OÖ. Heimatblätter 1977, 31. Jahrgang, Heft 1/2

Der Beginn des Mittelalters für das Land am norischen Limes Von Reinhold Drostzol Mit 1 Abbildung „Nach seinem Sieg über die Rugier, die in Italien einfallen wollten, drohte Odoaker die gleiche Gefahr vom Ostgotenfürsten Theoderich. Da gab er die Grenzwacht an der Donau auf und verlegte sie auf die Alpenkette (488 n. Chr.). Die Räu mung bezog sich nicht bloß auf die Donaukastelle des Unterlandes, sondern auf ganz Ufernorikum. Es war eine militärische Maßnahme, eine Zurück nahme des Grenzschutzes. Die im Dienst Roms stehenden Soldaten und Beamten wurden ab gezogen; mit ihnen gingen alle, die von den römischen Einrichtungen lebten und mit ihnen verbunden waren; es war im Wesen ein Abzug der Römer, aber nicht der Romanen." Es könnte hinzugefügt werden: und auch nicht der einheimischen Bevölkerung. So sieht I. Zibermayr in seinem Werk „Noricum, Bayern und Österreich" (S. 56) die Ereignisse, die in unseren Gegenden an der Donau, östlich von Passau, dem Beginn des Mittelalters unmittelbar vor ausgehen^. Die wesentlichste Auskunftsstelle über die geschichtlichen Ereignisse dieser Zeit epoche ist die Lebensbeschreibung des hl. Seve rin, verfaßt im Jahre 511 von Eugippius, einem Schüler Severins. Eugippius schildert in diesem Werk auch die Verhältnisse in Batavis, unmittel bar vor dem Abzug der Römer, der um das Jahr 478 erfolgt sein muß^. Wenn auch die sich anschließende Entwicklimg, verursacht durch besondere Umstände, einen verschiedenartigen Verlauf genommen haben kann, die Ausgangsbasis zu bestimmen ist trotz dem von wesentlicher Bedeutung. Diese Aus gangsbasis darzustellen wurde insofern auch wiederholt, in der ganzen Breite möglicher Varia tionen, versucht. Die Entdeckung des spätrömi schen Bojotro könnte nunmehr weitere Meinun gen beflügeln, bereits aufgestellte und verwor fene Hypothesen! beleben. Die Vita Severini^ Eine weit verbreitete Meinung über die Lebens verhältnisse in unserem Gebiet, unmittelbar nach dem Abzug der Römer orientiert sich an dem Ausspruch der Vita Severini, der da lautet: „Die hiesigen Ortschaften, jetzt dicht bevölkert, werden sich in eine trostlose Einöde verwandeln, daß die Feinde in der Annahme, hier etwa Gold zu finden, sogar die Stätten der Toten aufreißen werden^." Aus dieser Aussage wurde und wird vielfach gefolgert, daß nach dein Ende der römi schen Besetzung in den Landstrichen längs der Donau das Land verödet gewesen zu sein scheint®. Die zitierte Aussage wie auch andere ähnlichen Inhalts können jedoch lediglich als Befürchtung für eine mögliche Entwicklung gelten. Aus römi scher und frühchristlicher Sicht mag eine solche Mutmaßung durchaus gerechtfertigt gewesen sein. Ob sie dann jedoch im weiteren Verlauf auch eintrat, bedarf einer Überprüfung und kann sich nicht allein auf solche Mutmaßungen stüt zen. Dabei kann davon ausgegangen werden, daß die Aussagen der Vita trotz allem, insbeson dere für die Beurteilung der zugrundezulegenden Lebensverhältnisse der Bevölkerung von größ tem Wert sind®. Dieses einzigartige Geschichts dokument erhellt so ziemlich allein die dunkle Szenerie des anbrechenden Mittelalters in unse rer Region. Für eine Beurteilung der ersten Jahr zehnte selbständiger bajuwarischer Gebietshoheit sollte allerdings weniger die Schilderung vermut licher weiterer Entwicklung herangezogen wer den. Hinweise, die Auskunft über den Stand der Lebensverhältnisse geben, sind von weitaus grö ßerer Bedeutung, weil diese die weitere Ent wicklung bereits einschließen. Bei einer Durchsicht der Vita nach wichtigen Äußerungen zur „Lebenslage" der Bevölkerung sollten zunächst einmal die wiederholten Berichte 1 Ignaz Zibermayr, Noricum — Bayern und österreicli, München und Berlin, 1944, S. 56. ® Aventinus setzt die Zerstörung von Batavis in das Jahr 477. ' Eugippius, Das Leben des heiligen Severin; in: Georg Spitziberger, Aus der Vor- und Frühzeit Südbayerns (Gedächtnisschrift, S. 47—85), Landshut, 1967; künftig; Vita. * Vita, c. 40. ® „In dem Landstrich längs der Donau scheint infolge der ständigen Unsicherheit das offene Land weithin verödet zu sein." Georg Stadtmüller, Geschichte der Abtei Niederaltaidi von 741—1971, Ottobeuren, 1971, S. 34. ® „Sie [die Vita] erzählt in schlichter Form das Ende der Römerherrschaft an der Donau und bringt Nach richten von ganz hervorragendem Wert." 1. Zibermayr, a. a. O., S. 41.

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