Kulturlandschaftswandel im Mühlviertel 1954 — 1973 Beispielskartierimg Windhaag bei Freistadt * Von Hubert Reiß Mit 7 Diagrammen, 2 Abbildungen und 2 Karten Durch den Übergang von der Agrar- zur Indu striegesellschaft ist der ländliche Raum einem lebhaften funktionalen Bedeutungswandel unterworfen, dessen raumrelevante Wirk samkeit auch in kulturlandschaftlichen Wandlimgsprozessen seinen Niederschlag findet. Un terliegt der ländliche Raum in der gesamtwirt schaftlichen Wertschöpfung gegenüber den Indu striezentren einem ständigen Abwertungsprozeß, so erfährt andererseits der ländliche Raum als gepflegte Erholungslandschaft wieder eine neue funktionale Bewertung. Mit Hilfe bestimmter Indikatoren wie Sozial brache, Vergrünlandung oder Aufforstung ver sucht die Sozialgeographie, veränderte land schaftliche Wertungsabläufe, Kräfte und Pro zesse zu erkennen und zu analysieren. Ansatz punkt für die Anwendung der „Indikatoren methode" bildet das Forschungsergebnis, daß die gleichen Ceofaktoren durch die einzelnen sozia len Gruppen eine unterschiedliche Wertung er fahren. Diese Wertvorstellung ist wieder abhän gig vom direkten Einfluß der Geofaktoren auf die Sicherung des Lebensstandards der jeweiligen sozialen Gruppe. Beim Übergang von einer sozia len Gruppe in eine andere erfolgt daher auch ein Wechsel der Wertung des Bodens, was physiognomisch wahrnehmbare Nutzungsänderimgen und damit den Kulturlandschaftswandel zur Folge hat. Vorliegende Beispielskartierung untersucht durch eine Sozial- und Parzellenkartierung landwirt schaftlicher Nutzflächen (Karte 1 und 2 im An hang) die Aktionen und Reaktionen der einzel nen sozialen Gruppen in der Kulturlandschaft, um damit die sozialen Wandlungen herauszu arbeiten, denen eine Gemeinde bzw. eine ganze Landschaft unterworfen ist. Lage und sozialer Rahmen des Untersuchxmgsgebietes Das Kartierungsgebiet (Karte 1 xmd 2) liegt im nordöstlichen Mühlviertel an der tschechischen Grenze in der Gemeinde Windhaag bei Freistadt und umfaßt mit den drei Gemarkungen Mairspindt, Windhaag und Oberwindhaag etwa 1000 ha. Naturräumlich knüpft sich das Unter suchungsgebiet an den westlichen Ausläufer des Freiwaldmassivs mit dem Waschenberg (970 m) und dem Becken von Windhaag (700 bis 800 m). Mangelnde Ausstattung mit zentralörtlichen Einriditimgen, geringes gemeindeeigenes Steuerauf kommen, hohe Abwanderungsquoten, eine ne gative Pendlerbilanz, die Abnahme der Arbeits bevölkerung und besonders der in der Land- und Forstwirtschaft tätigen Wohnbevölkerung (Agrarquote), der Rückgang der viehhaltenden Betriebe und der Vollerwerbsbauem charakteri sieren den sozio-ökonomischen Rahmen der Un tersuchungsregion im Mühlviertel. Die Bevölkerungsbilanz Von 1956 bis 1973 wanderten in den drei unter suchten Gemarkimgen insgesamt 25,7 Prozent der Bevölkerung von 1956 ab, 25 Prozent der weiblichen und 26,6 Prozent der männlichen Be völkerung. 19,7 Prozent der Bevölkerung von 1973 pendeln. Trotz der hohen Abwanderungs zahl von 175 Personen stieg die Bevölkerungs zahl vor allem durch den Geburtenüberschuß von 674 auf 684 Einwohner (-F 1,5 Prozent). Weist die Bevölkerimgspyramide von 1956 noch eine gesunde Basis auf, so zeigt die Basis von 1973 durch rückläufige Geburtenziffern bereits eine sichtbare Auflösung (Darstellimg 1). Durch Abwanderung ging außerdem die Basis von 1956 zu einem guten Teil verloren. Der Arbeitskräfteverlust der Landwirtschaft wird aus dem Rückgang der Landarbeiter von 42 auf nur mehr acht deutlich. Interessant ist besonders die altersspezifische Mobilität (Darstellung 2). Die Altersgruppe von 16 bis 28 Jahren weist die höchste Mobilitäts quote auf. Bereits 32,4 Prozent gingen durch Ab wanderung verloren, während 36,5 Prozent pen deln. Die Altersgruppe von 29 bis 45 Jahren verzeichnet 34,2 Prozent Abwanderer und 11,1 Prozent Pendler. Das Sozialgefüge In der Gemarkung Mairspindt dominiert die vollbäuerliche Bevölkerung mit einer geringen * Der vorliegende Beitrag ist ein zusammenfassender Ausschnitt meiner Dissertation am Geographischen Institut der Universität Salzburg. Die komplette Arbeit erscheint als Band 4 der Schriftenreihe dieses Instituts unter dem Titel „Fremdenverkehrsgeographische Un tersuchung des Gerichtsbezirkes Freistadt".
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2