Die Herkunft der Baiern und der Tassilokelch VonOtfried Kastner Mit 3 Abbildungen, 1 Textbild und 1 Kartenskizze . . Die Baiern haben keinen Geschichtssdireiber ge funden, der ihre Taten aufgezeichnet hätte ... Völlig unbemerkt vollzog sich der Eintritt der Baiern in die Ceschidite." (K. Reindel, Bayern im Mittelalter, S. 9) VORWORT Seit mehr als hundert Jahren beschäftigt man sich mit der Erforschung des Tassilokelches, als abgeschlossen kann sie noch nicht gelten. Ebenso bildet die Herkunft der Altbaiern eine Reihe von Fragen, über die man sich noch nicht geeinigt hat. Dies läßt unser besonderes Interesse ver stehen. Soweit sich die Forschung überblicken läßt, sind die beiden Themen noch nie gemeinsam auf gegriffen und in ihrer Abhängigkeit gesehen worden. Die Aufschlüsselung des Ornamenten schatzes des Tassilokelches ist so kompliziert wie die Herkunft des bairischen Volkes selbst. Sucht man die Stilelemente des Kelches festzulegen, so muß es scheinen, als würde der Weg, den die Baiern nahmen, auch an diesem Kelch ablesbar. Zweifellos hat auch der Künstler, der ihn schuf, Anregungen aus der Nachbarschaft gewonnen. Aus der Zweiteilung des Titels wird die Größe der Problemstellung wie auch die Schwierigkeit ihrer Bearbeitung ersichtlich. Wie über die Her kunft der Baiern gibt es auch über den Kelch ge teilte Meinungen, wobei die Frage nach dem Ort seiner Entstehung nicht die wichtigste ist, son dern vielmehr die Aufschlüsselung der einzelnen Motive und deren Herkunft. Bisher hat man den Kelch fast ohne Seitenblick auf die Kunst der Nachbarn besprochen und so — wie es scheinen muß — der seit langem erkannten englischen Komponente über Gebühr Gewicht zugemessen. Es wird in dem vorliegenden Ver such einer neuen Dokumentation über den Tas silokelch schon mit der Herkunft der Baiern selbst die Behandlung des Kelches in der Rich tung unterbaut, wie man auch aus der Betrach tung des Kelches auf das Werden der Baiern Rückschlüsse ziehen und neue Gesichtspunkte er schließen kann. Wir stellen die uns wichtigsten Theorien über die Herkunft der Baiern vor, und reden damit auch der Osttheorie ein Wort. Die Markomannen theorie scheint bestechend einfach, für die Völ kerwanderungszeit zu einfach, ist es jedoch im Grunde nicht. Im Laufe der Jahre ist man auch sichtbar von ihr abgerückt. Mit der Auswertung der Ornamente des Kelches wird unser Blick nach Osten gewendet. Die großartige Insel Gotland soll dabei nicht vergessen sein und damit auch nicht die ursprüngliche nordgermanische Kompo nente. Daß der Balkan schon sehr früh in seiner Bevölkerungsstruktur sehr kompliziert war, macht uns die beigegebene Karte mehr als deut lich. Sie erwuchs völlig unabhängig von meiner Arbeit aus einer Forschung über die Skythen. Für ihre Überlassung möchte ich an dieser Stelle Herrn Dr. Max Feichtner sehr danken. EINLEITUNG Mit großer Erwartung hat man der Behandlung der Bajuwaren im Reallexikon der germanischen Altertumskunde (Bd. I, 5. Lieferung) entgegen gesehen. Mehrere Gelehrte haben sich auf 26 Seiten zu verschiedenen Themen ausgespro chen. Unter Literatur, Historik, Politik, religiöse Vorstellungen, Archäologie, Siedlungswesen, Tracht usw. bleibt — wie auch anders — die Frage nach der „Stammbildung der Baiern wäh rend der Wanderung" das eigentliche Hauptpro blem. Hier konnte man von sprachwissenschaft licher, historischer und archäologischer Seite noch zu keiner gemeinsamen Auffassung kommen. Nach wie vor stehen sich Einwanderung aus Böhmen — nun schon mit Aufgabe der Marko mannentheorie, jetzt spricht man von Elbsueben — und Sitze außerhalb Böhmens gegenüber. H. Roth (1) spricht von mehr als zehn Theorien, man kommt jedoch, ohne alle Meinungen aufzu greifen, auf etwa vierzig Forscher, die zu dem Thema Stellung nehmen. Mit aller Vorsicht spricht man nun doch auch davon, daß sich im Osten ein neuer Stamm zusammengeschlossen habe, der endlich zu einem Volk zusammen geschmolzen sei. Er sei aus kleinen Gruppen ver schiedener Stämme des Ostens — auf das „Masurische Element" wird wiederholt hingewiesen! — entstanden. Man spricht auch schon von einem östlichen Merowinger-Reihengräberkreis, der sich besonders in Mähren, Niederösterreich und Pannonien in der ersten Hälfte des 6. Jahr hunderts entwickelt habe. Für das heutige Öster reich sei eine Siedlungskontinuität „von der bai rischen Genese bis zur römischen Zeit" erwiesen.
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