OÖ. Heimatblätter 1976, 30. Jahrgang, Heft 3/4

schnitt und Flechtband sind in den frühen Epo chen dem germanischen Gebiet ebenso fremd wie den Römern und Kelten" (Baum, 5). Es wäre ein geistiges Fest geworden, wenn FV. Worringer seine „Formprobleme der Gotik" erweitert und den Tassilokelch mit in seine bedeutende Arbeit einbezogen hätte. In ihm allein hätte er alles gefunden, um seine Darstellung zu belegen (25). Außer jedem Zweifel ist die Problematik des Tassilokelches, wie der „Landeskirche", nicht weniger kompliziert als die Frage nach der Her kunft der Baiern. Je nach der Herkunft der For scher fehlt es nicht an Widersprüchen. Allein Salzburg als Entstehungsort scheint gesichert. Eine endgültige Entscheidung liegt noch nicht vor, trotz großartiger formkundlicher Untersu chungen besonders skandinavischer Forscher und G. Haseloffs (26). Wenn es darum geht, den bairischen Kampf gegen die fränkische Zentralisation zu zeigen, ihre Absetzung von der „karolingischen Renais sance", auf die sich Karl stützt, wenn es gilt, seine Nachfolge des römischen Imperiums sicht bar zu unterstreichen, ist die Betrachtung des Kelches nicht zu überbieten, denn der Tassilo kelch ist als ein einmaliges Stück bairischer Oppositionskunst zu sehen. In ihm wird gleich sam die Wurzel des bairischen Freiheitswillens bzw. des bairischen Separatismus bis in die Gegenwart sichtbar. Kaum ein zweites Beispiel kann uns die abendländische Kunstgeschichte bieten, in dem dies so deutlich ausgesprochen zur Geltung kommt. Virgilius' Einfluß wird hier nicht zu übersehen sein. Der 25,5 cm hohe Kelch ist aus Kupfer und ist deshalb der Einschmelzung in der Aufklärungs zeit entgangen. Er wurde durch Tassilo (oder sei nen Sohn Theoto?) dem ältesten Rodungskloster der Ostmark, seinem geliebten Kremsmünster, geschenkt. Er zeigt am Fuße die Inschrift in leoni schem Vers: TASSILO DVX FORTIS LIVTPIRC VIRGA REGALIS Welch ein trotziges Selbstbewußtsein zehn Jahre vor seinem Ende, welch ein von Virgilius gestütz ter geheimer Widerstand Tassilos gegen Karl, nicht weniger auch seiner Frau, die ihm 769 angetraut worden war! Von allen Kelchen seiner Zeit ist für uns der aus dem List-Museum in ödenburg mit Abstand der interessanteste. In jeder Beziehung ärmer, ist er doch als Bruder des Tassilokelches anzusprechen. Er bringt einen Namen, der der des Goldschmie des sein könnte; es ist ein germanischer Name: Cundpald. Der Kelch soll einem MissionarBischof gehört haben, in dessen Grab er gefun den wurde. Der Bischof hieß Theoderich, so fällt der Name einem bairischen Meister zu, der die Arbeit gegen 800 schuf (wie zu lesen ist: fecit). Der obere und untere Rand ist mit einem Band werk ausgeziert, einem Flechtwerk, an das in Ab ständen zweiteilige „Bandknoten" angesetzt sind. Das Flechtwerk steht zu dem heimischen Tier stil in keinerlei Bezug, doch findet sich auch hier die Perlenkette zwischen Cuppa und Nodus, die sich wörtlich in Kremsmünster wiederholt, dort sogar als besondere Kunsthandwerksleistung — drehbar! Daß sich bei so wenigen Beispielen ein Motiv so auffallend wiederholt, erlaubt wohl die Überlegung, ob wir hier nicht einen Reisekelch aus der Werkstatt des Tassilokelchmeisters vor uns haben. Haseloffs Beweisführung (26) für Salzburg als Ort der Entstehung wäre audi für den ödenburger Kelch durchaus glaubbar. Aller dings müßte dieser Meistername die Annahmen eines „irischen" Künstlers für den Tassilokelch zweifellos zurückdrängen und noch problemati scher machen. Den Tassilokelch ergänzen zwei Leuchter, deren zeitliche Einreihung großen Schwankrmgen unterliegt. Nur einige Forscher stellen sie mit dem Kelch zusammen. Sie waren — wie Stollen mayer nachweisen will — ursprünglich der Ahnenstab, das Szepter des Herzogs (27), das man, um es vor Karls Zugriff zu retten, in diese Leuchter-Form gebracht habe. Die ergänzten Füße sind viel älter und von „skythischer Wir kung" (die Baiern kamen aus der Provinz Skythiai), Hier an „Löwen" zu glauben, fällt schwer; der Vergleich mit Echsen und mit einem Krötenkopf trifft besser zu und ist charakteristi scher. Die Formensprache des Kelches ist erregend, Er innerungen an die Wanderungen der Baiern haben sich in ihm niedergeschlagen, in ihm ist die geistige Herkunft des Baiernvolkes zu grandioser Einheit verbunden. Es überrascht uns also nicht.

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