OÖ. Heimatblätter 1976, 30. Jahrgang, Heft 3/4

Zwei so verschiedene Ausdrucksformen lassen sich nicht in einen Topf zusammenwerfen, auch wenn sie zum Schmuck eines einzigen Kelches verwendet werden! Diese Pflanzen und der Tier stil II sind nicht vereinbar, kommen aus völlig polaren Kunstbereichen: einmal bis ins Unheim liche gesteigerte Verflechtung aus irisch-germaniWeinstock-Darstellungen von den Zwickeln der Cuppa scher Schau, hier eine völlig klare, geradezu klassische Lesbarkeit! Beides in vergoldetem Kerbschnitt. Wenn man schon das Zirkelschlag muster, das bis Innerasien hinein Anwendung gefunden hat, als avarisch erkennt (A. Alföldi, 30), warum sollte man nicht — was näher läge! — die Weinranken-Lebensbaum-SchicksalsbaumMotive als aus dem Sassanidisch-Persischen kom mend ansprechen? Der bulgarische Schatzfund im Wiener Kunsthistorischen Museum bringt noch viel später in den Zwickeln seiner Becher Pflanzenmotive, wenn auch nicht mehr in herr lichem Kerbschnitt. (Es ist der letzte Ausklang spätrömischen Naturalismus, der eben hier zum Niederschlag kommt.) Wenn man mit Recht das Cutbrecht-Evangeliar zum Vergleich mit den Figuren herangezogen hat — wie wäre es, wenn man auch die Herz musterranken betrachten würde? Daß sie keine „Efeublätter" sind, macht schon die Bemalung deutlich. „H erzmuster" sind jedoch avarische Formen. So interessant das bisher betrachtete Material war, die eingelegten Heiligenbildnisse — zum Teil mit ihren Attributen — waren kein geringeres Anliegen. Schon ihre Zusammenstel lung ist für den Religionsgeschichtler aufschluß reich; auch mit dem Hause der bairischen Her zöge hat man sie zu verbinden versucht. Wer die Fresken in St. Proculus zu Naturns im Vintschgau kennt, ist an diese frühesten menschlichen Darstellungen am Kelche erinnert. Sie sind wirk lich etwas Neues! Die Gesichter sind noch kin dernah reduziert, von rührender Unbeholfenheit. Aus weit geöffneten Augen sehen sie uns an, mit großen Händen stehen die Evangelisten neben ihnen Attributtieren. Nicht ganz leicht kann man Maria unter den Männern — unter Theodor, Megalomartyr, Tiburius, Johannes und den Evangelisten — herausfinden. Ob diese Be nennung richtig ist, steht nicht fest. Die in Byzanz längst entwickelte Tauschierung und Niellotechnik als neu erworbenes technisches Können verbindet sich mit der Jugend der Seele, die hier erst stammelnd-expressiv zu sprechen beginnt, nicht nur in einem Christus mit segnen den Händen, mit in — Flechtwerk — verfloch tenen Fingern aus nordischer Schau, wenn auch im byzantinischen Segensgestus. Ergreifende Ausdruckskxmst vor 1200 Jahren, die erste Chri stusdarstellung auf deutschem Boden, der erst in Jelling auf einem großen Runenstein ein stehen der, von Ranken umfangener Christus in weite rem Abstand (935) folgt. Der Granit ist in Blau, Rot und Gelb, die Darstellung unterstreichend, bemalt. („Harald Blauzahn hat ihn seinem Vater Gorm und seiner Mutter Türa, die den Stamm zum Christentum gebracht hat", gesetzt.) Mit seltsam still-beschwörendem Blick, nicht von jedem verstanden, ist unser Christus ein Vertreter des sanften Gesetzes inmitten der ver wirrenden Gefüllsel kontinentaler irisch-germa nischer Tierkunst der sich eng verschlingenden heidnischen Welt, die noch aus dem Feuerzauber kommt. Wie durch ein Fenster scheint er sich uns zuzuwenden. Noch ist germanische Unruhe und Glut nicht verloschen, der Heiland aber segnet schon seine Neugewonnenen. Nordische und christliche Welt verbinden sich nun erstmalig zu einer Einheit. Die Kunst Deutschlands steht im 8. Jahrhundert in einer „dunklen Zei t". Seit dem 4. Jahr hundert n. Chr. hat sich die römische Kunst von der Klassik abgewandt. Ab dem 5. Jahrhundert entwickelt sich die germanische Kunst. Ihre Paten sind der Orient (bis China und besonders Syrien), das verarmende Rom und die Kelten.

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