oberösterreichische Heimatblätter Jahrgang 30 1976 Heft 3/4
% lA,;v'.;^'-A.
Tassilokelch im Stift Kremsmünster; Christusdarstellung auf der niellierten Silberplatte: I(esus), S(alvator), A(lpha) — O(mega). Höhe des Kelches 25,5 cm. Aufn.: Dr. Widder, Linz
Oberösterreichische Heimatblätter Herausgegeben vom Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege in Oberösterreidi; Leiter: W. Hofrat Dr. Aldemar Sdiiffkorn. 30. Jahrgang (1976) Heft 3/4 INHALT Otfried Kastner: Die Herkunft der Baiern und der Tassilokelch 123 Wilhelm Jerger; Der Bruckner Schüler Hermann Pius Vergeiner (1859—1900). Ein Beitrag zur Musikgeschichte Oberösterreichs im 19. Jahrhundert 145 Otto Kampmüller: Oberösterreichische Wiegenlieder . . 173 Willibald Katzinger: Die Taufbücher der Pfarre Altenfelden aus den Jahren 1597 und 1626 191 Walter A s p e r n i g: Zum Alter des Welser Ledererturmes . . 195 Konrad Eberhard (1857—1940), der Komponist eines Wolf gang-Liedes (Rudolf Zinnhobler) 198 Die „Bruderladen" des Hausruck-Kohlenreviers (Alois Grausgruber) 199 Teufelssagen vom Pfenningberg (Alois Topitz) 200 Schrifttum 203
Ansdirifien der Mitarbeiter: Professor Dr. Walter Aspernig, Lichtenegger Straße 81, 4600 Wels. Alois Grausgruber, Konsulent der oö. Landesregierung, 4682 Geboltskirchen. Professor Dr. Wilhelm Jerger, Arenbergstraße 31, 5020 Salzburg. Otto Kampmüller, Mühlenweg 10, 4100 Ottensheim. Dr. Willibald Katzinger, Schulstraße 20, 4060 Leonding. Professor Otfried Kastner, Wiss. Konsulent der oö. Landesregierung, Steinbauerstraße 15, 4020 Linz. Dr. Alois Topitz, Leystraße 19/18/27, 1200 Wien. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Zinnhobler, Dekan der Phil.-theol. Hochschule, Harrachstraße 7, 4020 Linz. Buchbesprechungen: Reg.-O.-Forstrat Dipl.-Ing. Sepp Baldinger, Heschgasse 35/8, 4840 Vöcklabruck. DDr. Manfred Brandl, Kirchengasse 32, 4221 Steyregg. W. Hofrat Univ.-Prof. Dr. Ernst Burgstaller, Lustenauer Straße 19, 4020 Linz. W. Amtsrat Norbert Grabherr, Oö. Landesarchiv, Anzengruberstraße 19, 4020 Linz. Univ.-Prof. DDr. Eduard Hegel, Gregor-Mendel-Straße 29, D-53 Bonn, BRD. Prof. Dr. Hans Huebmer, Salzburger Straße 2, 4840 Vöcklabruck. Senatsrat Dr. Georg Wacha, Direktor des Linzer Stadtmuseums, Bethlehemstraße 7, 4020 Linz. Staatsbibl. Mag. Dr. Gerhard Winkler, Bundesstaatl. Studienbibliothek, Schillerplatz 2, 4020 Linz. O.-Archivrat Dr. Alois Zauner, Oö. Landesarchiv, Anzengruberstraße 19, 4020 Linz. Zuschriften (Manuskripte, Besprechimgsexemplare etc.) und Bestellungen sind zu richten an den Herausgeber : Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege in Oö., 4020 Linz, Landstraße 31 (Landeskulturzentrum Ursulinenhof), Tel. (0 72 22) 71 5 17 u. 71 5 18 Redaktion : Wiss. Rat Dr. Dietmar Assmann, Anschrift siehe Herausgeber. Verlag: Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege in Oberösterreich. Druck : Oberösterreidiisdier Landesverlag, 4020 Linz, Landstraße 41. Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeidmet der jeweilige Verfasser verantwortlidi. Alle Rechte vorbehalten.
Die Herkunft der Baiern und der Tassilokelch VonOtfried Kastner Mit 3 Abbildungen, 1 Textbild und 1 Kartenskizze . . Die Baiern haben keinen Geschichtssdireiber ge funden, der ihre Taten aufgezeichnet hätte ... Völlig unbemerkt vollzog sich der Eintritt der Baiern in die Ceschidite." (K. Reindel, Bayern im Mittelalter, S. 9) VORWORT Seit mehr als hundert Jahren beschäftigt man sich mit der Erforschung des Tassilokelches, als abgeschlossen kann sie noch nicht gelten. Ebenso bildet die Herkunft der Altbaiern eine Reihe von Fragen, über die man sich noch nicht geeinigt hat. Dies läßt unser besonderes Interesse ver stehen. Soweit sich die Forschung überblicken läßt, sind die beiden Themen noch nie gemeinsam auf gegriffen und in ihrer Abhängigkeit gesehen worden. Die Aufschlüsselung des Ornamenten schatzes des Tassilokelches ist so kompliziert wie die Herkunft des bairischen Volkes selbst. Sucht man die Stilelemente des Kelches festzulegen, so muß es scheinen, als würde der Weg, den die Baiern nahmen, auch an diesem Kelch ablesbar. Zweifellos hat auch der Künstler, der ihn schuf, Anregungen aus der Nachbarschaft gewonnen. Aus der Zweiteilung des Titels wird die Größe der Problemstellung wie auch die Schwierigkeit ihrer Bearbeitung ersichtlich. Wie über die Her kunft der Baiern gibt es auch über den Kelch ge teilte Meinungen, wobei die Frage nach dem Ort seiner Entstehung nicht die wichtigste ist, son dern vielmehr die Aufschlüsselung der einzelnen Motive und deren Herkunft. Bisher hat man den Kelch fast ohne Seitenblick auf die Kunst der Nachbarn besprochen und so — wie es scheinen muß — der seit langem erkannten englischen Komponente über Gebühr Gewicht zugemessen. Es wird in dem vorliegenden Ver such einer neuen Dokumentation über den Tas silokelch schon mit der Herkunft der Baiern selbst die Behandlung des Kelches in der Rich tung unterbaut, wie man auch aus der Betrach tung des Kelches auf das Werden der Baiern Rückschlüsse ziehen und neue Gesichtspunkte er schließen kann. Wir stellen die uns wichtigsten Theorien über die Herkunft der Baiern vor, und reden damit auch der Osttheorie ein Wort. Die Markomannen theorie scheint bestechend einfach, für die Völ kerwanderungszeit zu einfach, ist es jedoch im Grunde nicht. Im Laufe der Jahre ist man auch sichtbar von ihr abgerückt. Mit der Auswertung der Ornamente des Kelches wird unser Blick nach Osten gewendet. Die großartige Insel Gotland soll dabei nicht vergessen sein und damit auch nicht die ursprüngliche nordgermanische Kompo nente. Daß der Balkan schon sehr früh in seiner Bevölkerungsstruktur sehr kompliziert war, macht uns die beigegebene Karte mehr als deut lich. Sie erwuchs völlig unabhängig von meiner Arbeit aus einer Forschung über die Skythen. Für ihre Überlassung möchte ich an dieser Stelle Herrn Dr. Max Feichtner sehr danken. EINLEITUNG Mit großer Erwartung hat man der Behandlung der Bajuwaren im Reallexikon der germanischen Altertumskunde (Bd. I, 5. Lieferung) entgegen gesehen. Mehrere Gelehrte haben sich auf 26 Seiten zu verschiedenen Themen ausgespro chen. Unter Literatur, Historik, Politik, religiöse Vorstellungen, Archäologie, Siedlungswesen, Tracht usw. bleibt — wie auch anders — die Frage nach der „Stammbildung der Baiern wäh rend der Wanderung" das eigentliche Hauptpro blem. Hier konnte man von sprachwissenschaft licher, historischer und archäologischer Seite noch zu keiner gemeinsamen Auffassung kommen. Nach wie vor stehen sich Einwanderung aus Böhmen — nun schon mit Aufgabe der Marko mannentheorie, jetzt spricht man von Elbsueben — und Sitze außerhalb Böhmens gegenüber. H. Roth (1) spricht von mehr als zehn Theorien, man kommt jedoch, ohne alle Meinungen aufzu greifen, auf etwa vierzig Forscher, die zu dem Thema Stellung nehmen. Mit aller Vorsicht spricht man nun doch auch davon, daß sich im Osten ein neuer Stamm zusammengeschlossen habe, der endlich zu einem Volk zusammen geschmolzen sei. Er sei aus kleinen Gruppen ver schiedener Stämme des Ostens — auf das „Masurische Element" wird wiederholt hingewiesen! — entstanden. Man spricht auch schon von einem östlichen Merowinger-Reihengräberkreis, der sich besonders in Mähren, Niederösterreich und Pannonien in der ersten Hälfte des 6. Jahr hunderts entwickelt habe. Für das heutige Öster reich sei eine Siedlungskontinuität „von der bai rischen Genese bis zur römischen Zeit" erwiesen.
ja man habe besonders Oberösterreich geradezu als einen „Schmelztiegel" anzusehen. Jedenfalls liegt eine friedliche Besetzung vor. Vergleicht man die alten Baierntheorien, so kann man be reits eine stärkere Blickwendung nach Osten nicht übersehen. In meiner gewonnenen Übersicht werden die Bai ern im Laufe der Forschungen sedismal mit den Markomannen, dreimal mit den Langobarden identifiziert, selbst der Begriff „Zwillingvolk" taucht auf. Kaum ein germanisches Volk in Europa wurde mit den Baiern nicht verbunden. Immer wieder werden die Beweisführungen mit Ausdauer und Fleiß zu stützen versucht. Freilich haben auch neue Funde die Ausgangsbasis ver lagert. So galt Oberösterreich Jahrzehnte lang als fundleer. Die seltenen Einzelfunde wurden je doch in den letzten Jahrzehnten in ausgedehnten Reihengräbern durch Hunderte von Skeletten er gänzt. Die Slowakei wird hier zweifellos nach folgen, wenn sie es zeitlich vermag. In der Bedeu tung als germanischer Siedlungsboden kann sie jedoch ohne Zweifel nicht übersehen werden. Ru mänien zeigt in seinem Bukarester Museum ger manische Goldschätze, hinter denen jene Un garns nicht übergangen werden sollten. Nach H. Zeiss (4) haben die Baiern den Lech um 526 bis 535 erreicht. Nach J. Baum (5) um 535. Von hier aus hätten sie sich weiter ausgebreitet: sowohl in die östlichen Donauländer (Noricum) als auch bis Südtirol. Die Jahre 520 bis 530 wer den auch für die ersten bairischen Stöße nach Bayern selbst angenommen. Das Jahr 535 wurde für die Erreichung des Lechs festgesetzt. Trotz dem gibt es auch eine Zahl 493, mit der man die Baiern als „Herrn der Ostalpen" verbindet. Nach dem Sieg der Langobarden über die Gepiden hat ten die Baiern 567 eine Vereinbarung getroffen, nach der beide Völker zur Landnahme aufbra chen. Nach der Erreichung des Birnbaumersattels (östlich von Görz) hatten die Langobarden einen wesentlich leichteren Aufmarsch als die Baiern mit dem Weg durch das „Land im Gebirge" (Tirol). So lag Säben noch 590 in der Lombardei. Bozen wurde erst knapp vor 600 erreicht, Meran 710 und nach Verlust wieder 732. Doch hatte Baiern durch seine Lage an den wichtigen Alpenpässien eine Schlüsselstellung erreicht. Ja Baiern war zeitweise so stark, daß es in langobardische Verhältnisse eingreifen konnte. In Trient hin gegen erreichte Erwin von Trient (18) eine so bedeutende Selbständigkeit, daß dort die bairische weitere Landnahme abgeriegelt wurde. Die ladinische Vorbevölkerung wurde erst noch lange nicht von den Baiern und Langobarden durch setzt. Doch wurde das Tal südlich von Trient unvergleichlich rascher italianisiert. Der Vintschgau wurde von Chur aus durch die Franken öfters bedroht (785). Das Drautal war von Osten her seit 591 von den Slovenen (Alpenslaven), ohne daß sie auf Widerstand stießen, besiedelt. Tassilo III. griff hier kräftig ein. Es kam zur Gründung des Klosters Innichen 769, und auch der Sieg von 772 blieb trotz Gegenschlag weithin geschichtsbestimmend. Kremsmünster (777) kam im Traungau gegen das Gebirge hin eine ähnliche Aufgabe zu. Hier waren die Alpen slaven nur in kleinen Horsten, nicht wie im Drautal geschlossen, eingesickert. Die Nachbar schaft mit den Avaren war an der Donau fried lich geworden, während sie ostfränkisches Gebiet zweiunddreißigmal aufsuchten. Im Norden gin gen die Slaven noch nicht über das Gebirge des Böhmerwaldes. Budweiser Siedlungsgebiete ver fielen wieder den Wäldern. Neben den Kelten verblieben sicher auch kleine Reste von Herulern, Skiren und Rugiern — durchwegs ostgotische Stämme — im Lande. Die Stilelemente des Tassilokelches zwingen den Kunsthistoriker, selbst noch im 8. Jahrhundert nach Osten zu schauen. Wir finden in diesem Kelch von Oberösterreich aus einen neuen un übersehbaren Baustein aus der Zeit um 770 bis 780, den wir zur Herkunft der Baiern heranzie hen müssen. „Baia" ist nicht nur der Name einer Bucht; von ihr ging Zibermayr (19) aus, weil er die gleich namige Donausiedlung nicht kannte. Mit einer dritten Wendung schaute man bei diesem Wort an die Elbemündung. Für die Langobarden, die aus Dänemark kommen, mag diese verbindbar sein. Im Donaudelta gibt es eine Insel mit dem Namen Peuke. Die Gegend der Weichselmün dung wird wichtig, wenn man von Masurogermanen spricht. Von dort wird sie von der Insel Gotland aus ein bedeutendes Ziel. Die Begegnung mit dem Museumsdirektor von Visby, der Hauptstadt dieser Insel, war äußerst
Wanderweg der Baiern 1200 v.- 500aChn BASTARNENCATMONOn. PEUKINER, BAIERN SKIREN CSIDONES, TRANSMONTANOIJRANSIUGITANIJ SKYTHEN. NEURER. ROXÖLANEN. ALANEN ^ ßlutsvermischungen ( J 1200 V: fQPDGEßMANt 100 200 300 km ^•. WÖ-. sav. \ ' '..•VX • itt*230v. w v.v / . P^UKMNER
befruchtend. Wir besuchten auch jene Natur festung, auf der sich die Jugend verschanzte, die ausersiehen war, die Insel verlassen zu müssen. Die Auswanderung erfolgte endlich gegen den Willen der Jugend unter dem Druck der Insel bevölkerung. Diese Handelsbauern waren alles andere als Wikinger. Sie landeten an der gegen überliegenden Ostseeküste im Räume der Weich selmündung und erhielten nicht nur weiter den Bevölkerungsüberschuß der Insel wie auch junge Schweden vom Festland als dauernde Verstär kung. Als früheste mögen die Bastarnen von dort nach Südosten abgezogen sein. Die nordgerma nischen Skiren wohnten westlich anschließend. Der ungarische Forscher Läszlo (23) läßt sie gleichfalls von Gotland kommen. Ihre Wande rung blieb immer westlich der Bastarnen bzw. Goten (Oder — San — Theiss — Donau [Baia]). Dieses Thema wird uns noch weithin beschäf tigen. Wenn man bereits von einer Stammesbildung während der Wanderung spricht, so ist auch hier eine Abwiendung von der Böhmentheorie zu ver stehen, denn die Umsiedlung über den Böhmer wald kann man nicht gut als „Wanderung der Baiern" bezeichnen. Diese Hinwendung zum sehr Komplizierten erklärt sich auch aus der Auf schlüsselung der Ornamentik des Tassilokelches, die aus dieser Perspektive mühelos würde. Daß man allein mit irisch-englischer Formenwelt das Auslangen finden könnte, hat schon Haseloff an deutend bezweifelt (26). In seiner 27. Auflage geht nun Ploetz (3) auch schon auf die Peukiner (nach der Insel Peuke) ein. Unsere Karte von Dr. Max Feichtner (2), die aus seiner sich über Jahrzehnte hinziehenden Skythenforschung erwuchs, könnte uns helfen, viele Annahmen über ihre Ansätze hinaus stüt zend zu erhärten. Die Angaben durch Ploetz be stätigen Feichtners Feststellungen in erfreulicher Weise. An Hand seiner Darstellung läßt sich mit einem Blick das ungeheure Geschehen der Völ kerwanderung überblicken. Zibermayrs Grund ansicht findet darin ihre Bestätigung. Freilich mußte sie sich auch eine Korrektur gefallen lassen. Zur Frage nach der Herkunft der Alt-Baiern kennt man heute mindestens vierzig Arbeiten mit mehreren, zum Teil sehr entgegengesetzten Meinungen. Eine Entscheidung über ihre Richtig keit ist noch nicht gefallen. Über die uns am wichtigsten scheinenden werden wir kurz berich ten. Dabei wird klar, wie weit diese Fragen schon zurückreichen. DIE FRAGE NACH DER HERKUNFT DER BAIERN Ginge man der umfangreichen Literatur nicht nach, so würde man es als eine maßlose Über treibung halten, würde man erfahren, daß das Volk, das endlich zu Baiern wird, mit mindestens zwanzig Völkern in Kontakt gekommen ist. Frei lich wird nur einmal von einem „Zwillingsvolk" gesprochen, und manche Annahmen gehen, trotz aller Versuche, die Ansicht zu erhärten, fehl. 1. Die älteste Erwähnung wird gerne als „Mär chen" bezeichnet. Es sind mittelalterliche Klosterannalen, die sich dieser Frage zuwenden, und die Baiern, wohl im Zusammenhang mit den Kreuz zügen, aus „Armenien" abstammen lassen. Man könne diese Nachricht im Annolied als die erste Osttheorie bezeichnen, die jedoch einer Begrün dung keineswegs entbehrt: es ist die Osseten frage aus dem Kaukasus. 2. Geradezu verhängnisvoll sollte die zweite Auf fassung werden. Hier ging man von dem Namen „Baier" (im Dialekt „Boar") aus und verband ihn mit „Boier" und „Böhmen" (Boiohemnia), dem Wohnsitz der keltischen Bojer. Dies sollte wohl nachträglich die ethnische Untermauerung dafür geben, daß die „keltischen" Bayern an der Seite der „keltischen" Franzosen unter Napoleon kämpfen mußten. (K. Zeuß 1837, Neudruck 1925.) 3. Schon 1837 und 1839 wurde diese Legende durch H. Zeiß (4) zerstört und anstelle der Kel tenabstammung wurden die Baiern als Nach kommen der Markomannen erklärt. Noch 1971 hat K. Bosl in seiner „Bayrischen Geschichte" auf die Auffassung, daß keine Landnahme vorliege, zurückgegriffen. 4. In dieser Westtheorie wurzeln noch zahlreiche weitere Arbeiten. Auch die Geschichtsatlanten (7) zeichnen noch heute das Volk der (Alt)- Baiern in Böhmen ein. Das Germanische Museum in Nürnberg jedoch geht dieser Frage völlig aus
dem Weg! Auch W. v. Jenny brachte nur ein bairisches Beispiel (8). An dieser Auffassung halten mehr als ein halbes Dutzend Gelehrter fest. So noch 1961 J. Werner (35), das heißt an der Abstammung der Baiern von den Markomannen bzw. von Böhmen als Herkunftsland. Bei der Überlegung der Einmarschwege durch die Wälder in der Richtung Regensburg wurde für das oberösterreichische Gelände auch der Haaelgraben und die spätere „Via regia" in Erwähnung gezogen. Es fehlt also auch von bairischer Seite nicht an Annahmen, daß die Baiern über Oberösterreich, den Inn überquerend, bis zum Lech vorgedrungen wären, daß sie also vom Osten her die Landnahme voll zogen hätten. Daß man von Schüben aus Süd böhmen sprach, wo Grabfunde der Markoman nen völlig fehlen, hat auf Widerspruch stoßen müssen. Auch lagen die Hauptsiedlungsgebiete der Markomannen vor allem in der fruchtbaren Beckenlandschaft um Prag. Die riesigen, rauhen Wälder im Süden mied man, solange genug Wohnplatz da war. Obwohl mindestens zwei Dutzend Gräber im Lande Oberösterreich bekannt waren (9), galt es in der Literatur meist als „völlig fundleer". Heute sind über 250 Gräber — aus den Reihengräbern — vor allem zwischen Linz und Wels — gehoben (24). Das Blatt hat sich also völlig gewendet. Die Baiern als Nachkommen des volkreichen Stam mes der Markomannen anzusprechen, kann heute als überholt gelten. Wir wissen, daß sie wie die Skiren, Gepiden und Ostgoten das Fuß volk in Attilas Heer bildeten. Große Teile sind, der March folgend, nach Ober-Pannonien abge zogen. Auf eine Westwanderung werden wir noch zu sprechen kommen. Natürlich gab es auch markomannische Truppenteile im Römischen Heer. Viele gingen — in Böhmen bleibend — in den neuen Völkern, die nun die Herren waren, auf. 5. F. X. Pritz (10) verwarf die „Böhmentheorie" und trat schon 1846 für den oberungarischen Raum ein. Unter diesem Gebiet können wir uns die heutige Slowakei vorstellen. Er blieb mit die ser Annahme nicht allein. 6. J. Grimm (11) folgte schon 1849 vom Sprach lichen her und bringt die ostgermanischen Skiren. Ihr Name heißt so viel wie die Hellen, Leuchten den, Unvermischten. Sie waren, wie wir schon hörten, zumindest Nachbarn der Masurogermanen. Durch Odoaker sind sie in die Geschichte eingegangen. Er brachte den Abtritt Roms zur Entscheidung. Wir haben ihren Aufmarsch an die Donau schon dargestellt. (Den Besuch Odoakers bei Severin haben wir schon in der Volksschule gelernt.) Wir werden ihnen noch öfter begegnen. 7. 1917 bringt V. v. Geramb von der Seite der Bauernhausforschung her ostgotische Erkennt nisse (12). Dieses Ringen zwischen den beiden Haupttheorien zieht sich durch mehr als hundert Jahre hin. München verficht die West-, Wien z.T. die Osttheorie. Auch den Anhängern der Markomannennachfolge mußte schließlich der re lativ starke Bestand an gotischen Worten im Sprachenschatz des bairischen Volkes bis in den heutigen Dialekt auffallen (19). Ebenso gab das bairische Volksrecht zu Überlegungen Anlaß. Of fensichtlich war ihm das westgotische Recht vor ausgegangen. Doch noch 1941 lehnt F. Stroh jede Möglichkeit einer Verbindung der Baiern mit den Westgoten ab (9). 8. Mit seiner großangelegten Wochentagsfor schung trat 1931 E. Kranzmayer (14) auf, in der er nicht nur eine deutliche Grenze gegen die Schwaben erfaßte, sondern auch A. Schmeller (15) bestätigte. Beide erbrachten für Dienstag, in unserem Dialekt „Ertag", einen Hinweis auf den griechischen Kriegsgott Ares. Da Kranz mayer noch für Donnerstag und Freitag (hemera Aphrodites und paraskeve-Tag der Vorberei tung) festlegte, mußte man sich die Frage stellen, auf welchem Weg diese Worte in den Sprach gebrauch der Baiern gekommen sein könnten, in dem sie noch heute lebendig sind. Das Gewicht der sprachwissenschaftlichen Beobachtungen er weiterte sich noch durch die Erkenntnis, daß nicht nur diese volksgriechischen, sondern auch minde stens dreißig (40?) gotische Worte (16) heute noch in voller Verwendung stehen. 9. Der Langobarde Paulus Diaconus weiß um 760 zu berichten, daß Angehörige des bairischen Stammes auch im Heere Attilas gewesen wären, nicht anders als die Skiren. (Siehe auch Läszlö, 23). Es erhebt sich die Frage, wo Attila die Baiern rekrutiert hat, wenn damals noch die Markoman-
nen in Böhmen saßen und die Einwanderung nach Noricum noch nicht erfolgt war!? Sprach wissenschaftler schließen aus der Notiz des Pau lus Diaconus auch, daß der Name „Baiwaren" ~ nach Much nicht Bajuwaren — vor Attila nicht gebräuchlich war. Damit stehen wir mitten in der Osttheorie über die Herkunft der Baiern. Die Ostgoten bauen unter Theoderich nach der Er mordung Odoakers im Osten das größte ger manische Reich aus, das 20 Jahre auch die West goten mit umfaßte und so bis Spanien reichte. 10. Über die vierzweifelte Lage der Völker der Donauprovinzen während der Völker wanderung szeit liegt uns eine Schilderung von 511 in der vita Severini des Eugippius vor. Sie ist wegen der Aufzählung der germanischen Stämme im Donauraum für uns wichtig. Weder Markomannen noch Baiern werden genannt. Sie waren eben noch nicht im Donauraum und nicht mehr in Böhmen. Die neuen Herren waren zwi schen 475 bis 509 die Heruler, die vom Asowschen Meer als „Früh-Wikinger" heraufgekom men waren. Die Hauptmasse der Skiren war 453 nach Baia weiter nach Süden gezogen, ist später in Nordmähren (3). Im Waldviertel sitzen die Rugier bis an die Donau. Die Sweben sind ihre östlichen Nachbarn. Die Baiern sind noch nicht da. (Erst gegen 489 kommen sie gegen Lorch?) Skiren, Skythen und Baiern (Peukiner) vermi schen sich im Räume um den Plattensee. Von den Skythen hat sich in der Sprache nichts erhal ten, es war die kürzeste und schwächste Begeg nung. 11. Für die Verbindung von Baiern und Skiren, die den gotischen Wortschatz erklären würden, traten E. Klebel (13), £. Benninger (24), R. Much und F. Stroh (9) noch 1940 ein. Ihrer Meinung nach ist dieser „Neustamm" (H. Zöllner, 18) am ehesten in der Slowakei entstanden. Dies ist die Auffassung der Wiener Schule, die als Lehr meinung gilt. 12. 1934 stellte /. Zihermayr die Herleitung des Namens Baiwaren von der Baja-Bucht fest, die unweit von der Istermündung am Schwarzen Meer liegt. Der Name der Insel Peuke taucht bei ihm nicht auf. Auch die Siedlung Baia an der Donau war ihm nicht bekannt. Mit einem Schlag war so die Heimat der Baiern von Böhmen in die Dobrudscha nahe der Donaumündung in die Umgebung von Konstanza in Rumänien gerückt worden. Klebel, mit dem ich damals sprach, konnte sich mit dieser revolutionären Meinung nicht anfreunden. Jordanes und Ptolemäus liefer ten ein Wort „Baiannoi", das ebensogut zu verwenden war wie die Erkenntnisse E. Kranz mayers. Nicht nur K. Weinhold (16), auch 7. Hoope waren schon vorangegangen. So waren die Flußnamen Erlaff und March in diesen Zu sammenhang gestellt worden (20). 13. Verständlicherweise mußte die Frage auftau chen: Wie kamen die Baiern ans Schwarze Meer? (Weiter als bis in die Slowakei hatte man sich ja noch nicht zu gehen getraut.) Das kann nach allem nur im Verband der großen Gotenzüge er folgt sein. So werden die Baiern auch zwischen Ost- und Westgoten angesiedelt. Als sie kamen, waren sie aus Nordgermanen schon Ostgerma nen geworden. Sicher seit 1000 v. Chr. oder noch früher kamen sie aus Schonen und von der Insel Gotland übers Meer an die Weichselmündung. 300 V. Chr. setzten sich die Bastarnen in Marsch und nun beginnt die Geschichte der Ostger manen, die L. Schmidt im Werk „Die Ostger manen" (21) schildert. Sie gerieten in die Sümpfe und endlich an den Dnjestr. Die Skiren, so nimmt man an, mögen schon vor 500 nach Süden ab gebogen sein. Ungeheuer weite Gebiete, weithin auch sehr fruchtbar, so daß die Ostgoten eine ausgesprochene Landmacht blieben, kamen in das Bewußtsein der germanischen Völker. In der Krim hielten sich Ostgoten noch durch Jahrhun derte in eiruer rings von Tartaren umgebenen Sprachinsel. Jene Goten, die in Mösien Land nah men, wurden Westgoten (Wisigoti), die Gepiden zweigten in dieser Auffächerung etwa 250 nach Christus nach Siebenbürgen ab. Endlich wurden die Heruler am Asowschen Meer ein Seefahrer volk, die „Wikinger der Ägäis". Im 3. Jahrhun dert wurden von ihnen die Küstenstädte restlos ihrer Goldschätze beraubt. Noch weiter im Osten saß ein skythischer Stamm, die Alanen, von denen ein Teil den Hunnen auswich und dabei bis in den Süden Portugals zog. Die Ostgoten widersetzten sich, waren aber den Reitermassen nicht gewachsen, fielen so unter Attilas Macht, während sich der greise König nach verlore ner Schlacht selbst das Leben nahm.
Die „Baiern" hätten auf dieser Insel unmöglich ein volkreicher Stamm werden können. Unsere Suche kann also noch nicht beendet sein. Zibermayr betont den Volksreichtum des bairischen Volkes, wie es in der Slowakei zu siedeln be ginnt. Er spricht von „großem Volk". 14. Nun haben wir noch einen Forscher vor zustellen, den Verfechter der Alemannentheorie A. Helbok, der seine Theorie 1929, 1932 und 1941 brachte. Zwar schenkt ler auch den Lango barden starke Aufmerksamkeit, wenn er auch dabei bleibt, daß die Baiern ihrer Volksmasse nach Alemannen gewesen seien. Mit dieser An nahme ist er nicht allein geblieben. 15. A. Schneider hat seine Langobardentheorie schon 1923 entwickelt und 1933 neuerlich erwei tert. Daß die Berührung der beiden Völker wie derholt stattfand, haben wir inzwischen auch schon im Zusammenhang mit Südtirol feststellen können. 16. R. Holzmann hat sich 1934 um die Bekannt gabe dieser Ergebnisse in weiteren Kreisen mit Geschick bemüht. 17. E. Klehel (13) meint 1939, daß eine Teilung der Langobarden nicht nötig sei. Eine west-östliche Einwanderung, wie sie Helbok über die Ing-Namenverbreitung zu erhärten versuchte, ist seiner Meinung nach nicht denkbar. Er führt nun die Skiren ein, die einst westlich der Weichsel mündung siedelten, und sieht die Baiern in zwei Vorstößen unter langobardischer Oberhoheit — z. T. über Oberösterreich — Baiern besetzen. Nach ihm sind die Baiern 558 unabhängig. Er spricht von vier bairischen Gauen. Als Jahre der Besetzung gibt er die Jahre 488, 534 bis 536 und 555 an. Er weist auf eine St.-Gallner-Glosse hin, nach der die Baiern Reste der Vandalen seien, die über Spanien nach Nordafrika abgezogen sind. 18. Neuerlich stoßen wir auf das Thema „Baja", wodurch Böhmen als Stammland in eine völlig neue Blickrichtung kommt. B. Keusch hat näm lich 1928, von Baia-Bucht ausgehend, die Baiernsitze an die Elbmündung gelegt, und sie die Elbe aufwärts ziehen lassen. Schon 1908 hat Widemann nach Osten geschaut. Erst 1944 wurde er wieder neu ins Bewußtsein gebracht, nachdem Zibermayr neuerlich seine Osttheorie in der 2. Auflage, ohne sich im leisesten der Kritik zu beugen, herausgebracht hatte. 19. und 20. Doch 1949 bringt H. Loewe in seiner Arbeit „Herkunft der Baiern" eine völlig neue Wendung. Auf J. Schnetzer (1919, 1940 und 1941) fußend, verfolgt er die abwandernden Markomannen in den Ortsnamen bis Nordfrank reich nach Westen. Vielleicht wird mit dem Blick auf die Marmaigne das Verschwinden der Mar komannen etwas aufgehellt. Baja liegt auch nach seiner Auffassung im Süden der Slowakei. Die Stadt findet sich auch auf Feichtners Karte. Nun werden auch die Sueben wichtig. Schnetzer läßt Baia aus dem keltischen Boio (Böhmen) stam men. Das ungarische Erzgebirge (Slowakei) er scheint auch ihm bedeutend und als Wohnsitz durchaus möglich. 21. Schon ab 1950 spricht sich Mitscha-Mährheim für eine Mischung der Baiern aus gotischen, swebischen, herulischen und ossetisch-sardischen Elementen unter skirischer Führung aus. Ihm ist der Blick nach Osten bereits selbstverständlich. Wenn er unter „sardischen" Elementen Skythen versteht, so würde er sich mit Feichtners Indogermanen, die auch aus dem Weichselraum noch vor den Bastarnen nach Südosten ziehen, ver stehen lassen. 22. F. Popelkas ausführliche Auseinandersetzung „Die Streitfrage über die Herkunft der Baiern" bringt zusätzliche, noch nicht erwähnte Namen mit Arbeiten zu dem Thema: S. Riezler (1927), M. Heuwieser (1926), H. Preidel (1928) und E. Schwarz (1927). 23. R. Schöller (1972) weist auf den bairischen Brauch der Totenbretter, auch die Gepflogenheit, Hühnereier ins Grab mitzugeben, wird nun schon für die Markomannen als Sitte, die man mit den Baiern verbinden könnte, herangezogen. 24. L. Schmidt schaut neuerlich nach Osten. Seine Theorie wird vom Grazer Gelehrten Popelka (22) als „gewunden" bezeichnet, Ungarn wird ungern angenommen, denn all seine Liebe fällt den Sueben zu, um die man sich bisher wenig ge kümmert hat. Vielleicht sind nicht alle in den Westen Spaniens ausgezogen? In Galizien be kennt man sich heute stolz als Keltennachwuchs. Die Westgoten wurden bei Astorga abgewehrt.
Vielleicht war diese Schlacht sehr verlustreich. Ebensogut mögen nur Teile abgewandert sein und so der Rest sehr bedeutungsvoll für unsere Frage sein. Auch Popelka erklärt die ostgermani schen Einschläge mit den Vandalen^ die in der Slowakei ihre Nachbarn waren. 25. Nach dem Linzer und Grazer Gelehrten legt nun der Salzburger S. Kaufmann (22) eine neuerlich das Blickfeld erweiternde Arbeit vor, in der er sich völlig zur Osttheorie bekennt. Er greift auf die Bastarnen, die wir schon als Skan dinavier, die über die Ostsee gekommen sind, kennengelernt haben. Ihre Auffächerung bei der Landnahme haben wir schon skizziert. Nach dem Einbruch der Hunnen zeigt sich die volle Kom pliziertheit. Die Beskiden und Waldkarpathen liegen schon hinter dem Aufmarsch, das Schwarze Meer ist erreicht. Eine Insel in der Donaumün dung namens Peuke wird für diese Periode na mengebend. Attila ist noch nicht da, aber die Roxolanen und andere Skythen kommen von Osten her in das Land, werden vielleicht der Anlaß, daß die Peukiner sich in drei Gruppen aufspalten, so daß es zu den verwirrenden Zügen kommt, die unsere Karte zeigt. Es hat ganz den Anschein, als wiche man einem Kampf aus, dort, wo man bleibt, kommt es zu Blutvermischungen. Eine Gruppe kommt über die kleine Walachei in das Land östlich der oberen Theiß. Eine andere Gruppe gelangt nach Obersteigung der Beskiden entlang von Hernad und Topla in die Gegend westlich der Theiß in Räume der heutigen Slowa kei. Doch außerhalb der Bagibareia kam eine dritte Gruppe der Peukiner in die Gegend der Savemündung auf ehemals römische Gebiete nach Istria. Das Bagibareia der Skiren verschob sich allmählich in das Alföld. Als die Ostgoten Pannonien räumten, kam es dort zu einem end gültigen Treffen der einzelnen Volksteile der Peukiner. Bis dort hatten sie in drei verschie denen Räumen gelebt, so daß wir sie nicht nur wechselnd in allen Teilen Rumäniens finden, son dern auch in Serbien, woran noch die Flußnamen wie Morawa, Jesawa, Reswa, Kissawa und Bresawa erinnern. Sie alle trügen noch das ger manische „Akwa", was Ache heißt, weiter. Zu den Langobarden wichen sie nach einer Nieder lage, die ihnen Theoderich d. G. beibrachte, an das Nordufer der Donau aus (493). In den fol genden 15 Jahren wären Langobarden und Peu kiner zu „Zwillingsvölkern" zusammengewach sen. Von Ufernorikum aus wird die Landnahme im bairischen Alpenvorland und im -übrigen Österreich vollzogen. 520 gelang es den Baiern — erst sprach man von Bastarnen, dann von Goten, von Peukinern, nun endlich von Baiern —, bei öttingen die Ostgoten zu besiegen, was sie in ihrem Sonderbewußtsein überaus stärkte (Salzburger Chronik). 26. Durch H. T. Günther werden 1938 endlich die Baiern mit innerasiatischen, 1946 mit hunnischen Elementen zusammengesehen. Selbst die alte Sage des Annoliedes mit der Herkunft aus Klein asien (Armenien) wird mit der alanisch-osseti schen Unterwanderung aus Kaukasien ver bunden. 27. Eine neue These, von ungarischen Forschern erst in jüngster Zeit erstellt, bringt eine Bestäti gung der Annahme unserer Forscher. Der Name „Baianoi" scheint zwar nicht auf, doch kann die Erwähnung der Skiren an der Küste des Schwar zen Meeres kaum überraschen. G. Läszlo schreibt in „Steppenvölker und Germanen" 1970; „Die Skiren lebten ungefähr fünfhundert Jahre lang in einer spätskythischen-sarmatischen Umgebung an der Küste des Schwarzen Meeres und sie waren hier, bevor sie ins unga rische Gebiet kamen, bereits die treuesten Bun desgenossen der Hvmnen." Im Laufe der Jahr hunderte ohne germanische Nachbarn mögen sie den griechischen Namen Transmontanoi erhalten haben. Sie sind zumindest die wiederholten Nachbarn der Peukiner, als sie zwischen Donau und Theiß von Norden her Baia erreichen. Zwei fellos hatten die Forscher, die die Skythen für die Baiern bedeutungsvoll sein ließen, recht. Auch Dusan sieht die Baiern am Unterlauf der Donau. Aus der Auswertung der Grabbeigaben — viel leicht sogar denen der Mutter Odoakers — folgt, daß die Skiren ihre Königswürde auf byzantini sche Art demonstriert haben. Es ist bekannt, daß Gold als Symbol des göttlichen Lichtes und Rot (Purpur) in Byzanz nur der königlichen Familie gebührten. Das Auftauchen der Tierdarstellun gen hingegen ist keine byzantinische Tradition, sondern skythisch-sarmatisches Erbe. Sie müssen
an der Küste dicht gesiedelt haben, denn die Römer gaben dieser Gegend die Bezeichnung „Skythia". Die Goldschätze der skytischen Kurgane sind berühmt. Als indogermanisches Reiter volk standen sie zuletzt in reger Verbindung mit den griechischen Stadtkolonien. Die Baiern kommen als das „klassische Donau volk" (Zibermayr) zum drittenmal an die Ufer der Donau und bleiben es endgültig, da schon 488 Ornulf, Odoakers Bruder, die ramunsche Bevölkerung nach Italien zurückgeführt hat. Wenn auch die keltischen Bauern auf der Scholle verblieben waren, so daß das Land keineswegs menschenleer war, so war in den weiten Räumen Platz genug. Sie wurden so der letzte (ost) ger manische Stamm, der in Südgermanien selbst seßhaft wurde. Sie stießen über die Traun zum Inn, zur Isar, zum Lech (vielleicht sogar bis an die Iiier) vor. 28. Der Augsburger H. Fischer kommt mit rei chem Aufgebot abermals auf die Herkunft von den Alemannen in: „als die bajuwaren ka men", Landsberg a. L. 1971. 29. K. Reindel, „Bayern im Mittelalter", bringt das Thema in schlichter Erzählung. Er spricht von einer „friedlichen bayrischen Stammesbil dung", entscheidet sich jedoch nicht für den Raum ihrer Herkunft. Der wiederholten Verbin dung von Gattinnen (Walderada, Theudelinde, um 575 und 589) widmet er ausführliche Dar stellungen. DIE ENTWICKLUNG DES BAIRISCHEN VOLKES SEIT DER LANDNAHME Durch die Besetzung dieser ausgedehnten Län dereien gelangten auch die bedeutenden römi schen Stadtkastelle Augsburg, Regensburg, Salzburg, Fassau und Lorch (Lauriacum), die für die Zukunft wichtig werden sollten, in ihren Bereich. Im Laufe der Entwicklung zogen sich die Augsburger Bischöfe aus der römischen Randprovinz nach Chur zurück, das sie zu einem neuen Zentrum ausbauten. Salz burg und Passau, Regensburg und Freising er reichten besonderen Rang. Die beiden ersteren rivalisierten im großen Kolonisationswerk des Südostens, in dem sie eine geradezu ungeheure Leistung vollbrachten. Welcher dieser 29 vorgetragenen Theorien, die sich je nach Stellungnahme noch vermehren ließen, man nun auch folgen will, mit der end gültigen Landnahme an der Donau erhebt sich die Frage nach den Nachbarn der Baiern. Diese Frage beschränkt sich erst noch auf den Osten, später auf den Südosten, denn der bairische Sied lungsboden stellte politisch gesehen eine aus gesprochene Keilsituation dar, die sein histori sches Schicksal wurde. Der mächtige Donaustrom fließt von Westen nach Osten, nicht wie die Ströme Norddeutschlands von Süden nach Nor den. Alpen und Karpathen bilden bei Hainburg eine „Pforte", diese zu halten, war die „Ost markaufgabe", schon bevor es diesen Namen gab! Die Spitze dieses Keiles konnte je nach dem Verhältnis zu den Nachbarn mehr oder weniger weit nach Osten vorgeschoben werden. Für die bairischen Siedler kamen vorerst allein die norischen und rätischen Räume in Frage. Noch standen die Mauern der römischen Städte, doch der Baier nahm keineswegs etwas von der römischen Kultur an und entwickelte sich weiter zu einem Bauernvolk. Als die Baiern in deutli chem Abstand vor den Avaren, die in ihrem Sog die Slawen mitbrachten, in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts in die günstigen Sied lungsräume gekommen waren, hatten sie noch keinen Anlaß zur Rodung neuer Waldgebiete nördlich der Donau. Ihre Flanke schien gegen Böhmen durch den „Nordwald" noch Jahrhun derte lang geschützt. Weiler und Haufendörfer weiter im Osten drüber der Enns (die die „Grenze" gegen die Avaren bildete) — dauernd in einer Kontaktzone — lassen die Frage nach dem Nachbarn nicht übersehen! Die verhältnismäßig jungen, großartigen Ergeb nisse unserer Spatenforschung haben nicht nur unseren Gelehrten bei ihren scharfsinnigen Schlüssen weitergeholfen, sie ist auch in der Lage, uns bei der Frage nach den Nachbarn zu helfen. Die Archäologen haben zutage gebracht, was die Quellen den Historikern verwehrten. Mit Recht kann A. Kloiher sagen: „Die Kenntnis der lückenlosen Entwicklung der bairischen Gräber ausstattung hätte man noch vor zwanzig Jahren nicht zu träumen gewagt" (24). Nicht nur die mehr als zwei Jahrzehnte währende Ausgrabung in und um Lorch, auch die Ausgrabungen in
Zizlau (I, II, III), in Rudling, Wels u. a. o. haben gewaltige neue Einblicke erlaubt. (7- Reitinger, Ä. Kloiber usw.) Die Langobarden waren durch die Ausgrabungen in Niederösterreich und Bur genland schon früher bekannt geworden. Solange sie noch in Pannonien saßen, wo sie die Ost goten abgelöst hatten, war die Frage nach der Nachbarschaft harmlos. Ihr Schmuck in Italien ist einigen Linzer Stücken völlig gleich. Flechtwerk steine sind nicht nur in Kärnten geradezu häufig. Die Grenze zwischen langobardischer Kunst und bairischer ist noch nicht endgültig gezogen. An ihre Stelle zog das Reitervolk der zopftragenden Avaren ein, damit wurde dieser Raum ein den Germanen für immer verlorener Volksboden. Im Südosten waren die Slowenen in das Drautal ein gezogen, siedelten jedoch auch darüber hinaus. Auch zu den Franken ist jetzt einiges zu sagen. Im selben Jahr 537, als die Baiern neu ins Land gekommen waren, wurden die Provinzen durch den Ostgotenkönig Witiges an den Frankenkönig abgetreten. Das Gebiet war außerhalb der goti schen Machtsphäre, allerdings lag es auch für Theudebert etwas abseits. Feststeht, daß die Bai ern den Franken niemals (Zibermayr) Tribut ha ben zahlen müssen. Zeiß spricht von einer frän kischen Herkunft des Herzogsgeschlechtes und betont, daß die Baiern keine Könige hatten und daß Tassilo II. durch Childehart II. (575 bis 598) belehnt wurde (4). Zöllner (18) sucht das Herrscherhaus mit den Burgundern zu verbinden. Das enge Verhältnis zwischen den regierenden Häusern der beiden Völker Baiern und Langobarden beginnt schon beim ersten bairischen Herzog Garibald, der die langobardische Königstochter Walderada als Ge mahlin heimführte. Authari trat als Freier um Theodolinde auf. Diese schöne Frau war eine der ersten und stärksten Förderinnen des jungen Christentums, das in dieser Zeit die Entwicklung vom Arianismus zum Katholizismus durch machte. Die „Eiserne Krone" war ein Dank geschenk des Papstes aus byzantinischer Her kunft, dem sich noch viele andere anschlössen. (Heute im Dom zu Monza herrlich aufgestellt.) Tassilo III. nahm Luitpirg zur Gattin. Sie ist mit ihm gemeinsam am Fuß des Kelches verewigt. Unter den Nachbarvölkern spielen die A v a - r e n eine ganz besondere Rolle. Sie waren es, die den Baiern als erste die Verteidigung der „Ostmark" aufdrängten. Die Frage nach ihrer Herkunft ist nicht weniger problematisch als die nach der frühen Heimat der Baiern. Sicher ist, daß sie aus dem „Fernen Osten" kommen. Das Gebiet des Altaigebirges mit seinem Goldreich tum wird als einer ihrer Sitze genannt. Wahr scheinlich wurden sie aus noch weiter östlich liegendem Gebiet durch die Hunnen vertrieben. Es heißt, sie wären die Warchoniten (23). Die avarischen Changane werden als aus mongoli schen Fürstenhäusern kommend bezeichnet. Auch mit den Onogulen, die in den pannonischen Raum eingewandert sind, verbindet man sie. Als sie nach Ungarn kamen, haben sie sicher auch Sarmaten aufgesaugt, die vor ihnen im Karpa thenbecken gesessen waren. Zwar kann man auf Behauptungen stoßen, daß damals der Höhe punk ihrer Macht schon im Sinken gewesen sei, doch ihr Kommen veranlaßte trotz allem die Räu mung der bairischen Hauptstadt Lorch und die Rücknahme nach Regensburg um 700 (Ziber mayr). Sie suchten Europa zwischen Magdeburg und Byzanz heim, wurden jedoch von beiden Städten abgewiesen. Freilich hatte das oströmi sche Reich hohe Tributsummen an dieses Reiter volk zu entrichten. Seit 568 waren sie die Herren von Ungarn, doch 896 waren die letzten Avaren mit den Magyaren Arpads verschmolzen. So wa ren aus dem gefürchteten Reitervolk seßhafte Ackerbauern geworden. Der Franke Samo hatte noch neben ihnen ein slavisches Reich aufzu bauen begonnen, das nach seinem Tode wieder spurlos verschwand. Von ihrer Kunst glaubt man nun von zwei Schichten sprechen zu müssen. Die „asiatische" wäre den Nordiranern begegnet, die „bulga rische" ist durch ihre hervorragenden Bronze güsse bekannt. Da Byzanz selbst auch vom Iran beeinflußt war, kann man von einer „byzantini schen Färbung" der Kunst der asiatischen Gruppe sprechen. Außer jedem Zweifel steht, daß die Kunst der Völkerwanderungszeit und auch noch die anschließende aus einer euroasiatischen Per spektive verstanden werden muß. Daß die tungidischen Changane auch germani sche Schmiede in ihren Dienst stellten, scheint
viel näherliegend als die Anwesenheit koptischer Meister, wie man annehmen zu müssen glaubte. Daß diese Annahme möglich ist, zeigt, wie hier durch die „wandernden Völker" alles in Fluß gekommen ist. Dazu kommt skythisches, kelti sches und mediterranes Erbgut, das abier wohl eine geringere Rolle spielte. Selbst das Band flechtmuster ist von den Avaren aus dem Osten mitgebracht worden, denn die hunnischen Räume gelten als die Heimat des „Tierstils". Auch die Werkstätten der „sibirischen Goldplatten" sind ihnen außer Zweifel bekannt gewesen. Und in den spätavarischen Kunstwerken wird hellenisti sches Erbe zum „Greifen-Ranken-Stil" umge schmolzen. Die avarische Kunst hat also seit ihrer Herkunft aus dem Amurgebiet unzählige An regungen aufnehmen können, und schließlich ka men die Avaren durch jene Schmiededörfer, wo auch die Lehrer der griechischen Schmiede da heim waren. Die Avaren haben nicht nur ihren Namen „Räuber" erhalten, sie konnten in diesem Bereich auch sassanidische Anregungen sammeln, wenn nur überhaupt Interesse für Kunst bestand und dies war zumindest bei ihrer Führerschicht sehr sicher entwickelt, ja wurde es zunehmend immer mehr. Die Avaren hatten eine Hand werkskunst so gut wie die Baiern, ebenso sicher konnten sie beiderseits ihren Nachbarn etwas lehren und selbst ihren künstlerischen Horizont erweitern. DIE ALTBAIERN WERDEN CHRISTEN So lange nicht die bairischen Schmuckstücke (25), wie sie etwa jetzt das Linzer Stadtmuseum auf weist, bekannt waren, mußte man bei der An nahme stehenbleiben, die Kunst der Baiern und der Langobarden sei sich überaus verwandt, und für den Schmuck kann man dies noch immer nicht abstreiten. Funde in Italien sind in Oberöster reich gefundenen Stücken überaus nahe ver wandt, ja zweifellos aus derselben Werkstätte. Die Funderweiterung aus den Reihengräbern brachte nun auch hier eine Formbereicherung. Das Bandwerkmuster wird nun von italienischer Seite als gesunkene römische Hochkunst bezeich net. Sie bildete sich als trauriger Rest, als Byzanz als zweites Rom an dessen Stelle ge treten war. Dies gilt für Rom selbst mit seinem Laterankreuzgang nicht minder wie für Athen, das in seinen byzantinischen Kleinkirchen (Gargeopikoos) solche Muster eingemauert zeigt. Wenn sich diese Beispiele vermehren lassen, so sind doch durchaus nicht alle diese Band werkmuster den Langobarden abzusprechen, die diese Formen allmählich in Stein umzu setzen gelernt hatten. Zweigerillte Bänder ver bindet man vor allem als Kennzeichen langobardischer Arbeiten. Weitere Funde werden die ses Problem stärker klären helfen. Die Frage: waren die Baiern Arianer? wird stets mehr be tont. Dieses Thema war primär ein politisches. Die „bairische Eigenkirche" war das Ziel! Da jedoch die Franken Katholiken waren, lag eben hier die sehr zögernde Aufnahme des Katholizis mus, weil mit ihm die Fränkische Herrschaft ver bunden war, begründet. Erst Odilo kann man als den Baiernherzog be zeichnen, der ein Katholik war und mit staunens werter Energie ein Kloster nach dem anderen gründete. Für die Kunstgeschichte sind folgende 28 bairischen Stifte und Klöster aus dem Früh mittelalter von Bedeutung {Baum, 5): St. Em meram zu Regensburg 649 (?), Niedermünster, Salzburg (St. Peter, vor 700), Freising 717, Weihenstephan, Passau 739, Polling 740, Nieder altaich 741, Eichstätt 741, Tegernsee 746, Mond see 748, Altomünster 750, Benediktbeuren 752, Wessobrunn 753, Moosburg 755, Schäflarn 762, Scharnitz 763, Michaelbeuren 767, Schlehdorf 769, Innichen 769, Weltenburg 775, Kremsmün ster 777, Schliersee 779, Chiemsee 782, Mattsee 784, Metten 790, Altötting 876. Die Gründung von Mondsee fiel mit dem Tode Odilos zusammen. Sein Sohn Tassilo III. sollte ihm nachfolgen. Beim Tode des Vaters war er erst ein siebenjähriges Söhnchen unter der Vor mundschaft seiner Mutter Hiltrud, die mit den Franken versippt war. Mit 16 Jahren begann er seine Herrschaft mit dem Treueid an die Fran ken. Mit einem Hilfskorps muß er den Franken bei der Niederringung der Aquitanier helfen, zieht sich jedoch aus dem Kampf zurück, was die Franken als Fahnenflucht werten. 781 zwingt ihn der Papst, den Eid zu wiederholen und be droht ihn mit dem Kirchenbann, sollte er sich widersetzen. Seit 747 ist das Reich der Langobarden von Karl besetzt und da Tassilo durch die Mitgift der
Gattin Luitpirg Herr des Vintschgaues und des Norithalgaues geworden war, kam es typisch für die gespannten Verhältnisse der neuen Nachbarn schon 785 bei Bozen zu bewaffneten Zusammen stößen. Wir hörten schon von Tassilos Sieg gegen die Alpenslaven und von der Gründung Innichens (768). Wenig später krönt er 777 die Reihe der 28 Klöster — seinen Vater überbietend — mit Kremsmünster erst mit irischen Mönchen. Erst im 9. Jahrhundert folgen Benediktiner. Unter den Klöstern war Kremsmünster im wahr sten Sinne des Wortes königlich ausgestattet. In einer klimatisch äußerst günstig gelegenen Ge gend mit Jagdwäldern bis ins Gebirge und mit Salzquellen bei Hall. So wurde es die stärkste Klammer, die den Nordteil des Traungaues mit den Gegenden im Gebirge verbinden sollte. Die östlichste germanische Siedlung lag im Sinne der Keillage erst noch im Raum von Groß-Linz. Längs der Traun lagen die ing-Orte, in denen die bairischen Wehrbauern siedelten. Sie hatten sie durch die Welle der Bedrängnis, die nun verebbt war, zu halten vermocht. Die Bedrohung ihrer Freiheitsliebe lag nun nicht mehr im Osten, son dern im Westen durch die Franken. Der Tassilokelch wird als Hochzieitskelch ange sehen und nach der Entschlüsselung eines Chronogrammes durch Justus Schmid mit 781 (auch 775) zu datieren versucht. Da das seit 612 durch Columban gegründete Kloster Bobbio als Kunstzentrale den Langobarden schon entglitten war, kommt nur mehr Salzburg als Ort der Entstehung dieses Kunstwerkes in Frage. 788 mußte sich Tassilo unter den härtesten Be dingungen unterwerfen und wurde auf Grund seiner Jugendsünde zum Tode verurteilt, schließ lich zu dauernder Klosterhaft begnadigt. Auch seine Gemahlin und die vier Kinder mußten Baiern verlassen. Tassilo hat nach dem Unter gang der Langobarden mit seinen avarischen Nachbarn Fühlung aufgenommen, möglicher weise sie mit den berühmten bairischen Waffen beliefert. Neben Karl war er trotz persönlicher Tapferkeit der Unterlegene; es traf ihn auf jeden Fall ein härteres Schicksal als den Sachsen Witte kind. Karl hatte ohne jeden Verlust die Aufmarsch basis gegen die Avaren gewonnen, die er in einigen großartigen Blitzfeldzügen unter Heran ziehung sämtlicher von ihm beherrschten ger manischen Völker 791, 796 und 803 so völlig besiegte, daß er die alte Römergrenze an der Donau auch in Pannonien wieder herstellen konnte, womit er die Nachbarschaft zum byzan tinischen Reich gewann. Tschechen, Mährer, Slo waken, Slowenen und Kroaten gerieten überdies in sein Einflußgebiet. Die karolingische Ostmark ließ den riesigen bairischen Bereich beisammen, ja Karl gliederte noch zusätzlich den pannonischen Raum ein. Unter der Führung seines Schwagers Gerold wurde die Ostmark durch die Einbeziehung der Friaulischen Mark zur größten fränkischen Provinz. Trotz eines Jahrhunderts der Ruhe ist der bairische Stamm nicht so stark gewesen, diese Riesenräume auch biologisch auf füllen zu können. Der starke Ostsog vernach lässigte den Schutz der linken Flanke gegen Böh men, wohin die Tschechen in verschiedenen Stämmen seit dem 9. Jahrhundert kampflos ein gezogen waren. Karl hat das Land südlich der Drau dem Patriar chat von Aquileja zur Christianisierung zugewie sen. Salzburg, seit 798 Erzbistum, hatte den karantanischen Raum übernommen, während Passau dem Donaugefälle folgte. Dieser großar tige Prozeß der Christianisierung wurde von Ludwig dem Deutschen weiter gefördert, der am Plattensee (Moosburg) ein neues Zentrum auf baute, unweit davon, wo einst Theoderich gebo ren worden war und von wo 567 die Langobar den nach Italien ausgezogen waren. Dies und die Krönung in Rom brachte die damals größten Reiche nachbarlich und nicht ohne Spannung zu sammen. Was hätte jedoch Byzanz gegen Karl unternehmen können! Es mußte froh sein, daß er es verschonte und dankbar, daß er es von den Avaren befreit hatte. Diese Friedensperiode wurde plötzlich neuerlich unterbrochen. Auch die Magyaren kamen aus dem Osten (23). Die Baiern hofften, durch eine Entschei dungsschlacht diese heranbrandende asiatische Welle auffangen und das aufblühende Gebiet von Kriegsgreueln freihalten zu können. Doch an der Donaupforte bei Preßburg erlitt der bai rische Heerbann 907 die furchtbarste Niederlage seiner Geschichte. Der Herzog, alle vier Bischöfe wie der bairische Hochadel blieben samt dem Volke tot auf dem Schlachtfeld. Abermals waren
die „Drei Grafschaften" östlich der Enns wie auch das bairische Kernland westlich ungeräumt der Ausblutung ausgesetzt. Pannonien wurde ein ungarisches Kernland. Auch das Großmährische Reich fand nach nur 70jährigem Bestand (830 bis 900) sein Ende. Den Baiern gelangen zwar einige Siege — wie am Inn —, doch die Entschei dung fiel erst 955 vor den alten römischen Mau ern von Augsburg auf dem Lechfelde. Dieser entscheidende Sieg Otto d. Großen erlaubte es dem bairischen Volke noch im selben Jahr, die Grenzen im Donautal wieder bis an die Traisen vorzuschieben. Schon 15 Jahre später wurde der Wienerwald überschritten und damit wieder pannonisches Gebiet gewonnen. Abermals 20 Jahre später wurde die Fischa erreicht und zu Beginn des 11. Jahrhunderts die Leitha. Hier blieb die in der weiteren Geschichte heiß umkämpfte Grenze. Hainburg (Heunenburg) wurde laut Nürnberger Reichstagsbeschluß (1050) als öst liche Grenzfestung an der Preßburger Pforte aus gebaut. Nun kamen als Siedler zu den Baiern auch Franken, sogar das nun an der Donau re gierende Geschlecht der Babenberger entstammte nicht den Baiern. Die große Mark Verona und Friaul waren an Baiern gekommen. 20 Jahre später wurde sie mit Kärnten verbunden und dieses von Baiern ab hängig. Schließlich entstand um 1000 die Steier mark und die karantanische Mark, während das Gebiet östlich der Enns allmählich „Ostarichi" — Österreich — genannt wurde. Das heutige Ober österreich, damals vor allem der Traungau, blieb nach wie vor bairisches Kernland. Noch Aventin sagt von Österreich: „Diß volk alles hat sein her kommen aus alten Baiern. Ir sprach, breuch und Sitten sein noch bairisch als alle alten briefe des bezeugen" (Aventins stl. Werke 4/1 1882). Bis in die Tage Kaiser Maximilians I. (gest. 1519), war nicht feststellbar, ob Oberösterreich zu Bai ern oder zu Österreich zu zählen sei. Geschlechter wie die Kuenringer griffen weit in das Wald viertel bis an die Grenze des böhmischen Rau mes (Thaya). Trotz der Siedlungsfeindlichkeit des Mühlviertels überwand man den Böhmer waldrücken und erreichte die Moldau. Die slavischen Stämme (Dudleber) waren nicht in den Wald eingedrungen. Die Böhmerwälder-Baiern jedoch rodeten .aus „Wilder Wurzel" auf jung fräulichem Boden. Niemandem wurde auch nur das kleinste Stück Land weggenommen. Der Nordwald im Mühlviertel wurde erst Jahrhun derte später bescheidenste Lebensbasis. Die Gründungsjahre der Kirchen zeigen deutlich den späten Landnahme-Prozeß. Während die Eindeutschung Karantaniens nörd lich der Draulinie — im großen gesehen — gelang, war nach 1000 eine solche bei den Magyaren bereits völlig ausgeschlossen, allein die Christia nisierung war noch möglich. Sie wurde eine Großtat Passaus. Die Aktivität der Passauer Bischöfe, die ein Stephans-Patrozinium vertra ten, zeigt sich neben unzähligen Pfarren auch im Wiener „Stephansdom" und auch im Namen des ersten getauften ungarischen Fürsten Ste phan, der vom Papst die Krone erhielt. Die Lei stung Passaus wurde historisch durch den Hin weis auf das alte christliche Zentrum in Lorch zu untermauern versucht, wo 304 der heilige Florian den Märtyrertod erlitten hatte. Passau wollte sich als Nachfolger des Bistums Lorch gesehen wissen und konnte so Regensburg den Rang ablaufen. Der Aktivität Passaus entsprang eine Kraft, der wir es verdanken, daß der sich schon anzeigende Einbruch der Ostkirche nicht weiter nach Mitteleuropa ausgreifen konnte. Salzburg hatte alle Hände voll in Karantanien zu tun (Modestus). Die Friauliche Mark war schon längst christianisiert, sie blieb bis ins 15. Jahrhundert ein deutsch geführtes Land. Unsere Klöster hatten dort ihre Weinberge und deutscher Adel bis vor Triest (Duino) seine Schlösser. Dazu trug auch die Tatsache bei, daß die Erzbischöfe von Trient und die Patriarchen von Aquileia (Aglay) erst noch Deutsche waren. Der letzte Patriarch von Aquileia war Berthold von Andechs, der wie Kaiser Friedrich II. und Friedrich der Streitbare durch seinen Tod die große Zäsur unterstrich. Bis um 1250 hatten auch die Langobarden ihre Sprache bewahrt. Die Slaven, die erst im 9. Jahrhundert in den böhmischen Raum kamen, blieben dort und wur den christianisiert, wenngleich Wolfgang von Regensburg Prag half, sich selbständig zu ma chen. Damit wurde eine Situation erreicht, die für die Gestaltung Europas weithin bestimmend war. Die Herrschaft des Deutschen Reiches war jedoch
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2