über barbarische Überfälle nicht dafür als Beweis herangezogen werden, daß bäuerliches Land nach dem Abzug der Römer menschenleer wurde, weil es willkürlichen Gewaltmaßnahmen germani scher Horden ausgesetzt war^. Solche Aktionen hatten begrenzte Bedeutung und richteten sich gegen römische Einrichtungen, wahrscheinlich noch nicht einmal gezielt gegen kirchliche. Demgegenüber von in jeder Hinsicht größerer Bedeutsamkeit sind die Ausführungen über den Stand der Christianisierung. Severin, der ge meinsame Apostel der Römer und Germanen, verkörperte in seiner Priestergestalt offenbar erstmals auch die Macht und das Wesen mensch licher Ordnung im allgemeinen. Das Christentum war im Begriff, als eigene Autorität staatliche Funktionen zu übernehmen bzw. zu ersetzen. Diese Entwicklung, aus dem Zusammenbruch an tiker Autorität heraus, behielt vermutlich für die Nachfolger einen Nimbus vergangener Macht und Größe. Der wiederholte Aufenthalt Severins in BatavisBojotro läßt die Bedeutung dieser Orte, hinsicht lich des Ausbreitungsstandes des Christentums deutlich erkennen. Die anschauliche Schilderung der Anwendung christlicher Lebensgrundsätze in der Vita lassen zudem auch bereits eine tiefe Ver wurzelung christlichen Ideengutes erkennen. Schließlich geben noch die Hinweise auf Taufkapelle, Kirche, Mönchsklause und Kloster in Batavis-Bojotro deutliche Hinweise darauf, wie stark sich die christliche Kirche auch institutionell bereits etabliert hatte®. Diese Ausgangsbasis läßt dann auch eigentlich eher erwarten, daß für das Fortbestehen des Christentums mehr Vorausset zungen gegeben waren als für deren Untergang. Kann nun aus diesem Stand der Dinge gefolgert werden, Severin hätte die weitere Entwicklung falsch eingeschätzt? Sicherlich war das nicht der Fall, seine eigentliche Absicht deutet sich nur verschleiert an. Christlicher Glaube hatte sich be reits unter der einheimischen Bevölkerung ver breitet. Das Christentum war keine römische Er scheinung mehr, von Soldaten aufgegriffen und weitergetragen. Severin hatte bei seinen apoka lyptischen Voraussagen deshalb ausschließlich die Absicht, seine Landsleute unbedingt von der Notwendigkeit zu überzeugen, das Land zu ver lassen®. Nur für sie brach die Welt zusammen, begann Barbarenherrschaft, stand also auch die christliche Kirche in ihrer Schutzfunktion nicht mehr zur Verfügung. Anders lagen die Dinge für die zurückbleibende einheimische Bevölkerung. Der erzwungene Übergang von römischer zu germanischer Gebietshoheit läßt nicht unbedingt erwarten, daß alle bisher maßgeblichen Kräfte und Bestrebungen erloschen. Deshalb ist mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß sich das Christentum unter der einheimischen Bevölkerung nach kurzer Besinnung wieder akti vierte. Aussagen früher Urkunden des 6. und 7. Jahrhunderts, wie insbesondere auch das „Rottachgaufragment", deuten jedenfalls darauf hin^®. Es gab somit am norischen Limes sicher lich keinesfalls einen neuen Anfang nach einer Ausrottungsphase beim Abzug der Römer, son dern eine Fortentwicklung unter anderen Vorzei chen. Die Äußerungen in der Vita, für einen anderen Zweck gedacht, haben somit unbewußt eine vielfach nicht zutreffende Beurteilung der Weiterentwicklung, auch des Christentums, aus gelöst. Eugippius kommt im übrigen für eine Be urteilung der Zeit über das Jahr 478 n. Chr. hinaus sowieso nicht in Betracht. Er fällt als Beobachter des weiteren Geschehens aus, weil er ' Hier sind insbesondere die Aussagen in c. 22 und c. 27 gemeint. „Er [Severin] war kaum fortgefahren, da stürmte Hunumund in Begleitung einiger weniger Barbaren in die Stadt Batavis . . . und hieb die 40 Mann nieder, die zur Bewachung zurückgeblieben waren." c. 22. „Zur nämlichen Zeit verließen die Ortsbewohner von Quintanis, zermürbt von den unausgesetzten Über fällen der Alemannen, ihre Wohnsitze und wanderten in die Stadt Batavis aus." c. 27. „Gefestigt durch die Vorhersage des ehrwürdigen Mannes, stellten sich die Römer samt und sonders in Erwartung des verheißenen Sieges zur offenen Feld schlacht gegen die Alemannen .. . Beim Anprall wur den die Alemannen geschlagen und ergriffen die Flucht." c. 27. ® Vita, c. 22, 36. " „Wisset, meine Brüder, wie die Kinder Israels be kanntlich vom Ägypterland loskamen, so erscheint sicher die Zeit, da sich auch die ganze Bevölkerimg dieses Landes von der harten Barbarenherrsdiaft befreit." c. 40. " Monumenta Boica (künftig M. B.) 28 b, S. 5, 12, 35, 39, 63.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2