Oberösterreichische Wiegenlieder Von Otto Kampmüller Mit 25 Notenbeispielen und 3 Textbildern Die vorliegende Arbeit geht zurück auf eine Rundfrage nach oberösterreichischen Kinder reimen, -Uedem und -spielen unter den Pflicht schülern der Bezirke Eferding, Freistadt, Gmunden, Grieskirchen, Kirchdorf, Linz-Land, Perg, Rohrbach, Schärding, Urfahr-Umgebung und Wels-Land im Jahre 1964 und 1965, die von 5442 Mitarbeitern 24.800 Beiträge brachte. Teile dieses Materials, nämlich die Spiele, wurden als Band 19 der Schriftenreihe des Institutes für Landeskunde von Oberösterreich, herausgegeben von Dr. Franz Pfeffer, veröffentlicht^. Die Reime und Lieder sind noch nicht veröffentlicht. Dieser Teil der Sammlung konnte in der Zwischenzeit geringfügig ergänzt und bereichert werden. Er enthält zwanzig Kapitel. Wir veröffentlichen dar aus das erste, die Wiegenlieder. Gleichförmige rhythmische Bewegungen schlä fern ein. Das war seit altersher und in allen Kul turen den Müttern bekannt. Wenn ihr Kind schlafen sollte, nahmen sie es auf den Arm und wiegten es oder legten es in ein Bettchen, das entweder aufgehängt oder auf Schaukelbrettern stand. Solche Bettchen nennt man Wiegen. Um die einschläfernde Wirkung der schwingenden oder schaukelnden Bewegung zu verstärken, wur den dazu häufig auch monotone Weisen mit zärt lichem Inhalt gesungen, sogenannte Wiegen lieder. Aus vorchristlicher Zeit stammt das Lied des griechischen Dichters Theokrit (300—260 v. Chr.) „Schlaft mir, Kinderchen, süß, oh schlaft den erquickenden Schlummer . . .". Vom lateinischen Dichter Persius (34—62) wurde ein römisches Wiegenlied „Lalla, lalla, lalla, aut dormi, aut lacte" überliefert. Im 13. Jahrhundert zeichnete Gotfried von Nifen das deutsche Wiegenlied auf: „Wigen, wagen, gigen, gagen, Wenne wil ez tagen? Minne, minne, trute minne, Swic, ich wil dich wagen." Ein paar Jahrzehnte später brachte der 1324 bis 1359 als Dominikanermönch in Bern nachgewiesene Ulrich von Boner in seiner Beispielsammlung „Der Edelstein" (1461 ge druckt) zum erstenmal ein Wiegenlied mit dro hendem Inhalt: „Swig, min liebez kint! Swigest nicht, der wolf dich nimmt; Dem wil ich dich schiere geben. Swig, wiltu behalten din leben."^ Ungefähr zur selben Zeit kamen mit den griechi schen Prinzessinnen, die sich mit mehreren ba benbergischen Markgrafen nach den Kreuzzügen vermählten und Kinderwärterinnen aus Konstan tinopel mitbrachten, griechische Einschläferliedchen in unser Land. Das bekannteste davon dürfte „Schlafe, mein Kindchen, schlafe mein Kind!" sein, aus dem „Haiderl pupeiderl, haiderl pupei" und später „Eia popeia" entstanden sind®. Die Blütezeit des Wiegenliedes lag im 14. und 15. Jahrhundert. Damals entstanden viele stim mungsreiche Wiegenlieder, die auch später noch gerne gesungen wurden, und so konnte der große deutsche Satiriker Johann Fischart (1546—1590) mit Recht sagen: „Wo Honig ist, da sammeln sich die Fliegen, wo Kinder sind, da singt man um die Wiegen." Aus dem 16. Jahrhundert kann Böhme* bereits Reime mit den Endungen Schlaf — Graf nach weisen. Der Literaturhistoriker NagP führt diese Reime auf den Einfluß des Rittertums zurück. Wir werden später noch davon berichten. Im 18. Jahrhundert entstanden geistliche Wiegen lieder, die sogenannten Krippenlieder als eine besondere Gattung der alten Weihnachtslieder. Gleichzeitig schufen auch viele Dichter Wiegen lieder, wie z. B. Johann Mattheson, Christian Fürchtegott Geliert, Karl Wilhelm Ramler, Mat thias Claudius, Richard Dehmel, Peter Cornelius, Theodor Storm, August Heinrich Hojfmann von Fallersleben u. a. In der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn" von Achim von Arnim und Cle mens Brentano finden sich im Anhang mit den Kinderliedern folgende 9 Wiegenlieder: O Jesu, liebes Herrlein mein. Hilf mir wiegen mein Kin delein / Da oben auf dem Berge, Da rauscht der Wind / Eia popeia popole. Unser Herrgottche wird dich bald hole / Ich wollte mich zur lieben Maria vermieten. Ich sollte ihr Kindlein helfen wiegen / Eia popeia! Schlief lieber wie du / Hab' ich mir's nicht längst gedacht, Sitz' ich an der ^ Otto Kampmüller, Oberösterreichische Kinderspiele. Linz 1965. ^ Wir bringen im letzten Teil dieses Kapitels Wiegen lieder mit drohendem Inhalt. ^ Vgl. dazu Karl Wehrhan, Kinderlied und Kinderspiel. Leipzig 1909, S. 141. ^ Böhme, Altdeutsches Liederbuch, Nr. 492, 493. ® Nagl - Zeidler - Castle; Deutsch-österreichische Litera turgeschichte. Wien 1914, Band II, S. 135.
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