OÖ. Heimatblätter 1977, 31. Jahrgang, Heft 1/2

folgte Verwurzelung kann jedoch dieses Gefühl hervorrufen, alles überstehen zu wollen und zu müssen, was die unmittelbare Zukunft ver düsterte. Dazu muß noch entscheidend beigetra gen haben, daß der Wandel von römischer zu germanischer Gebietshoheit nur noch formell im Begriff war, sich zu vollziehen. Eine „de-facto"- Wandlung war längst eingeleitet worden und vollzog sich seit längerer Zeit, von den Römern teils wohlwollend geduldet, teils ohnmächtig zu schauend. Somit wurden vom Abzug auch nur Militärs, höhere Beamte und Großgrundbesitzer im wesentlichen erfaßt. Diese Entwicklung muß die ansässige nichtrömi sche Bevölkerung erwartet haben. Es gab keinen Flüchtlingstreck, der menschenleere Gebiete zurückließ. Die Mitteilung der „Vita" über eine Zerstörung der Ortschaften im oberen Donauraum erscheint demgemäß ebenfalls nicht problemlos, denn eine solche erfolgte meistens im Kampfi^. Von Rückzugskämpfen ist jedoch nichts bekannt. Als die Alemannen im 3. und 4. Jahrhundert Südwestdeutschland eroberten, zerstörten schwere Kämpfe mit den Römern die Bevölke rungsstruktur dieser Gebiete. Die Freigabe der besetzt gehaltenen Landschaft am Limes vollzog sich demgegenüber nicht unter kriegerischem Druck. Somit hat der Abzug der römischen „Kolonial"-Macht auch kein zerstörtes Land, keine wesentlich dezimierte Bevölkerung hinterlassen. Das Land am norischen Limes wurde von den Römern zur Besiedlung durch die Bajuwaren, in eigener politischer Verantwortung, freigegeben. Dabei kann selbstverständlich nicht übersehen werden, daß die römische Macht brüchig gewor den war und sie der an der Limesgrenze stehen den Expansionskraft der germanischen Bevölke rung nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Über die Donau hinweg vollzog sich der Besitz- und Machtwechsel auf breiter Front, verstärkt durch den Druck der Langobarden aus Böhmen heraus und die Zuwanderung germanischer Bevölke rungsgruppen aus Westen. Der weitere Verlauf der Entwicklung „Nach der Zerstörung der Ortschaften im oberen Donauraume übersiedelte die ganze Bevölke rung, die der warnenden Stimme des hl. Severin Gehör schenkte, in die Stadt Lauriacxun." Aus diesem Text der „Vita" ergab sich immer wieder die Frage, ob es tatsächlich berechtigt ist, auf eine Entvölkerung der von den Römern verlassenen Gebiete zu schließen und welche Auswirkungen sie gehabt haben körmte. Mit Sicherheit kann davon ausgegangen werden, daß zumindest ein Teil des Bevölkerungsvakuums zunächst einmal durch den Zuzug Siedlungsland suchender Ger manen sofort im Zeitpunkt des Abzuges der Rö mer aufgefüllt wurde. Im übrigen handelte es sich bei dieser Aussage um einen ausschließlich aus römischer Sicht gestalteten Situationsbericht, dessen Objektivität mit Vorsicht aufgenommen werden muß. Über die römische Bevölkerungs schicht schreibt L. Schmidt (Geschichte der deut schen Stämme, II. Abt., S. 215): „Sie hatte in den betroffenen Gebieten zwar erheblich abgenom men, war aber nicht ganz verschwunden. Die Einwanderung (germanischer Sippen) vollzog sich in durchaus friedlicher Weise. Dabei wurden römische Kolonen in die Wirtschaftsorganisation der Baiern übernommen und zu Hörigen nach germanischem Recht gemacht." Wenn auch die romanische Bevölkerung somit erheblich abge nommen haben wird, so muß immerhin noch die Frage nach der einheimischen germanischen ge stellt werden, die doch zweifellos nördlich wie südlich der Donau siedelte und besonders im Norden nicht nur aus Kolonen bestand. Hier wird von einer wesentlichen Abnahme sicher lich nicht ausgegangen werden können. Sie wurde, wenn überhaupt, von neu ins Land kom menden, die Situation der Stunde ausnützenden stärkeren Bevölkerungsgruppen überlagert. Die der neuen Entwicklung entgegensehende einhei mische Bevölkerung verharrte dabei jedenfalls sicherlich in ihren Positionen und wird eine ümgestaltung der Besitzverhältnisse über sich haben ergehen lassen müssen. Es wurde wahrscheinlich nicht nur römischer Fiskalbesitz neu verteilt. Ein erheblicher Teil der unter neue Hoheits verhältnisse geratenen Bevölkerung wird kelti schen ürsprungs gewesen sein. Germanische Siedler bewiesen andererseits bereits Jahrzehnte vor dem Abzug der Römer, wie zumindest an " Vita, c. 28.

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