller Öffentlichkeit etwas recht Dummes anstellt, so ist dies „ein Hirschauer Stiickl". Diese Redensart ist nun im Schwinden begriffen, aber früher war sie doch so bekannt, daß man als Ausgangsort dieser Redensart sogar die Hirschau in den Wiener Praterauen ansehen wollte, obwohl es dort gar keine Siedlung gibt. Eher noch könnte man den Ursprung auf jenes Hirschenau an der Donau zurückführen, das am linken Ufer noch in Oberösterreich liegt. Der Grenzbach dort ist die Landesgrenze. Der Ort hieß im Volksmund immer nur „Hirschau". Und weil die Redensart von den Hirschauer Stückeln einst allbekannt war, fragte einst ein Besucher des Gasthauses Rameder den Wirt, warum das so sei, daß man von den Hirschauer Stückeln redet. „Wenn du es wissen willst, kann ich dir dies genau erklären, da mußt du aber mit mir auf den Dachboden gehn!" Da ließ sich der Gast auf den Dachboden führen, wo ihm der Wirt zu einer Dachluke eine Kiste hinstellte, von der aus man durch die Dachluke schauen könne. Das weitere würde er dann schon sehen. Wie nun der Gast durch die Luke spähte, wurden ihm vom Gastwirt ein paar Ordentliche auf den Hintern gewichst mit den Worten: „Hiazt woaßt, was a Hirschauer Stückl is!" Es darf hier angemerkt werden, daß Hirschenau zur Gemeinde St. Nikola gehört. In dieser reihte sich zu den alten Märkten Struden, St. Nikola und Sarmingstein auch noch das Freigericht Hir schenau als der vierte Schifferort mit behausten Bürgern. Schließlich kann sich Hirschenau rüh men, an seinem Donauufer den niedersten Punkt der Erdoberfläche von Oberösterreich zu haben. Weil aber gerade bei Hirschenau der Durchgang des 15. Meridians ist, bedeutet dort die MEZ (mitteleuropäische Zeit) auch genau die Ortszeit. Es war noch in meiner Kindheit gewesen, als man sich überall erzählt hatte, wie der Rameder die Herkunft der Hirschauer Stückeln mit Hilfe eines Steckens erklärt hatte. Daran wurde ich nach vielen Jahrzehnten erinnert, als ich auf einer Autofahrt zu den Bayreuther Festspielen zu einer schönen Anhöhe kam, von der aus man eine weite Talmulde mit der Stadt Weiden als Mit telpunkt erblickt. Es steht dort ein Ausflugs gasthaus, kurz vorher ein Straßenweiser mit der Angabe, daß die nach links abzweigende Straße in das 24 km entfernte Hirschau führt. Sollte dies das gesuchte Hirschau sein? Ich kehrte daher ein und fragte die Kellnerin sogleich, ob dieses Hirschau jenes sei, von dem man die be rühmten Stückeln erzähle. Die pralle Schöne schaut mich zögernd von der Seite an und sagte ausweichend, das könne sie nicht so genau sagen. Wenn ich es aber erfahren wolle, könne ich ja in die Küche gehen, die Köchin könne es mir sicher sagen. Bei dieser brachte ich also erneut meinen Spruch an, ich sei hier fremd, Österreicher, habe das Straßenschild gesehen und möchte gerne wis sen, ob die berühmten Hirschauer Stückeln von dort herstammen. Diese Köchin war nun noch viel zurückhaltender als die Kellnerin. Mit lei sem Spott sagte sie ganz freundlich, „Sie haben ja ein Auto! Fahrn S' doch hin nach Hirschau und fragen S' dort die Leut, die werden's Ihnen dann ganz genau erklären." Auf so genaue Erklärungen, wie sie schon der alte Rameder gegeben hatte, verzichtete ich gerne. Wenig später erfuhr ich im Gasthausgar ten von einem alten Herrn mit weißem Vollbart, dieser Stadt Hirschau dichte man wie einst der Stadt Schiida alle nur erdenklichen Streiche an. Zum Beispiel sei einmal ein Hirschauer mit sei nem Pferdegespann bei einem Gasthaus vorge fahren und dort eingekehrt. Als er später weiter fahren wollte, kam er zu seinem Staunen nicht vom Fleck. Denn er hatte nicht bemerkt, daß man ihm mittlerweile die Pferde an der Hinterseite des Wagens eingespannt hatte. Dem kleinen Ort Hirschenau in Oberösterreich sind nach dem Stau der Donau für das Kraftwerk Ybbs-Persenbeug im Jahre 1957 nur wenige Häuser geblieben. Versunken und vergessen sind auch die Hirschauer Stückeln. Alois Topitz
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