OÖ. Heimatblätter 1976, 30. Jahrgang, Heft 1/2

Denn wenn aus dem Leih audt der Geist entflohen, Der ihn einst belebt', und nur fahle Glieder Blieben auf der Erd' — sind die Wunderkräfte Ganz noch im Körper. Da enteilt, den Stab nun bei Seite legend. Ein Klumpfuß'ger hier; ja es werden Tote Neubelebt; es schau'n, die bereits erblindet. Wieder das Tagslidit. O so laßt uns denn mit einander alle Ehren den Bischof, des' Verdienste sühnen Den Allmächtigen, geh' er seinen Dienern Sichere Zuflucht! Wesentlich früher hat St. Wolfgang Eingang in einen Hirtensegen gefunden, den J. Grimm nach einer Handschrift des 15. Jahrhunderts in seine „Deutsche Mythologie" aufgenommen hat^®. Das sprachliche Gewand „verräth weit älteren Ur sprung"®®. Es ist aber wahrscheinlich, daß unser Heiliger erst zur Zeit seiner größten Verehrung im Spätmittelalter in den schon vorhandenen Segen aufgenommen wurde, teils auf Grund des Namensanklanges („Wolf"-gang kann die Herde vor dem „Wolf" schützen), teils weil ihn die Legende in Zusammenhang mit einem Wolf bringt. Ich treip heut aus In unser liehen frauen haus. In Ahrahams garten. Der liehe herr sant Martein, Der sol heut meines (vihes) pflegen und warten. Und der liehe herr sant Wolfgang. Der lieh herr sant Peter, Der hat den himelischen slussel. Die versperrent dem wolf und der vohin (Füchsin) irn drussel, Dass sie weder plut lassen noch hein schroten (Knochen verletzen). Das helf mir der man, der chain uhel nie hat getan. Und die heiligen 5 Wunden Behüten mein vieh vor allen holzhunden. 5 Pater et 5 Ave Maria. Als Wolfgang im Spätmittelalter zum Volksheili gen geworden war, bestand auch das Bedürfnis nach Liedern in der Volkssprache. Das älteste Wallfahrtslied zu Ehren St. Wolf gangs scheint die Adaptierung eines hochmittel alterlichen „Leichs" zu sein. Ein Leich ist eine aus der Sequenzendichtung fortentwickelte lyri sche Form, bestehend aus zwei ungleichen, musi kalisch durchkomponierten Strophen. Fr. W. Hol zer teilt folgenden Text, für den sich allerdings die direkte Quelle nicht eruieren ließ, mit®®®: In gotes namen faren wir siner gnaden gere wir nu helfe uns diu gotes kraftl Sand Wolfgangus won uns hi swene wir sulln sterben mach uns aller sünden fri und laz uns niht verderben! Vor dem tiuwel uns bewahr, reiniu meit Marja und vüer uns an der engel schar, so singe wir alleluja! so singe wir alleluja! Kyrieleis, christeleis! Sand Wolfgangus, der is gu(a)t der uns vil siner genaden tu(a)t daz gehieut im diu gotes stimme frölichen fare wir, Kyrie leis, christe leis! Zugrunde liegt jedenfalls ein altes Kreuzfahrer lied, das wohl aus dem 12. Jahrhundert stammt®®*". Bereits in Gottfried von Straßburgs Tristan (um 1215) heißt es (V. 11. 536 ff.): mit hoher stimme huohens an unde sangen einez unt zwir: in gotes namen varen wir. Schon hier lernen wir also den Anfang des Lie des kennen, das in einer Handschrift von 1422 mit folgenden Zeilen beginnt: In gotes namen fara wir, siner gnaden gere wir ^ J. Grimm, Deutsche Mythologie, Bd. 2, Göttingen ®1Ö54, S. 1189 f. — Vgl. Wörterbuch der deutschen Volkskunde, begründet von O. A. Erich und R. Beitl, 3. Auflage, bearbeitet von R. und K. Beitl, Stuttgart 1974, S. 983. F. W. Holzer, St. Wolfgang, ein Heiliger der Spät gotik, in: Jahresbericht des Vereins zur Erforschung der Regensbiurger Diözesangeschiichte 10 (Metten 1935), 1—130, vgl. S. 25. Diese und die folgenden Angaben nach F. M. Böhme, Altdeutsches Liederbuch. Volkslieder der Deutschen nach Wort und Weise aus dem 12. bis zum 17. Jahr hundert, Leipzig ^1913, S. 677—680. Hier auch die ältesten Aufzeichnungen der Melodie.

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