OÖ. Heimatblätter 1976, 30. Jahrgang, Heft 3/4

de Silos maurisch beeinflußte Kapitale, die wie ein Korb geflochten sind. Aus diesen Flechtfor men Verbindungen mit den Wisigoten herzustel len, würde jedoch einen völligen Irrtum be deuten. Den Perlenring mit seinen einzeln beweg lichen Perlen haben wir schon erwähnt. Die Kopie des Tassilokelches mußte auf diese Aus bildung des Ringes verzichten! Sein Vorbild wird schon aus technischen Gründen schwer zu finden sein; hat er ein Vorbild? Es ist noch keines bekannt, (ödenburg bildet die einzige bekannte Parallele.) Wenn bei dem nun folgenden Ausziertyp, der 31mal vorkommt, von „Greife n" gespro chen wird, so ist diese Bezeichnung zweifellos aus dem avarischen Bereich übernommen. Die Avaren haben solche und unzählige Variationen von Lebensbaumformen, Greifen usw. in Bronze gegossen, doch der Begriff „Greif" ist für die nun erfolgten Umformungen im Sinne des Tier stiles II hier nicht richtig verwendet, wurde doch aus dem Sinnbild der Macht, wie wir es schon aus den vielen Funden des 7. Jahrhunderts sehen können, hier etwas völlig anderes. Aus der Ge schlossenheit der Form wurde nämlich das gerade Gegenteil, durch althergebrachte Abstraktion ein unverständliches Spiel der Linien, eine völlige Umschmelzung nach Wunsch und Vorstellungen des eigenen Geschmacks. Doch auch dies kam als ferne Anregung aus dem Osten. Germanische und irische Kunst ließen dies freilich fast ver gessen, weil wir im 8. Jahrhundert in einer aus gesprochen dem Einfluß irischer Mönche offen stehenden Kunstprovinz stehen. In Salzburg fun gierte Virgilius (gest. 784), der das Entstehen des Kelches gesehen haben könnte. Auch die Tierfiguren in den Zwickeln, als „Hunde" bezeichnet, mit zurückgewendeten Köpfen in zwei Typen sind zweifellos erst hier in der endgültigen Heimat entstanden. Wirklich nordisches „Flechten" lag der klassischen Mittel meerwelt völlig fern! Diese Tierleiber gehören keineswegs zu den zweigeteilten, sondern durch stoßen oder verflechten sich selbst. Das ist nun der große Unterschied: können auch Tierleiber fast bandhaft schmal werden, so bleiben diese Tierleiber mit einem geheimnisvollen Leben er füllt, das selbst noch in romanischen Kapitälen viel später auftauchen kann. Wir haben jedoch nicht nur das Tiergewürm reichlich auf dem Kelch, sondern auch pflanz liche Motive. Ist auch Haseloffs Darstellung des Tierstiles und seine Verbindung mit dem Irisch-germanischen nicht anzutasten, so haben wir noch zusätzlich eine Reihe von Pflanzenorna menten zwischen den Feldern mit Tiergefüllsel. Sie bilden neben den mühsam zu entwirrenden Tierleibern geradezu eine Erholung. Befreit atmet der auf, der in der Mittelmeerkunst — besser gesagt nur in der Mittelmeerkunst — sehen gelernt hat. War schon das Rankenornament der Avaren der „bulgarischen" Gruppe ein ausgesprochen hellenistisches Erbe, so ist es dies — oder unter diesem Einfluß oder dem helleni stischen der Sassaniden Persiens — nicht weniger. Die Vermittlung über die Nachbarn bietet sich am glaubhaftesten an. Das jedoch heißt: neben dem „Nordischen" stünde nun das „Mediter rane"! Also eine neuerliche großartige Erweite rung, aber auch eine neue Schwierigkeit! Hier gehen die Meinungen am weitesten auseinander. Stollenmayer unterbaut auch mit den Pflanzen seine „England-These", fährt also auf dem aus gefahrenen Geleise weiter und kann sich dabei auf W. V. Jennys Arbeiten über die Kelten wie die Germanen stützen (30). Aber wieder ist es so: „Flechten" ist nicht „Flechten", — „Pflanze" nicht dasselbe wie „Pflanze". Haseloff (26, Seite 55) wird hier auffallend vorsichtig, wenn er er kennt, „daß die Ornamente vegetabilen Charak ters am Kelch ganz für sich allein stehen — daß diese Erscheinung nicht ganz leicht zu erklären sei". Die Weinrankenornamentik macht es dem besten Erforscher des Kelches schwer, die konti nentale Entstehung mit dem Kelch zu vereinen, doch wagt er nicht von der eingelaufenen Eng land-Theorie ganz abzurücken, steht auch für ihn als Ort der Entstehung Salzburg außer Zweifel. Sie scheinen ihm bei der Gesamtbetrachtung des Kelches zurücktreten zu müssen. Um was geht es eigentlich? Da sind: Palmetten, kleine Spiralsprossen und große Lebensbaum muster, zum Teil als „Weinstock" (natürlich ab strahiert und nicht naturalistisch). Sie stehen zwischen den erwähnten „Greifen" (oder Dra chen) und den sich rückwendenden „Hunden".

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